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Horrorfilme aus 2022, die ihr gesehen haben solltet (Teil 2/2)

2022 ist fast vorbei und wir haben die Gelegenheit genutzt, um das Jahr Revue passieren zu lassen. Hier sind unsere Horror-Highlights 2022. Viel Spaß!

Im zweiten Teil unseres Jahresrückblicks findet ihr wieder die persönlichen Highlights und auch die Enttäuschungen unserer Autor:innen. Wir haben uns nach den internationalen oder deutschen Premieren orientiert, aber auch am regulären (Heim-)Kinorelease. Ihr werdet hier also durchaus auch Filme finden, die schon 2021 ihre Weltpremiere feierten, aber in Deutschland erst 2022 erschienen sind. In Klammer findet ihr die Person, die Regie geführt hat.


Florian

– Empfehlungen –

Fall – Fear Reaches New Heights (R: Scott Mann)

Nach einem traumatisierenden Kletterunfall hat sich Becky (Grace Caroline Currey, Annabelle 2) komplett zurückgezogen. Doch eines Tages taucht ihre alte Freundin Hunter (Virginia Gardner, Halloween, 2018) bei ihr plötzlich mit einem Vorschlag auf: den über 600 Meter hohen Funkturm im absoluten Nirgendwo zu erklimmen. Zuerst abgeneigt, sagt Becky schlussendlich zu, in der Hoffnung damit ihr Trauma überwinden zu können. Für die beiden Kletterinnen beginnt damit ein gefährlicher Aufstieg, der sie an ihre Grenzen bringen wird …

Fall braucht gerade einmal zehn Minuten für seine Exposition, bevor er uns ins große Abenteuer schickt – und selbst die Exposition beginnt mit einer spannenden Actionsequenz.
Regisseur Scott Mann (Final Score) hält sich somit glücklicherweise nicht mit unnötigen Zwischenstopps auf, sondern beginnt sogleich mit dem Aufstieg und zieht dies auch schnörkellos bis zum Ende durch.

Ein bisschen zwischenmenschliches Drama wird zwar noch eingeflochten, aber das hält sich stark in Grenzen und fügt sich reibungslos in das nervenaufreibende Geschehen ein – und dieses fängt Mann wirklich hervorragend ein. Für jemanden wie mich mit Höhenangst war der Film zuweilen in der Tat schwer anzuschauen, da trotz so einiger CGI-Aufnahmen, die Höhe und der drohende Absturz stets spürbar sind. Ich habe jedenfalls fast durchgehend geschwitzt und musste mich danach erst einmal etwas erholen. Mit einigen spannenden Ideen schafft es Fall auch, die Spannung hochzuhalten und trotz minimalem Settings für die nötige Abwechslung zu sorgen.

Fall bietet damit einen aufs Wesentliche konzentrierten Survival-Thriller, der auf unnötige Spielereien komplett verzichtet und sich voll und ganz auf die Spannung aus seinen luftigen Höhen fokussiert. Für mich damit eine der positiven Überraschungen des Jahres.

Zu sehen auf Amazon Prime*.

Hellbender (R: John Adams, Toby Poser, Zelda Adams)

Die jugendliche Izzy (Zelda Adams) und ihre Mutter (Toby Poser) leben abgeschottet von der Gesellschaft im Wald und verbringen ihre Zeit unter anderem mit ihrer eigenen Zwei-Frauen-Metal-Band. Eine Zufallsbegegnung mit einer anderen Teenagerin (Lulu Adams) führt jedoch versteckte Verbindungen zur Hexerei zu Tage und droht das ruhige Einsiedlerleben der beiden zu zerstören …

Hellbender ist für mich der Überraschungshit des Jahres. Die Adams Family (nur ein d), bestehend aus dem Ehepaar John Adams und Toby Poser sowie ihren Kindern Zelda und Lulu Adams, spielen die Hauptrollen und wechseln fleißig zwischen Cast und Crew. Schnitt und Musik gehen auf die Kappe von John Adams. Die Familie erschafft hier mit einem nicht vorhandenen Budget in ihrem eigenen Anwesen und den umliegenden Catskill Mountains einen Horrorfilm, der sich vor der hochbudgetierten Konkurrenz keineswegs verstecken muss. Natürlich sieht man dem Film an, dass er ein Pandemie-Familien-Projekt ist, der für diesen Umstand aber erstaunlich hochwertig daherkommt. Gerade im dritten Akt gelingen der Familie etliche super beeindruckende Einstellungen.

