Top 139: Diese Filme haben es neu in die Liste geschafft
Bei der neuesten Version unserer Liste der 139 besten Horrorfilme aller Zeiten hat sich einiges getan. Vorige Woche haben wir euch die Filme vorgestellt, die leider nicht mehr in der Liste vertreten sind, aber dafür gibt es viele spannende Neuzugänge, die wir euch nicht vorenthalten wollen.
Wir haben fleißig an unserer neuen Horrorliste gearbeitet und hierbei einiges nachgeschärft. So haben wir zum Beispiel unsere Definition eines Horrorfilms etwas enger gezogen, wodurch einige Filme aus der alten Liste rausgeflogen sind, aber für diese sind andere Filme nachgerückt, die z. B. erst in den letzten Jahren veröffentlicht wurden.
Hier nun die zehn höchstplatzierten Neueinsteiger, die es dieses Jahr in die Liste geschafft haben:
Platz 69: Demons (1971)
Ein herrenloser Samurai bekommt dank der Bemühungen eines treuen Dieners eine große Geldspende. Damit hätte er die Möglichkeit, sich seiner früheren Gruppe von Rōnin wieder anzuschließen, nutzt aber stattdessen das Geld, um eine Geisha, die er heiraten will, von ihrem Herrn freizukaufen. Doch die Involvierten dieses Tauschgeschäftes treiben ein doppeltes Spiel mit dem Samurai, der auf die folgende Demütigung nur eine Antwort kennt: blutige Rache.
Demons ist ein wahrhaft abgründiges Rachedrama, dessen Handlung einen wie in einem Strudel immer tiefer ins Verderben zieht. Das Tempo ist extrem bedächtig, jedoch ist Demons durch den Einsatz von irreführenden Vision- und Traumszenen bei der Gestaltung seiner Narration durch und durch korrupt. Oftmals entpuppt sich das Gezeigte als bloße Vorahnung, die vorerst vermeintlich nicht eintritt, nur um sich anschließend auf noch fatalere Weise doch noch zu erfüllen. Dadurch demaskiert der Film jede Hoffnung auf eine friedvollere Entwicklung der Geschichte als närrische Illusion. Demons spielt mit diesem eigens entfachten Misstrauen des Publikums, das bei den zahlreichen grausamen Szenen die Auflösung als reine Fantasie erhofft. Doch statt Erlösung präsentiert der Film nur grausame Gewissheit darüber, zu welchen unvorstellbaren Gräueltaten Menschen fähig sind. Und dass Rache als erbarmungsloser, alles verschlingender Akt nichts als Spuren der Verwüstung zurücklässt. Solche Dämonen, wie sie in Demons wandeln, können nur aus den tiefsten Abgründen emporsteigen, wenn die Welt der Menschen am dunkelsten ist.
In atemberaubenden Bildern erzählt Demons eine dermaßen nihilistische Geschichte, dass es nur konsequent ist, dass der Film ausschließlich bei Nacht spielt. Ein dankbarer Umstand für den Kameramann Tatsuo Suzuki, denn einige dieser Bilder aus Licht und Schatten sind wahrlich nicht von dieser Welt. Einen solch finsteren Film wird man selten zu Gesicht bekommen. [Robert]
Platz 68: Malignant (2021)
1993 wird das Publikum Zeuge einer Krebsoperation, der sich der junge Patient Gabriel unterziehen muss. In der Gegenwart erwartet Madison nach drei Fehlgeburten ein weiteres Kind, ist jedoch an ihren aggressiven Partner gebunden, der sie an einem Tag mit dem Kopf gegen eine Wand schmettert. Danach wird sie von einer Art Phantom beobachtet und leidet fortan an Visionen von Morden, die kilometerweit von ihrem Standort entfernt verübt werden.
In James Wans Hommage an die Slasher und italienischen Gialli der 70er- und 80er-Jahre, überzeugt Malignant mit einer äußerst ästhetischen Optik, die durch die Visualisierung der Visionen von Madison unterstrichen wird und der Killer sehr geheimnisvoll und elegant, fast schon ikonisch auftritt. Die Kamera erinnert mit ihren Fahrten und Einstellungen tatsächlich an den ein oder anderen Giallo von Argento. Ebenso ist der große Pluspunkt des Films ein Twist bezüglich des Ursprungs des Mörders, den es so nicht oft zu sehen gibt, denn zunächst scheinen die verschiedenen Erzählstränge überhaupt nicht zusammenpassen zu wollen. Diese werden aber im komplett abgefahrenen Ende zu einem großen blutigen und perfiden Finale zusammengefügt.
