Burning
Kritik

Burning (2018) – Review

In seinem Film Burning entführt uns Regisseur und Drehbuchautor Lee Chang-dong in die verhängsnisvollen Gefilde einer Ménage-à-trois, in der schon bald unterdrückte Eifersucht, Misstrauen und unheilvolle Paranoia die Zügel übernehmen. Mit seinem ersten Film seit acht Jahren gelang Lee einer der wohl anspruchsvollsten und besten Filme des neuen Jahrtausends.

Originaltitel:
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Drehbuch:
Cast:
VÖ:

Burning (버닝)
Südkorea
148 Minuten
Lee Chang-dong
Lee Chang-dong
Yoo Ah-in, Steven Yeun, Jeon Jong-seo u.a.
Ab 11.10.2019 im Handel

Inhalt

Lee Jong-su, ein studierter Mittzwanziger, träumt von einem Dasein als Autor. Während er sich noch auf Ideensuche für seinen ersten Roman befindet, hält er sich mit Auslieferungsjobs über Wasser und trifft dabei zufällig seine ehemalige Schulkameradin Shin Hae-mi. Diese ist sichtlich angezogen von Jong-su; sie verabreden sich zu einem Treffen in einer Bar, gehen zu ihr nach Hause, haben Sex. Weil Hae-mi für einige Zeit nach Afrika reisen wird, bittet sie Jong-su, in dieser Zeit ihre Katze zu füttern. Dieser willigt ein und so ziehen die Tage ins Land, bis Hae-mi aus Afrika wieder zurück ist – mit dem schnöseligen Ben an ihrer Seite. Die sich schnell entwickelnde Dreiecksbeziehung wird überschattet von der ominösen Präsenz Bens, der Hae-mi nicht mehr von der Seite zu weichen scheint. Doch eines Tages, nachdem Jong-su Ben seine Liebe zu Hae-mi offenbart, verschwindet diese plötzlich spurlos und so macht sich Jong-su verzweifelt auf die Suche nach ihr…

Kritik

Lee Chang-dong ist bekannt dafür, komplexe Geschichten und kritische Zeitporträts Südkoreas in seinen Filmen zu verarbeiten. Ebenso ambitioniert kommt auch sein neuer Film Burning daher, der auf der Kurzgeschichte „Scheunenverbrennen“ von Haruki Murakami beruht. In diesem geht es auf den ersten Blick scheinbar darum, die riesigen Probleme der Jugendarbeitslosigkeit und deren Auswirkungen aufzuzeigen, mit denen viele Jugendliche und junge Erwachsene dort zu kämpfen haben. Doch so einfach lässt sich die Wahrheit nicht erspinnen und die Frage nach der Kernaussage nicht beantworten. Neben den sozialen Missständen, die den Rahmen für das psychologische Drama der Dreiecksbeziehung spannen, geht es unter anderem um nicht weniger als die Frage nach dem Sinn des Lebens und die Suche nach den eigenen Träumen.

Burning

 

Burning ist alles andere als ein Film, der leicht verdauliche Unterhaltung bietet. Obwohl in den ersten drei Vierteln dramaturgisch kaum etwas Spannendes passiert, entfaltet der Film dennoch eine intensive Sogwirkung. Die Bilder, die Kameramann Hong Kyung-pyo einfängt, sind von zutiefst hypnotischer Natur und Ästhetik. Sehr lange Einstellungen und langsame Kameraschwenks fesseln von der ersten Minute an. In den morgendlichen Nebelschwaden über den Bauernhöfen und Feldern der südkoreanischen Provinz, in denen Jong-su selbst nach Antworten sucht, schwebt ständig ein leichter aber umso eisigerer Mystery-Hauch, der den Film zu einer undurchdringbaren Wand aus Fragen werden lässt. Dabei verweigert sich Burning permanent einer durch gängige Sehgewohnheiten vorgeschriebenen Erklärungspflicht und zwingt das Publikum stattdessen mit dem zu arbeiten, was man eben alles nicht weiß und was er uns bewusst vorenthält.

Burning

Dass Burning so sehr zu fesseln vermag, obwohl er sich gänzlich jeglichen Konventionen hinsichtlich eines kohärenten Spannungsaufbaus entzieht, ist seinem enorm hohen Selbstanspruch zu verdanken. Mit seiner Vielschichtigkeit wird er diesem nämlich zu jedem Zeitpunkt vollkommen gerecht, was eine packende Faszination für das Gezeigte erschafft. Dabei gelingt es Lee über alle Maße, immer wieder mit den Erwartungshaltungen der Zuschauer zu spielen. Allzu oft ertappt man sich selbst dabei, sicher wissen zu glauben, wie sich die Geschichte entwickeln wird. Und das, obwohl die ersten zwei Stunden lang überhaupt nicht klar wird, was für eine Art Film Burning eigentlich tatsächlich ist, geschweige denn, in welchen Genre-Zonen er sich bewegt. Lee Chang-dong selbst sagt in Interviews, dass der Film davon handle, einen Schuldigen für etwas zu finden, das in der Welt für alle spürbar falsch läuft, aber dennoch niemand so wirklich erklären könne. Und genau dieses eine fehlende Puzzleteil ist es, was Burning so herausragend und einzigartig macht.

