Interview

Interview mit Thorsten Fleisch (Flesh City)

Wir hatten das Vergnügen ein Interview mit dem deutschen Regisseur und Experimentalfilmer Thorsten Fleisch zu führen. Dabei ging es um seinen neuen Film Flesh City, die deutsche Filmszene und Grenzüberschreitungen in der Kunst.

Hallo Thorsten, erstmal vielen Dank, dass du dir für uns Zeit nimmst. Du wirst nicht allen unseren Leser_innen ein Begriff sein. Erzähl uns doch etwas über dich, wie du zum Film gekommen bist und über dein künstlerisches Schaffen.

Zum Film gekommen bin ich durch die Super 8 Kamera meines Vaters, die ich mir als Teenager einfach mal geschnappt habe, um damit alles mögliche zu filmen, von schnell in der Kamera geschnittenen Detailaufnahmen meines Zimmers bis hin zu destruktiven Knetmännchenanimationen. Später habe ich mir eine 16mm Kamera gekauft und bin tiefer in die Materie eingestiegen. Dabei habe ich auch einige Filme ohne Kamera gemacht, wie zum Beispiel mein Blut auf transparente Filmstreifen aufgetragen. Zu der Zeit habe ich Film bei Peter Kubelka an der Städelschule in Frankfurt (Main) studiert.

Flesh City
Szene aus Thorsten Fleischs Langfilmdebüt Flesh City

Du bist seit über zwanzig Jahren als Filmemacher aktiv. Wie zufrieden bist du mit den Produktions- und Arbeitsbedingungen hierzulande?

Nicht zufrieden, Daumen runter. Viel Selbstausbeutung. Man findet allerdings Gleichgesinnte, mit denen man auf eigene Faust, jenseits des Industriebetriebs, Projekte stemmen kann.

Und wie schätzt du die deutsche Szene ein? Was hat sich verändert, was müsste sich dringend verändern?

Puh, schwierig, ich fühle mich nicht wirklich einer Szene zugehörig. Ich habe das Gefühl, dass die österreichische (Experimental-)Filmszene mit Sixpack Film wesentlich besser aufgestellt ist, als es in Deutschland der Fall ist. Hier scheint mir doch alles sehr zersplittert zu sein. Ich sehe mich mehr als Einzelkämpfer, ich kümmere mich um alles selbst, von der Produktion bis hin zu den Festivaleinreichungen. Förderung gestaltet sich für mich eher schwierig. Ich habe das mal versucht, finde es aber frustrierend. Sehr bürokratisch, provinziell und konservativ. Wegen mir können sie die ganze Förderung abschaffen und stattdessen lieber eine kleine Künstlergrundsicherung für alle zur Verfügung stellen. Ansonsten ist Berlin durchzogen von zahlreichen Subkulturen, die alle so ihr Ding machen, was ich im Prinzip ganz sympathisch finde.

Welche Regisseure haben dich beeinflusst und warum?

Also konkret aufs Filmemachen bezogen waren sicher Shinya Tsukamoto, Jörg Buttgereit und Richard Kern/Nick Zedd wichtig für mich. Diese Punk-DIY-Haltung fand ich unglaublich inspirierend, um selber mal Hand anzulegen und einfach draufloszufilmen. Deren Filme sind im Prinzip transparenter, als die von den Studios produzierten. Man sieht den Filmen an, dass sie handgemacht sind und man kann sich mehr in den Produktionsprozess hineindenken. Zumindest habe ich das so empfunden. Dazu kamen dann Experimentalfilmer wie Bruce Conner, Peter Kubelka oder Stan Brakhage, wobei das natürlich in eine ganz andere Richtung geht und bei mir eher dazu geführt hat, Film auch musikalischer und strukturalistischer zu sehen und zu denken. Übrigens habe ich vor über 20 Jahren (vermutlich 1995) einen Super 8 Collagefilm zum Thema meiner künstlerischen Einflüsse gemacht:

Wir haben vor kurzem deinen neuen Film Flesh City vorgestellt. Er ist dein Langfilm-Debüt. Wie sehr hat sich die Arbeit daran im Gegensatz zu deinen Kurzfilmen unterschieden? War die längere Laufzeit ein Fluch oder ein Segen?