Malignant ist somit einer der erfrischenden Horrorfilme der letzten Jahre und hat das Potenzial immer wieder zu James Wans besten Filmen gezählt zu werden. [Mathias]
Platz 65: Horror Infernal (1980)
In einem antiken alchemistischen Buch findet die Dichterin Rose (Irene Miracle, Puppet Master) Hinweise darauf, dass ihr Wohnhaus die Brutstätten eines teuflischen Hexenkults zu sein scheint. Auf der Suche nach Beweisen hierfür, landet sie in einem alten Keller, wo sie – neben einigen grässlich entstellten Leichen – einen geheimnisvollen Schlüssel findet. Tief verstört über ihren Fund, schreibt sie ihrem Bruder Mark einen Brief, in dem sie um Hilfe bei der weiteren Recherche bittet. Doch als er in New York eintrifft, ist Rose verschwunden und eine schreckliche Macht scheint erwacht zu sein.
Eingebettet in ein Großstadtsetting entführt uns Argento mit Horror Infernal in eine alptraumhafte Geisterbahn in Form eines Mehrfamilienhauses, das dem Kaninchenbau aus „Alice im Wunderland“ gleicht. Bereits in den ersten Minuten wird mit einer surrealen Stimmung gespielt, wenn wir in einen überschwemmten, modrigen Keller herabgelassen werden, wo man die Fäulnis fast riechen kann. Dieser Surrealismus zieht sich durch den gesamten Film, denn bei der Erforschung des Hauses und der Suche nach dem Bösen erwarten uns verschlungene, enge Gänge und Räume, unlogisch angeordnete Gegenstände, skurrile Figuren sowie das Gefühl, permanent beobachtet zu werden. Je weiter unsere Protagonisten sich dem Mysterium des Hexenkults nähern, umso schrecklicher und beklemmender werden die Visionen und Grausamkeiten inszeniert. Diese setzt Argento mit intensiven Farben und außergewöhnlicher Beleuchtung in Szene und auch Verfolgungen und Morde werden in seiner altbekannten, rasanten Kameraarbeit eingefangen. Der Italiener entzieht sich hier konsequent einer logischen Erzählweise. Garniert wird dieser Trip mit dem virtuosen Soundtrack von Keith Emerson – dessen Hauptthema sich mit Synthies und Chören in die Hirnwindungen des Zuschauers bohrt. Argento schafft mit dem gotischen anmutenden Design des Hauses und raffiniert ästhetisierten Morden einen erfrischenden Mix aus Gothic Horror und Giallo. [Mathias]
Platz 50: Phenomena (1985)
Die junge Amerikanerin Jennifer (Jennifer Connelly, Die Reise ins Labyrinth) reist in die Schweiz, um dort ihre Schulausbildung am berühmten Richard-Wagner-Mädcheninternat zu beginnen. Doch der Zeitpunkt ist denkbar schlecht, denn ein grausamer Serienkiller treibt in der Umgebung sein Unwesen. Jennifer, die sich auf mysteriöse Weise zur Insektenwelt hingezogen fühlt und eine Art telepathische Verbindung mit den Tieren unterhält, versucht die Todesfälle aufzuklären. Unterstützt wird sie dabei von dem eigenbrötlerischen Entomologen McGregor (Donald Pleasance, Halloween), der im Rollstuhl sitzt und sich die zahme Schimpansin Inge als Handlangerin hält. Doch bald ereilt den Insektenkundler das Verhängnis, und auch Jennifer kommt dem umtriebigen Mörder gefährlich nah…
Phenomena ist vielleicht Dario Argentos „unitalienischster“ Film, keineswegs jedoch unoriginell. In seinem wohl vorletzten tatsächlichen Klassiker – nur Terror in der Oper ist jünger – macht Argento vieles anders als zuvor. Mit Donald Pleasance besetzte er einen gefeierten amerikanischen Genrestar, die römischen Gassen und blutroten Jugendstilkulissen früherer Produktionen ersetzte er durch die Schweizer Alpenwelt. Und auch gegenüber der verschlungenen Handlungsstruktur und der grellen Optik seiner Gialli grenzt sich Phenomena durch stringentere Inszenierung und eine weitaus leichtere Konsumierbarkeit ab.