Burning

An einer Stelle im Film, kurz nach Bens eintreten in die Geschichte, sagt Hae-mi „Sterben macht mir furchtbare Angst. Ich würde lieber verschwinden, als ob ich nie existiert hätte“. Und unweigerlich fragt man sich mit voranschreitender Handlung, wie viel Wahrheit wohl tatsächlich in ihren Worten steckt, dass sie vielleicht sogar in Wahrheit nie existiert hat. Ebenso wie Jong-su an der Existenz von Hae-mis Katze zweifelt, beginnt man an dem Wahrheitsgehalt des Gezeigten zu zweifeln. Ist Hae-mi eventuell sogar nur ein Hirngespinst, das dem Geist von Jong-su entflohen ist? Aber falls nicht, ist sie Opfer eines brutalen Verbrechens und lebendig verbrannt worden? Es wäre zumindest die naheliegendste Vermutung. Und was hat Ben mit ihrem plötzlichen Verschwinden zu tun, der scheinbar keinerlei Interesse an dem Finden der gemeinsamen Freundin hegt? Die Paranoia beginnt den Geist genauso zu vernebeln, wie die morgendlichen Nebelschwaden die Felder verschleiern und zwischen brennenden Gewächshäusern die Wahrheit verhüllen. In einer Schlüsselszene zwischen Ben und Jong-su auf dessen Terrasse, die einen der tiefgründigsten und fesselndsten Dialoge hat, den ich je gesehen habe, wird die metaphorische Bedeutungsschwere des gesamten Films dann endlich für einen kurzen Augenblick greifbar und bietet zumindest ansatzweise einen Hinweis darauf, welche Wahrheit sich unter dem vielschichtigen Boden befindet.

Burning

Fazit

Burning ist ein wahres Monstrum von einem Film, das sich mit Worten kaum fassen lässt. Die Schönheit der Bilder und die Intensität der langsamen Erzählweise erschaffen einen Sog, der einen tief in einen ganz unterschwellig brodelnden Wahn aus Misstrauen und Paranoia saugt und die Grenzen zwischen Illusion und Realität, zwischen Wahrnehmung und Sinnestäuschung verschwinden lässt. An der Aufklärung all der Rätselhaftigkeiten ist der Regisseur nicht interessiert. Vielmehr ist das Miss- bzw. Vertrauen in den eigenen Verstand der Funke, der die zerstörerischen Flammen entfacht und die Einbildung von fliehenden und verschwommenen Erinnerungen der Treibstoff, den die drei jungen Leute in Burning verbrennen, um am Leben zu bleiben.

Am Ende verhält es sich mit den Mysterien des Films wie mit einer eingebildeten Mandarine, die Hae-mi gleich zu Beginn in einer Pantomime-Darbietung zu schälen vorgaukelt: „Man darf nur nicht denken, dass die Mandarine hier ist. Man muss einfach vergessen, dass die Mandarine nicht hier ist. Wichtig ist nur eins: dass du auch wirklich eine willst. Denn dann kannst du sie auch schmecken.“ Diese hoffnungslose Unwissenheit ist es, was das wahre Grauen der Flammen entzündet, die alle von ihnen verschlingen werden.

 

Bewertung

Grauen Rating: 5 von 5
Spannung Rating: 3 von 5
Härte  Rating: 0 von 5
Unterhaltung  Rating: 4 von 5
Anspruch  Rating: 5 von 5
Gesamtwertung Rating: 5 von 5

Ab 11.10.2019 im Handel:

Burning Burning

Bildquelle: Burning © Capelight

Horrorfilme sind für mich die beste Möglichkeit, die Grenzen des Zumutbaren und des eigenen Sehvergnügens auszuloten und neu zu definieren. Außerdem gibt es kaum ein anderes Genre, das so viele verschiedene gute Ideen, Möglichkeiten und Geschichten hervorbringen kann, da, ähnlich wie im Science-Fiction, einfach alles möglich ist. Es ist faszinierend, wie stark einen gute Horrorfilme in ihren Bann ziehen können und dabei sowohl schockieren als auch unterhalten.

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