Das Ergebnis ist einer der spannendsten Hexen-Coming-of-Age-Horrorfilme der letzten Jahre. Geschickt werden dabei Themen des Heranwachsens mit Elternschaft und Okkultismus vermengt. Visuell weiß vor allem der naturalistische Look in Kombination mit psychedelischen Sequenzen zu überzeugen.
Ich empfehle sich einfach überraschen lassen. Wer sich auf etwas Neues einlassen kann, wird definitiv belohnt.

Zu sehen auf Amazon Prime*.

The Innocents (R: Eskil Vogt)

Die neunjährige Ida und ihre ältere Schwester Anna ziehen mit ihren Eltern in einen Appartementkomplex irgendwo am Rande einer norwegischen Stadt. Während die nicht verbale und autistische Anna sich mit Aisha anfreundet, die ihre Gedanken lesen kann, lernt Ida Ben kennen, der über telekinetische Fähigkeiten verfügt. Doch Bens Begabung ist stärker als erwartet und bringt die gesamte Gruppe bald in große Gefahr …

Was später noch wie ein Superhelden-Origin-Film wirkt, beginnt zunächst als Sozialdrama über Kinder, Freundschaft und (Un-)Schuld mit einer überaus naturalistischen Inszenierung. The Innocents beleuchtet dabei in erster Linie unterschiedliche Szenarien von Gewalthierarchien: Eltern gegenüber ihren Kindern, Kindern gegenüber schwächeren Kindern, Kindern gegenüber Kindern mit Behinderung, Kinder gegenüber Tieren. Dabei macht es sich The Innocents jedoch nie so einfach, einzelne Akteur*innen als böse oder sadistisch zu brandmarken. Gewalt ist hier in erster Linie ein Mittel zur Selbstwirksamkeit. Kinder, gerade jene, die Gewalt erfahren, fühlen sich oft hilf- und machtlos und Gewalt gegenüber noch Schwächeren ist eben nicht nur ein Ventil für Wut, sondern auch eine Möglichkeit, Kontrolle zu erlangen. The Innocents verwendet viel Zeit darauf, diese Dynamiken zu veranschaulichen und aufzuzeigen, woher die gezeigte Gewalt kommt – die in ihrer Inszenierung alles andere als zimperlich ist und auch vor kaum ansehbaren Grausamkeiten nicht zurückschreckt.

The Innocents gelingt es dabei erstaunlich gut, zwischen Sozialdrama und Superheldenfilm zu changieren. Dies liegt vor allem daran, dass der Film fast durchgehend seinem naturalistischen Stil treu bleibt und nur in ganz wenigen dramaturgischen Höhepunkten zu einer expressiven Stilisierung greift. Auch die Effekte sind nur sehr reduziert eingesetzt und entfalten ihre Wirkung in erster Linie über das herausragende Sounddesign.

So erzählt The Innocents am Ende parallel zwei Geschichten. Einerseits von den Widrigkeiten des Aufwachsens in einer nicht privilegierten Familie und andererseits ganz im Stile des Superheldenkinos vom stilisierten Kampf Gut gegen Böse. Wie schon Thelma arbeitet der Streifen dafür mit einer faszinierenden Mischung aus Sozialrealismus und Phantastik und reißt sämtliche Grenzen zwischen Trivialität und Arthaus mit Leichtigkeit ein.

Zu sehen auf Amazon Prime*.

– Größte Enttäuschung –

Crimes of the Future (R: David Cronenberg)

In einer nicht näher bestimmten Zukunft haben sich Menschen soweit weiterentwickelt, dass die meisten keinen wirklichen Schmerz mehr spüren und die Körper von einigen sogar unwillkürlich neue Organe mit unbekannten neuen Funktionen produzieren. Einer von ihnen ist Saul Tenser (Viggo Mortensen), der mit seiner Partnerin Caprice (Léa Seydoux) Performance-Kunst macht, bei der ihm eben jene neuen Organe live vor Publikum entnommen werden. Doch nicht nur Timlin (Kristin Stewart) von der staatlichen Organ-Registrierungsbehörde ist ihnen stets auf den Fersen, sondern auch eine mysteriöse Untergrundorganisation hat ihre ganz eigenen Pläne mit Tenser: eine neue Phase der menschlichen Evolution.