Seine Verspieltheit verliert der Altmeister jedoch keinesfalls, und trotz einer beobachtbaren „Amerikanisierung“ von Plot und Ästhetik präsentiert sich der Film als ein kunterbuntes Kuriositätenkabinett. Jennifer, irgendwo zwischen drolligem Gespenstermedium und insektoider Carrie-Variante angesiedelt, könnte direkt einem Märchen entsprungen sein, wenn sie gemeinsam mit einem Glühwürmchen Detektiv spielt. Der Sonderling McGregor und seine Krabbeltiersammlung beschwören ebenfalls angenehme Gruseltöne und die Akademie mit ihren strengen Internatsregeln gibt einen idealen Rahmen für übernatürliches Coming-of-Age ab. Und dann ist da noch der Affe mit dem Rasiermesser.
Perfekt ist Phenomena mitnichten, und als größtes Manko gilt zu Recht der Soundtrack. Dass Heavy-Metal-Fan Argento den wie immer großartig-gespenstischen Score Goblins mit Fragmenten kreischender Iron-Maiden-Tracks versah, die wohl selbst der treueste Metalhead nur deplatziert nennen kann, nimmt dem Filme eine Menge seiner sonst so stilsicher inszenierten Wirkmacht. Dennoch präsentiert Argento hier eine Punktlandung zwischen rohem Slasher und faszinierendem Mysterythriller, in der er sich selbst treu bleibt. Und die keinesfalls nur Affentheater ist. [Alexander]
Platz 48: Jacob’s Ladder (1990)
Vietnam-Veteran Jacob Singer (Tim Robbins, Die Verurteilten), der inzwischen ein ruhiges Leben mit seiner Freundin Jezzie (Elizabeth Peña, Strangeland) als Postbote in New York führt, träumt seit geraumer Zeit immer wieder, dass er während des Einsatzes im Mekongdelta getötet worden sei. In Flashbacks taucht er außerdem in sein vergangenes Leben mit Ex-Frau Sarah und den gemeinsamen Kindern ein. Dabei verliert er immer mehr den Bezug zur Realität und fühlt sich von menschenähnlichen Dämonen und anderen unheimlichen Gestalten beobachtet. Auf seiner Flucht vor den fremden Kreaturen bringt er sich mehr und mehr in Lebensgefahr.
Regisseur Adrian Lyne, bekannt für erotische Filmklassiker wie 9 1/2 Wochen oder Eine verhängnisvolle Affäre, beschritt mit Jacob’s Ladder neue Wege. Sein Film lässt uns den zunehmenden Verfall des menschlichen Verstandes erleben und untermalt diesen abgründigen Trip mit allerhand sehenswerten und innovativen Grausamkeiten.
Immer wieder packt Jacob’s Ladder uns wie hier mit seiner bizarren Atmosphäre und verunsichert uns, genau wie Jacob, immer mehr, denn Realität, Träume und Visionen verschmelzen zu einem einzigen, düsteren Zustand. Was real und was eingebildet ist, lässt sich nicht mehr voneinander trennen. Jacob’s Ladder verliert sich dabei jedoch niemals in einem psychotisch-übernatürlichen Strudel, sondern lässt uns Luft zum Atmen.
Handwerklich sieht Jacob’s Ladder auch heute noch verdammt gut aus. Das Design der Dämonen ist eher reduziert – mal sieht man ein verzerrtes Gesicht, mal einen dunklen Schatten – gehalten, so dass sie nach wie vor bedrohlich und geheimnisvoll wirken. Der Film arbeitet vor allem mit extremen Zeitrafferaufnahmen. Hierbei bewegen sich Köpfe oder Gliedmaßen derart schnell, dass sie für das menschliche Auge nur noch schemenhaft erkennbar sind. Die Mischung aus schnellen Schnitten während der Visionen, aber auch ruhigen Kamerafahrten und ungewöhnlichen Kameraeinstellungen unterstreichen außerdem den insgesamt bizarren Look des Films. Eingebettet in das fantastische, dreckige New-York-Setting, dessen dunkle Gassen oder verlassene Hallen als atmosphärische Kulisse dienen, entstehen einige Einstellungen, die man nicht mehr vergisst. [Mathias]
Platz 45: The Taking of Deborah Logan (2014)
Doktorandin Mia Medina (Michelle Ang) schreibt ihre Abschlussarbeit über Alzheimer-Patienten und begleitet diese dafür über sechs Monate lang mit einem kleinen Filmteam. Eine dieser an Alzheimer erkrankten Personen ist Deborah Logan (Jill Larson, Shutter Island). Allerdings macht der älteren Dame offenbar mehr zu schaffen als nur die fiese Krankheit.