Es war ein sehr langwieriges Projekt (ca. 4 Jahre). Die Kurzfilme habe ich zwar teilweise auch lange mit mir (im Kopf) herum getragen, aber wenn ich mich dann mal ran begeben habe, waren die auch relativ schnell fertig. Außerdem musste ich diesmal ein Skript und Dialoge schreiben, was für mich auch neu war und gedauert hat. Es war nicht leicht über die lange Zeit motiviert zu bleiben. Allerdings haben sich auch Dinge im Film verändert und es gab viele Momente, wo mich der Film auch überrascht hat. Dazu kam die Arbeit mit Schauspielern und der Crew, was für mich eine echte Herausforderung war. Bisher habe ich an meinen Kurzfilmen nur für mich gearbeitet, plötzlich sind dann andere Menschen beteiligt und man muss kommunizieren und organisieren. Da lastet dann ein ganz anderer Druck auf einem. Davon mal abgesehen, ist natürlich ein Langfilm auch eine Herausforderung in der Dramaturgie und Struktur. Ich bin froh, dass ich nicht komplett den Verstand dabei verloren habe.

Die Settings sehen beeindruckend aus. Wie kommst du zu den Locations? Gehst du hier gezielt auf die Suche?

Danke, die Locations sind mir alle eher zufällig begegnet. Ich interessiere mich für brutalistische Architektur und immer, wenn ich hier in Berlin interessante Locations sehe, mache ich eine mentale Notiz (bzw. ein Photo auf dem Handy). Teilweise habe ich die Story um die Architektur, die ich im Film haben wollte, herumgesponnen.

Flesh City
Berliner Brutalismus in Flesh City

Wie entstehen die Spezialeffekte für deine Filme?

Ganz verschieden. Teilweise echtes Material von der Fleischtheke, ein wenig Make-up Effekte, ein paar Silvester Feuerwerkskörper für die Pyro Effekte und das meiste dann am Computer in After Effects. Die infizierte Stadt am Ende ist eine animierte Photocollage aus chirurgischen Aufnahmen und Photos von Gebäuden. Die abstrakten Flickereffekte am Schluss sind entstanden, indem ich eine schnell flackernde LED mit dem Handy abgefilmt habe. Das Material habe ich dann am Computer weiter verarbeitet, gelayert und auch farbkorrigiert.

Obwohl Flesh City ein Experimentalfilm ist, tauchen viele Science Fiction- und Horrormotive, wie z.B. der Mad Scientist auf. Und Mutationen gibt es auch nicht zu wenige. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Mischung?

Ich bin ein großer Fan von Horror und SciFi. Sowohl Filme als auch Bücher. Als Teenager habe ich viel Stephen King und Greg Bear gelesen. Was die Filme angeht, liebe ich Italo-Horror von Argento bis Fulci, natürlich Cronenberg, aber auch die Klassiker wie Frankenstein und all die anderen Universal-Horror-Filme. Dazu dann vielleicht noch die Bücher von Burroughs und dann haben wir den Inspirationssalat.

Flesh City
Szene aus Thorsten Fleischs Kurzfilm Hex Suffice Cache Ten

Gab es in den letzten 5-10 Jahren Horrorfilme, die du sehr schätzt oder gar als künstlerisch wertvoll einschätzen würdest?

Meatball Machine von Yudai Yamaguchi fand ich super, und auf jeden Fall The Lure von Agnieszka Smoczynska, mehr ein Märchenhorror, aber echt toll.

Du konntest für Flesh City Shaun Lawton (Aeon Flux) gewinnen. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm, aber auch den anderen Schauspieler_innen?

Mit Shaun haben wir einen Tag gedreht und es war super. Der Mann ist ein Profi und er hat auch eine gute Energie und Ausstrahlung. Generell war die Arbeit mit den Schauspielern sehr gut. Sie haben mich meine geringe Regieerfahrung nicht spüren lassen und sich voll und ganz auf den Film eingelassen. Ich hatte das komplette Team wirklich hinter mir und konnte auf volle Unterstützung zählen. Das hat dann den immensen Druck etwas genommen.

Die Kritiken zu Flesh City fallen sehr gespalten aus, entweder man liebt oder hasst den Film. Stört dich sowas oder siehst du es eher als Bestätigung an?

