Horrorfilme aus 2020, die ihr gesehen haben solltet (Teil 2/2)
Jonathan
– Empfehlungen –
Red Screening (R: Maximiliano Contenti)
Das Kino lebt! Wenigstens in Red Screening aka Al Morir la Matinée. Der Indie-Slasher lief im September auf dem Hardline Filmfest in Regensburg und hat mich vom Hocker gehauen. Mit einer Hingabe zum Splatter und einer Detailverliebtheit, die ihres Gleichen sucht, liefert der uruguayische Regisseur Maximiliano Contenti eine Vorstellung ab, die sich sehen lassen kann. Dass der Kinosaal im Film, in dem sich eine Handvoll unterschiedlichster Menschen einen Horrorfilm (es läuft der Independent-Streifen Frankenstein: Day of the Beast) ansehen, selbst zum Schauplatz des Verbrechens wird, ahnt zu Beginn noch keiner der Anwesenden. Als ein Wahnsinniger den Saal betritt und die Zuschauer der Reihe nach abschlachtet, wird’s ernst und die Leinwand blutrot: abgetrennte Gliedmaßen, Blutfontänen, blitzende Messer in einem charmanten Ambiente mitsamt Hommagen an Argento und Co. Das Beste: Der Film hat offensichtlichen nicht nur mir gefallen, denn er hat kürzlich einen Verleih gefunden. Pierrot le Fou wird den Film als Nummer 23 einer Uncut-Reihe unter dem Titel „Red Screening – Blutige Vorstellung“ am 23. April 2021 veröffentlichen. Greift zu und Vorstellung ab!
Possessor (R: Brandon Cronenberg)
Ein Film, der an die Nieren geht. Regisseur Brandon Cronenberg, Sohn der Body-Horror-Legende David Cronenberg, ist Großes gelungen. Was die letzten Jahre The Witch, Suspiria und Midsommar waren, ist 2020 Possessor. Ein Trip, an den ich jetzt noch häufig denke: Eine Auftragskillerin wird damit beauftragt, einen Mann der oberen Schicht zu eliminieren. Damit sie leichter an ihn rankommt, benutzt sie eine Technologie, die ihr einen Vorteil verschafft: Durch sie kann sie in andere Körper eindringen, sie besetzen und sie wie eine Marionette dazu benutzen, ihrem Ziel näher zu kommen. Dabei gerät die Agentin immer tiefer in einen Strudel von Identitäten, die nicht mehr eindeutig einem Körper zuzuordnen sind. Alles droht sich aufzulösen. Der Wahnsinn, das Chaos, der innere Konflikt – das alles ist perfekt inszeniert. Es gibt surreale Sequenzen, die einen Ort jenseits des Vorstellbaren abbilden; zur wirklichen Welt verliert die Killerin dabei immer mehr den Bezug. Am Ende macht sie vor nichts mehr Halt, um aus diesem Sog aus Gewalt und Selbstzerstörung wieder entkommen zu können. Bereits analysiert und rezensiert, bleibt mir nur noch ein explizite Empfehlung zum Dritten: Zieht euch das Ding unbedingt rein!
Heike
– Empfehlungen –
Bit (R: Brad Michael Elmore)
Vampire gegen das Patriarchat. So in etwa lässt sich dieses absolute Goldstück des Filmjahres 2020 zusammenfassen. Bit ist eine Mischung aus Coming-of-Age-Film und humoristischer Gesellschaftskritik. Er badet in Referenzen anderer Filme und weiblicher Stereotype, ohne sich darin zu verlieren, sondern nutzt den V-Faktor als gekonntes Stilmittel, um die aufgebauten Erwartungen zu brechen. Untermalt und begleitet von einem rockigen Indie-Soundtrack, macht der Film einfach Spaß. The first rule of bite club: Unbedingt ansehen.
Eat, Brains, Love (R: Rodman Flender)
Diesem Liebesdreieck zwischen zwei Zombies und einem jungen Medium merkt man nicht an, dass es eine Low Budget Produktion ist. Das jugendliche Selbstverständnis zwischen Ironie und apokalyptischen Zynismus legt den Grundstein für einen unerwartet amüsanten Road Trip mit der Sexual-Offender-Map als Restaurantführer. Hier wird viel mit Stereotypen gespielt, die sich mit ihrer unverkrampften Art schnell in die Herzen der Zuseher*innen fressen.