The Taking of Deborah Logan von Adam Robitel (Escape Room) ist als Found-Footage-Horror inszeniert und weiß mit dem Stilmittel gekonnt umzugehen, wodurch er zweifelsfrei zu den besten seiner Art gehört. Die größte Stärke des Films liegt jedoch im geschickten Ineinanderfließen von Krankheit und Besessenheit. Gerade zu Beginn zieht The Taking seine gesamte Spannung und bedrohliche Atmosphäre aus dem unberechenbaren Verhalten von Deborah, bei der es krankheitsbedingt immer wieder zu gewalttätigen Ausbrüchen kommt. Es ist hier vor allem die überwältigende Performance von Jill Jarson, die jede Szene mit ihr vollkommen dominiert.
Robitel und Ko-Autor Gavin Heffernan (Paranormal Activity: Ghost Dimension) bauen um Jill Larsons Tour de Force herum eine zweckmäßige Story, der ich es verzeihen kann, dass die Hintergrundgeschichte der Besessenheit eher ausgelutscht daherkommt. Wesentlich spannender ist hier ohnehin das Zusammenspiel zwischen Deborah und Tochter Sarah, die sich um ihre Mutter kümmert. Aus dem ergeben sich durchaus spannende Lesarten darauf, wie eine Krankheit wie Alzheimer einem eine Person entfremden kann und diese wirklich zeitweise wie besessen wirkt. Allein dadurch gewinnt The Taking dem Subgenre neue Facetten ab.
Damit ist Robitel ein absolut fesselnder und vor allem unglaublich gruseliger Besessenen-Horror gelungen, der mit seiner Thematik etwas frischen Wind ins Genre bringt. Umso trauriger, dass dieser Perle leider immer noch kein Deutschland-Release gegönnt wurde. [Florian]
Platz 41: Tanz der toten Seelen (1962)
Mary Henry versucht sich ein neues Leben in Salt Lake City als Orgelspielerin aufzubauen, nachdem sie zuvor einen schweren Autounfall hatte, bei dem ihre zwei Freundinnen ums Leben kamen. Der Neuanfang gestaltet sich jedoch nicht so einfach. Mary wird von Albträumen geplagt, hat das Gefühl von einem mysteriösen Mann verfolgt zu werden und fühlt sich sehr fremd in der neuen Umgebung. Zudem übt ein verlassener Vergnügungspark eine seltsame Anziehungskraft auf Mary aus. Ob dies alles irgendwie zusammenhängt…?
Die Idee zum Film kam Regisseur Herk Harvey zufällig als er an dem verlassenen Vergnügungspark Saltair in der Nähe von Salt Lake City vorbeifuhr. Er erkundete den Park und wollte die Location unbedingt für einen Horrorfilm nutzen. Harvey drehte für Centron Schulungsfilme und hatte zu diesem Zeitpunkt noch keinen einzigen Spielfilm gedreht und Tanz der toten Seelen sollte auch sein einziger Spielfilm bleiben.
Aber dieser lebt von seiner alptraumhaften, surrealen Grundstimmung und von einigen unkonventionellen Ideen in Bezug auf Inhalt und Form. Gerade was die Form betrifft war Tanz der toten Seelen quasi die direkte Inspiration für Romeros Night of the Living Dead. Das Drehbuch und die Inszenierung lassen uns in die Schuhe von Protagonistin Mary schlüpfen und uns miträtseln, was zum Teufel mit dieser Welt nicht stimmt. Nachdem wir inzwischen ganze Regie-Karrieren haben, die allein auf Plottwists aufgebaut sind, mag die Auflösung der Geschichte heute nicht verwundern, damals war dies jedoch ganz anders.