Naja, wundern tut es mich nicht. Der Film ist nicht sehr storylastig und die Story-Elemente, die drin sind, sind auch nicht besonders didaktisch aufbereitet. Wenn man also auf Storytelling und Charakterentwicklung wert legt, wird man bei Flesh City eher enttäuscht werden. Wenn man aber offen ist und vielleicht mehr an einer außergewöhnlichen Seherfahrung, einem visuellen und musikalischen Trip interessiert ist, kommt man sicher auf seine Kosten.

Flesh City
Infizierte Stadt in Flesh City

Flesh City feierte seine Premiere beim Insolito Film Festival in Lima, Peru. Wie kam es dazu?

Die waren die ersten die zugesagt haben.

In einem Interview hast du mal erwähnt, dass das Schöne am Künstler sein ist, dass man seinen Trieben nachgehen kann. Welche Bedürfnisse treiben dich hier besonders stark an und gibt es auch welche, die du dennoch zurückhältst?

Haha, die lieben Triebe. Bei Flesh City sicherlich ein Zerstörungstrieb, zum einen klassische narrative Filmstrukturen zerstören, zum anderen aber auch die Stadt komplett zerstören, weniger in dem Sinne wie Godzilla oder Außerirdische die Stadt dem Erdboden gleich machen, mehr ein organisches Umbauen. Zurückgehalten habe ich mich eher nicht. Da ist alles drin, was ich drin haben wollte. Vor allem mit dem abstrakten Ende bin ich sehr zufrieden.

An die Frage anschließend: gibt es für dich Grenzen in der Kunst?

Ich denke die Grenzen wurden alle so in den 60ern und 70ern ausgelotet. In Österreich ja zum Beispiel von den Wiener Aktionisten, wo dann später Otto Muehl mit seiner Kommune eine Grenze überschritten hat und auch strafrechtlich belangt wurde. Im Prinzip eine interessante Frage, was Grenzen heutzutage bedeuten. Das geht ja über die Kunst hinaus. Gerade wollen sich alle ja wieder abgrenzen um sich sicherer zu fühlen. Da herrscht eine große Angst vor der Grenzüberschreitung. Ich finde ja, dass sich die Grenzen immer mehr auflösen. Die Grenze des Privaten und des Öffentlichen, der Arbeit und der Freizeit… Komplexes Thema.

Flesh City
Thorsten Fleischs Kurzfilm Blutrausch

Du hast mal erzählt, dass du in deiner Jugend gerne Splatterfilme geschaut hast und dies immer noch hin und wieder tust, aber die Richtung nicht magst, in die sich das Horrorgenre entwickelt hat. Da würde mich zuerst interessieren, welche Filme begleiten dich nach wie für und danach welche Probleme siehst du in der aktuellen Entwicklung?

Also ein Problem ist sicher die Ironisierung des Horrors (und auch des Action Kinos). Es gibt mittlerweile auch wieder eine Rückbewegung zu mehr ernsthaftem Horror (It Follows, Babadook, The Conjuring…), der aber auch nichts Neues bringt. Mir jedenfalls nicht. Zum anderen die Torture-Porn-Welle, mit der ich auch nichts anfangen kann. Zombies gehen für mich auch überhaupt nicht mehr. Da sehe ich mir lieber die Klassiker an. Erfrischend finde ich am ehesten noch die Japaner, absurd überdrehter Japan-Splatter kann mich dann doch noch ab und an begeistern. Filme die mich noch immer begleiten, sind sicher Tetsuo, Texas Chainsaw Massacre, Videodrome, Suspiria, The Beyond, Hellraiser, Re-Animator und viele mehr. Die kann ich mir immer angucken.

Vielen Dank, dass du dir die Zeit für unser Interview genommen hast. Wir wünschen dir alles Gute für die Zukunft.

Ich habe zu danken.

Horrorfilme… sind die Suche nach Erfahrungen, die man im echten Leben nicht machen möchte. Sie bilden individuelle wie kollektive Ängste ab, zwingen uns zur Auseinandersetzung mit Verdrängtem und kulturell Unerwünschtem – und werden dennoch zur Quelle eines unheimlichen Vergnügens.

...und was meinst du?