Auf dem Papier klingt Crimes of the Future wie Cronenbergs perfekte Rückkehr zum Body Horror – doch leider nur auf dem Papier, denn die Body-Horror-Elemente halten sich stark in Grenzen. Crimes of the Future ist allgemein weniger ein Horrorfilm, sondern vielmehr eine Ansammlung von Dialogen über Body Horror. Thematisch wirkt das Ganze dabei wie ein Best-of aus Cronenbergs Schaffen der 70er bis 90er. Optisch knüpft der Film mit seiner gigeresken Biotechnologie sehr an eXistenZ an, thematisch wird vor allem an das neue Fleisch aus Videodrome angeknüpft, aber durchaus sexuell aufgeladen wie in Parasiten-MörderRabid oder Crash. Wer gerade erst frisch ins Cronenberg’sche Body-Horror-Universum eingetaucht ist, wird hier somit eine Fülle an spannenden Gedanken finden. Mein Problem damit ist nur, dass bisherige Ideen nicht weiterentwickelt werden, sondern einfach nur wiedergekäut – und leider inszenatorisch weitaus weniger ansprechend als in seinen früheren Werken. Ich frage mich hier auch ernsthaft, wo die 30 Millionen an Budget hin sind, wenn man schlussendlich nur Leute beim Reden filmt. Nichts gegen dialoglastige Filme, aber gerade bei Body Horror verstehe ich nicht, wieso man mit dem Budget nicht in die Vollen geht, sondern stattdessen ein bebildertes Hörbuch abliefert.

Crimes of the Future ist dabei kein schlechter Film. Doch wenn man sich die Rückkehr von Cronenberg zum Body Horror erwartet, eben doch eine herbe Enttäuschung.


Heike

– Empfehlungen –

Don’t Worry Darling (R: Olivia Wilde)

Alice (Florence Pugh, Midsommar) und Jack (Harry Styles) führen in der exklusiven experimentellen Gesellschaft von Jacks Arbeitgeber ein idyllisches Leben im 50er-Jahre-Stil. Wie ein Uhrwerk sind die Tage geplant, die Männer verlassen am Morgen im Anzug mit Hosenfalte das Haus, um zur Arbeit zu gehen. Ihre Frauen füllen den Tag mit Putzen, Gruppen-Aerobic, endlosen Shoppingtouren oder mit einem Cocktail am Pool, bevor sie sich gemeinsam aufmachen, rechtzeitig das Abendessen auf den Tisch zu zaubern. Alles scheint perfekt. Bis kleine und immer größere Vorkommnisse Zweifel in Alice säen, ob die scheinbare Utopie nicht ein düsteres Geheimnis verbirgt.

Nachdem Olivia Wilde 2019 mit der Highschool-Komödie Booksmart ein überaus erfolgreiches Regiedebüt feierte, betritt sie nun mit dem Horrordrama Don’t Worry Darling wesentlich düstere Pfade. Florence Pugh, die wohl die meisten als Protagonistin aus Midsommar kennen, versteht es, das Publikum ihren Zwiespalt zwischen Loyalität zu ihrem Mann und ihrem unaufhörlichen Drang nach Antworten mitfühlen zu lassen, auch wenn es sich mit jeder Minute immer mehr anfühlt, als müsste sich das pastellfarbene Lächeln der Bewohner*innen in die Netzhaut brennen. Auch Olivia Wilde, die neben der Regie selbst in die Rolle einer der Hausfrauen schlüpft, verkörpert den Traum der immer-glücklichen-Familienfrau schmerzhaft überzeugend. Leider kann Harry Styles in seiner Rolle mit dem Strahlen von Pugh und Wilde nur wenig mithalten und geht in seiner Rolle ein wenig unter. Zum Glück tut das dem Gesamtwerk aber keinen Abbruch.

Don’t Worry Darling ist ein absoluter Hingucker. Das Setdesign ist atemberaubend pittoresk, die Musik peppig und die Bilder genau das richtige Bisschen zu glatt und perfekt. Ähnlichkeiten zu Pleasantville oder Die Frauen von Stepford sind ziemlich sicher beabsichtigt. Umso (positiv) überraschter war ich, als klar wurde, welch abgründige Grauslichkeit dem Überperfekten zugrunde liegt. Fast schade, dass der Film hier nicht tiefer in die Horrormaterie eintaucht. Bleibt zu hoffen, dass Olivia Wilde dieses Genre weiter erkundet und Mut fasst, die Abgründe nicht nur anzureißen, sondern vielleicht sogar richtig auszuschlachten.

Zu sehen auf Amazon Prime*.

Mona Lisa and the Blood Moon (R: Ana Lily Amirpour)

Mona Lisa Lee (Jeon Jong-seo, Burning) verbringt viele Jahre stoisch in der Gummizelle einer psychiatrischen Anstalt in der Nähe von New Orleans. Ein nahender Blutmond scheint sie aus ihrer Apathie zu reißen und ist für sie der Anstoß, einen Weg aus der Fremdbestimmtheit zu suchen. Ohne Rücksicht auf Verluste nutzt sie ihre übernatürlichen Fähigkeiten, die Bewegungen anderer steuern zu können, für einen Ausbruch. Nachdem sie die Erotiktänzerin Bonnie (Kate Hudson, Almost Famous) in einer gewaltsamen Auseinandersetzung rettet, schließen sie sich zusammen und führen dank Mona Lisas Fähigkeiten ein hemmungsloses Leben. Doch Mona Lisas Ausbruch blieb bei der lokalen Polizei nicht unbeachtet und das neue Dreamteam droht zu einem raschen Ende zu kommen.