In Anbetracht heutiger Horror-Standards ist Tanz der toten Seelen nicht überaus erschreckend, aber gerade die ständige bedrohliche Atmosphäre und das Gefühl etwas sei nicht in Ordnung, macht diesen Film auch noch nach 60 Jahren zu einem würdigen Vertreter des Genres, den man definitiv mal gesehen haben sollte. Tanz der toten Seelen ist eine leider viel zu unbekannte Perle, der ihr durchaus eine Chance geben solltet. [Florian]
Platz 40: The Fall of the House of Usher (1928)
Allan wird von seinem alten Freund, dem Gutsherren Roderick Usher, auf dessen Landsitz gebeten, um diesem in einer schweren Zeit beizustehen: Seine Frau Madeleine scheint sterbenskrank und ihre Kräfte lassen immer weiter nach. Während Allan und Ushers Leibarzt keinen Rat wissen, malt der Hausherr wie besessen an einem Portrait der Sterbenden. Als Madeleine für tot erklärt und beigesetzt wird, kommt Allan dem teuflischen Geheimnis der Ushers auf die Spur…
Der Untergang des Hauses Usher ist die erste Adaption der berühmt-berüchtigten gleichnamigen Gruselgeschichte Edgar Allan Poes. Der Franzose Jean Epstein verfolgte hier bereits einen Ansatz, der Genrefans vor allem aus den späteren B-Movies Roger Cormans (Die Verfluchten) bekannt sein dürfte: Das Grundgerüst der verfilmten Geschichte wird vermischt und angereichert mit Elementen verschiedener anderer Poe-Stories. Der Film wird so zu einem Kaleidoskop verschiedener Gothic-Schauermotive: dem tragischen Tod einer schönen Frau, der leidigen Bürde eines exzentrischen Künstlers, dem Spuk Totgeglaubter. Bei Buch und Dreh assistierte übrigens Jungtalent Luis Buñuel, der ein Jahr später mit Ein andalusischer Hund seinen Ruf als Großmeister surrealistischer Filmkunst untermauern sollte.
Das Untergang des Hauses Usher unterscheidet sich maßgeblich von den cineastischen Vetretern des deutschen Expressionismus, in dem er vielmehr – wie Roderick Usher selbst – ein impressionistisches Gemälde Poe’schen Schauers pinselt. Die gesättigte, staubige Atmosphäre einstigen Prunks, von dem nichts mehr geblieben ist als melancholische, lähmende Düsternis, tränkt jeden Millimeter Zelluloid und nimmt, ebenso wie seine Figuren, auch den Zuschauer ganz und gar gefangen. [Alexander]
Platz 27: Midsommar (2019)
Eine Gruppe von Freund:innen reist nach Schweden, um die spektakuläre Mittsommerfeier im Heimatdorf eines befreundeten Austauschstudenten mitzuerleben und den lokalen heidnischen Kult näher zu studieren. Das paradiesische Idyll und seine herzlichen Bewohner:innen faszinieren die Neuankömmlinge zunächst, doch schon bald häufen sich die merkwürdigen Vorkommnisse. Als die Bräuche zunehmend bizarr und gewaltsam werden, wollen die Gäste abreisen, aber das große Ritual hat bereits begonnen – und sie sind ein Teil davon.
In Midsommar taucht Regisseur Ari Aster (Hereditary) tief in den rituellen Kosmos einer abgeschiedenen heidnischen Dorfgemeinschaft ein, deren radikale Praktiken weit von der zivilisatorischen Norm entfernt liegen und gerade aufgrund ihrer unheilvoll ruhigen Inszenierung nachhaltig verstörend wirken. In schrecklich-schönen und bildgewaltigen Sequenzen verfolgt der Film Protagonistin Dani dabei, wie sie Schritt für Schritt in diesem fremdartigen Kollektiv aufgeht, nachdem sie zuvor einen existentiellen Verlust erlitten hatte. Der Kult steht hier als Metapher für die Familie, geeint im Schönen wie im Schrecken, die im Stande ist, den Einzelnen in seinem Schmerz aufzufangen und ihm Halt zu bieten.