Relic (R: Natalie Erika James)
Wie innen, so außen. In Relic wird aus den eigenen vier Wänden eine direkte Erweiterung des Innenlebens seiner Bewohner*innen. Doch das Alter hinterlässt seine Spuren und altbekannte Pfade aus stetig schwächer werdende Erinnerungsfetzen erschaffen ein Labyrinth, dessen Kreuzungen eher zufällig auf die Realität zu treffen scheinen. Mit gezielt angedeuteten Schatten, unscharfen Silhouetten und plötzlichen Stimmungsschwankungen steigert sich die zunehmende Verwirrung und Paranoia der Charaktere wie auch des Publikums. Der Showdown kommt auf eine dermaßen unheimliche Weise, die viele Genre-Kollegen in den Schatten stellt.
Das schaurige Haus (R: Daniel Prochaska)
Was im Dorf passiert, bleibt im Dorf – bis sich eine Gruppe Jugendlicher auf die Suche nach der Wahrheit macht. Das schaurige Haus bietet eine liebevoll ausgearbeitete Haunted-House-Story mit Kärntner Lokalkolorit. Daniel Prochaskas Kinodebüt glänzt mit einer klassischen Story an der österreichischen Grenze mit besonderem Flair und schauspielerischen Nachwuchstalenten. Nicht neu, aber dafür absolut besonders.
– Größte Enttäuschung –
Antebellum (R: Gerard Bush/Christopher Renz)
Größtes Lowlight des Jahres war definitiv Antebellum. Der Film, der sich vornahm ein neues Licht auf US-Geschichte und ihre langen Schatten bis in die Gegenwart zu werfen und dann schlussendlich nur mit einer Funzel durch die finstere Nacht stolpert. Absolut verschenktes Kritikpotential, das leider auch von Janelle Monáes fantastischem Schauspiel nicht gerettet werden kann.
Jörg
– Empfehlungen –
Open 24 Hours (R: Padraig Reynolds)
Als großer Fan von Slasher Flicks bin ich natürlich immer auf der Suche nach Genrefilmen, die sich etwas von dem üblichen Einheitsbrei abheben. Open 24 Hours entpuppte sich glücklicherweise als eben solcher. Bereits das gelungene Coverartwork der Blu-ray weckte mein Interesse und ich wurde nicht enttäuscht. Der Film ist ein nervenaufreibender, stellenweise wirklich harter Streifen, der es schafft, sich mit jeder Szene immer mehr zu steigern und mich zu keiner Sekunde gelangweilt zurück zu lassen. Die Darsteller machen allesamt einen überaus zufriedenstellenden Job und es ist immer wieder schön Brendan Fletcher vor der Kamera zu sehen. Der Mann holt aus jeder Rolle das Beste heraus. Fans von Oldschool-Slashern sollten sich diesen Direct-to-Video-Film nicht entgehen lassen.
Dark Encounter (R: Carl Strathie)
Alien-Invasion-Filme brauchen nicht zwangsweise ein großes Budget, um wirklich gut zu sein. Im Falle von Dark Encounter ist dieser Umstand sogar lobenswert. Alles was es benötigt, sind engagierte Darsteller, das passende Gespür für Timing, sowie ein cleveres Drehbuch. Als eine Mischung aus Crime Drama und Alien-Invasion-Film bedient der Streifen nicht nur zweierlei Arten von Fans, sondern kombiniert diese beiden vollkommen unterschiedlichen Genre auf eine wirklich mitreißende und spannende Weise. Der fantastische und atmosphärische Score von David Stone Hamilton tut dabei natürlich sein Übriges.
– Größte Enttäuschung –
The Grudge (R: Nicholas Pesce)
The Grudge war einer der Filme, auf die ich mich wirklich gefreut habe und der mir mit gespreizten Beinen mitten ins Gesicht gesprungen ist. Ohne Hose versteht sich. Mit einem vielversprechenden Cast, von Andrea Riseborough (Mandy) über John Cho (Searching) bis zu dem allseits großartigen William Sadler (Der Nebel), produziert von Horrorlegende Sam Raimi und dem kreativen Kopf der Ju-on-Reihe Takashi Shimizu und inszeniert von Nicolas Pesce (The Eyes of My Mother) war dies wie der feuchte Traum eines jeden pubertierenden Teenagers. Doch statt eines unterhaltsam gruseligen Geisterfilms in der Tradition des hervorragenden Originals, verkam der Streifen zu einem Fest aus uninspirierten Einfällen, sichtlich gelangweilten Schauspielern sowie tonnenweise von nervtötenden Jump- und Fakescares, die bereits nach dem gefühlt zehnten Mal einfach nicht mehr auszuhalten waren. Ein Vorteil hat der Film jedoch: Er ist ein wunderbares Trinkspiel. Einfach bei jedem Jumpscare einen Vodka-Shot trinken und die erste Flasche ist bereits nach einem Viertel der gesamten Spielzeit leer.
Teil 1 mit weiteren Empfehlungen und auch ein paar Enttäuschungen, die das Horrorjahr 2020 bereithielten findet ihr hier. Was waren eure High- und Lowlights des Jahres?
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