In gewohnter subversiver Art versetzt uns Regisseurin und Drehbuchautorin Ana Lily Amirpour (A Girl Walks Home Alone at Night) in eine Geschichte, die nicht etwa deswegen außergewöhnlich ist, weil etwas Außergewöhnliches passiert oder ein Charakter außergewöhnliche Kräfte besitzt, sondern gerade weil sie ihre Figuren mit ganz gewöhnliche Alltagssituationen konfrontiert. Hier wird kein Bösewicht besiegt oder die Welt vor einem Untergang bewahrt. Eine junge Frau findet sich in einer fremdbestimmten Situation wieder und will aus dieser entkommen. Sobald sie dies einmal geschafft hat, verfolgen wir ihre Suche nach einer Antwort darauf, was sie nun mit dieser neu gewonnenen Freiheit anfängt. Ebenso verstärkt das gesamte Setdesign und vor allem die Beleuchtung das abseitige, außerweltliche dieses Films. Dunkle, schattenreiche Schauplätze vermitteln schaurig-schummrige Gemütlichkeit zu der kahlen, glatten und durchstrukturierten Welt am Tage. Gepaart mit einem Soundtrack zwischen Psychedelic Rock, Jazz und sphärischen Elektrobeats kreiert Amirpour ihren ganz eigenen surrealen Score für New Orleans.

“Der Schein trügt“ könnte der Slogan zu Amirpours Charakterdesign sein. Darum ist Mona Lisa and the Blood Moon für mich eine mit phantastischen Elementen angehauchte Ode an die Menschlichkeit, die dazu verführt, über die eigenen Vorurteile hinweg zu sehen und vielleicht doch noch an das Gute im Gegenüber zu glauben.

Zu sehen auf Amazon Prime*.

Wednesday (R: Diverse)

Nachdem Wednesday (Jenna Ortega, X) aus ihrer Highschool flog, wird sie von ihren Eltern auf die Nevermore Academy, eine Schule mit Internat speziell für monströse Außenseiter*innen, geschickt, in der Hoffnung, dass das spezielle Wesen ihrer Tochter hier mehr Verständnis und sie Gleichgesinnte findet. Doch nicht nur, dass sich Wednesday mit einer farbenfrohen Zimmergenossin und dem Schatten, den die Zeit ihrer Eltern in Nevermore wirft, herumschlagen muss, suchen sie seit einiger Zeit immer wieder Visionen heim, mit denen sie umzugehen lernen muss. Als schlussendlich auch noch ein mörderisches Monster das Academy-Gelände heimsucht, beschließt Wednesday selbst aktiv zu werden und dem auf den Grund zu gehen.

Die Addams Family ist Kult und wer wäre geeigneter dafür, sich der Materie anzunehmen als der für seinen ikonischen düster-surrealen Stil Tim Burton. Burton, der die Serie produziert und bei den ersten vier der insgesamt acht Folgen Regie führte, gelang es, den typisch morbiden Addams-Charme einzufangen und in die aktuelle Zeit zu holen. Die pubertierende Wednesday und ihre Sicht der Welt stehen absolut im Fokus der Story und auch wenn sie sich wehrt, avanciert sie mit ihrer kompromisslosen Eigenheit in Nevermore und beim Publikum schnell zum Star. Dabei verfällt die Serie nicht wie frühere Adaptionen der Addams Family in Albernheiten, sondern wird durch einen eher seriösen Grundton geprägt, der seine Charaktere und deren Entwicklung durchaus ernst nimmt. Jenna Ortega liefert eine herausragende Performance und verkörpert Wednesday mit Leib und Seele.

Was bleibt mir noch zu sagen, als dass Wednesday eine hervorragende, kurzweilige Serie ist, die mit einer famosen Besetzung aufwartet und das Herz jedes Addams–Family-Fans und allen, die es noch werden wollen, höherschlagen lässt.

Zu sehen auf Netflix.

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Seid gegrüßt, Ich habe unzählige Namen und erscheine in vielen Gestalten. Hier kennt man mich als Dark Forest und ich bin euer Gastgeber. Ich führe euch durch die verwinkelten Bauten, düsteren Wälder und verfallenen Ruinen. Immer mir nach!

...und was meinst du?