Das leistet die heidnische Gemeinschaft in Midsommar allerdings auf eine ganz spezielle Weise, die auch das Interesse der Anthropologie-Studenten Christian und Josh weckt. Ihre wissenschaftliche Neutralität weicht jedoch bald einer profunden Faszination, die über jede Furcht und jeden Argwohn siegt und die Männer zunehmend in das rituelle Geschehen hineinzieht. Dass Aster sich im Vorfeld mit zahlreichen rituellen Traditionen beschäftigte, spricht dabei aus jeder einzelnen Szene – die üblichen Okkult-Schocker und ihr Jump-Scare-Horror spielen in einer gänzlich anderen Liga. Midsommar ist ein tagheller Alptraum – ein surrealer Reigen, der sein Publikum bis ins Mark erschüttert. [Catherin]
Platz 22: Leuchtturm (2019)
Es ist ein starkes Bild, das Robert Eggers mit Der Leuchtturm zeichnet: eine Insel, umrandet von spitzem Fels, die tosende See, kreischende Möwen, aufgedunsene Nixen und zwei Männer, die sich mit loser Zunge anknurren, bis auch dem Zuschauer die Ohren bluten. Mit jeder Minute, die in dieser expressionistisch angehauchten Filmperle verstreicht, heult das Nebelhorn lauter auf, die beiden schiffbrüchigen Wärter saufen immer weiter und das Leuchtsignal auf der Spitze des Turms windet sich wie der Verstand der beiden in ewigen Kreisbewegungen in den Abgrund.
Was sich aber im Hinblick auf die Geschichte bereits verraten lässt ist, dass sich Der Leuchtturm in einem düsteren Genre-Mix aus Drama, Fantasy und Horror, in dem sogar mehrere humoristische Szenen authentisch eingebunden werden, zu einem mystischen Kammerspiel entwickelt, das die Grenzen des menschlichen Verstandes und seine rationale Auffassungsgabe aus den Angeln hebt. Die Unklarheit über den Wahrheitsgehalt dessen, was die beiden Männer zu sehen und wovon sie Zeugen zu sein glauben, wirkt wie ein sich stetig festziehender Würgegriff, der die beiden immer weiter gegeneinander ausspielt. Der Leuchtturm bietet einiges an Erklärungsansätzen und ist sich seines hohen Anspruchs durchaus bewusst. Dennoch schafft er es elegant, seine Zuschauer mit atemberaubenden Kamerafahrten, einem sich stetig einschleichenden Grauens und einer Soundkulisse, die mir das Blut in den Adern gefrieren lies, so sehr zu fesseln, dass man gar nicht anders kann, als das Gesehene reflektierend zu hinterfragen.
Der Leuchtturm ist in jeder Hinsicht ein überragender und außergewöhnlicher Film. Er ist eine Liebeserklärung an die Anfangsjahre des Kinos, da er in seiner Optik zweifelsohne Anleihen zum deutschen expressionistischen Film der 20er Jahre erkennen lässt. Gleichzeitig wirkt er durch seine Kostüme, sein Set-Design, seine Sprache und nicht zuletzt auch seine Undurchsichtigkeit aber auch absolut zeitlos. Er kreiert eine Authentizität, die mich zu jeder Sekunde voll und ganz in ihren Bann gezogen hat und erzählt in beklemmenden Bildern, unterstützt von einer grandiosen Kameraarbeit, eine Geschichte, in der sich Frust, Neid und Misstrauen zu einem dunklen Strudel aus Wahnsinn vermischen, der mich im Kino vollkommen in seine eiskalten Tiefen gerissen hat. Indem der Film sich ganz der subjektiven Wahrnehmung seiner Figuren hingibt, entfalten die Mysterien eine Atmosphäre nicht fassbarer Bedrohlichkeit, die ihresgleichen sucht. Der Leuchtturm bietet den Stoff, aus dem uralte, finstere und verzerrte Albträume geschaffen sind, wodurch auch Eggerts zweite Arbeit das Potential zu einem zeitlosen Klassiker hat. [Robert]
Nächste Woche Samstag geht es weiter mit unserer neuen 139er und ihr erfahrt wer die großen Gewinner und Verlierer waren.
2 Comments
Grüne Bretzel
90 Jahre lang war Usher nicht in deiner liste. Warum jetzt?
Florian Halbeisen
Liebe Grüne Bretzel,
bei der letzten Liste hatten den Film einfach noch zu wenig in der Redaktion gesehen. Das wurde in den letzten Jahren von einigen nachgeholt und für sehr gut befunden.
Daher ist er jetzt drin.
Liebe Grüße
Flo