„Der Horrorfilm als Liebesbrief an Außenseiter“ – Interview mit Markus Keuschnigg (Teil 3 von 3)
Wir hatten letztes Jahr beim 10. SLASH Filmfestival das Vergnügen, mit Festivalleiter Markus Keuschnigg ein Interview führen zu dürfen.
Im ersten Teil unseres Interviews dreht sich alles um die Besonderheiten des SLASH, dessen Entwicklung und was Tod Brownings Freaks von 1932 für das Festival bedeutet. Im zweiten Teil ging es um besondere Genre-Empfehlungen, den berühmt-berüchtigten A Serbian Film, Zensur und Film als Kunstform.
Im dritten und letzten Teil sprachen wir mit Markus über den hohen Anteil an Frauen beim SLASH-Publikum, über spannende Festival-Gäste und die herausforderndsten, verrücktesten und schönsten Erlebnisse in zehn Jahren SLASH-Geschichte.
Das 11. SLASH Filmfestival findet vom 17. bis 27. September 2020 in Wien statt. Alle Infos dazu findet ihr auf der Homepage des SLASH. Wir können es auf jeden Fall kaum mehr erwarten, bis es endlich wieder soweit ist.
Wie sind deiner Meinung nach die Menschen, die das SLASH besuchen? Was macht die SLASH-Familie aus?
Ich weiß, dass sie sehr divers ist. Je diverser unser Programm wird, desto mehr merkt man natürlich auch, dass Menschen zum Beispiel das Female Terror Programm (von 2019) besonders wahrnehmen. Oder besonders wahrnehmen, dass wir Filme von Regisseurinnen zeigen oder Filme, die stärker in eine künstlerische Richtung gehen. Da kommen zum Beispiel auch Kunststudierende zu uns. Dann gibt es natürlich noch die Gore-Hounds, die einfach sehr gerne in einen Rob-Zombie-Film oder in die späteren Filme gehen. Meine Hoffnung ist dann immer, dass diese Menschen, die zu uns kommen, immer wieder wagen, auch andere Dinge bei uns wahrzunehmen. Was glaube ich auch oft gelingt. Also das ist mitunter unsere Stärke, dass man Menschen so ein bisschen aus ihrer Komfortzone raus bringt und halt vielleicht einen mal eher künstlerischen Film anbietet. In dem sitzt man dann drin und vielleicht taugt er einem oder vielleicht auch nicht. Das wäre ein bisschen mein Wunsch. Ich glaube den oder die SLASH-BesucherIn gibt es prinzipiell nicht. Wir hatten 2016 eine Erhebung von einer Consulting-Firma, bei der sich gezeigt hat, dass zu uns mehr Frauen als Männer kommen, was ich relativ besonders fand. Es waren bei der Erhebung jetzt nicht deutlich mehr Frauen als Männer aber doch mehr als die Hälfte.
Das ist ein spannendes Ergebnis, wenn man bedenkt, dass Horror im Allgemeinen eher als männliches Genre wahrgenommen wird.
Man muss sich ja auch wohlfühlen und es ist natürlich auch unsere Aufgabe ein wertschätzendes, respektvolles Environment aufzubauen. Und ich glaube, die Menschen haben schon ein Gefühl, dass man, wenn man zum SLASH kommt, einen gewissen Wertekanon unterschreibt. Und dass jede einzelne Mitarbeiterin und jeder einzelne Mitarbeiter von uns, sollte man irgendwann drauf kommen, es gäbe da einen Vorfall, bei dem eine Frau, ein Mann, wer auch immer, da deppert angeredet worden wäre, dann wären sofort zehn Leute dort und würden den Typen oder die Frau dann raushauen; oder würden auf jeden Fall sagen, das geht nicht. Es liegt eben auch in unserer Verantwortung solche Environments zu schaffen, die dann diesen gewissen Chauvinismus, der eine lange Zeit kultiviert wurde, einfach nicht hinnimmt.
Eure Gäste sind ja oft sehr hochkarätig. Wie schwer ist es, diese zum SLASH zu bekommen?
Es ist grundsätzlich leichter geworden. Das hat ein bisschen was damit zu tun, dass es uns jetzt zehn Jahre gibt und man uns schon kennt. Viele waren auch schon einmal da. Die Verleihfirmen, die uns ja oft mit den Regisseurinnen und Regisseuren verknüpfen, werden auch mit ihren Leuten reden, die schon bei uns gewesen sind. Ich hoffe, dass viele dann gesagt haben, das war eine geile Zeit. Und das heißt natürlich, dass es darüber dann einfacher wird als ganz am Anfang.
Mit den quasi größeren Gästen kommt es immer ganz stark darauf an, ob man einen persönlichen Kontakt herstellen kann. Ich mache das dann sehr gerne oft so, dass ich als künstlerischer Leiter diesen Menschen, diesen Schlüsselgästen sozusagen, einen persönlichen Brief schreibe. Denn das sind jetzt auch nicht Leute, die wir uns einfach anhängen wie Ohrringe, um einfach herum zu glänzen. Sogar bei Nicolas Cage gab es Gründe dafür, ihn hier zu haben. Wir haben das Festival mit einem Film eröffnet, in dem er mitspielt und als künstlerischer Leiter des Festivals bin ich auch persönlich ein großer Freund seines unzeitgemäßen, anachronistischen mimischen und gestischen Ausnahmespiels. Es ist etwas sehr Besonderes und das gefällt mir. Und insofern gibt es immer einen guten Grund und ich probiere immer dementsprechend persönlich zu vermitteln, so gut wie es geht – oft auch biografisch hergeleitet – und erzähle, warum ich die Persönlichkeit so wesentlich für die Kultur finde, die wir ausstellen.
Und natürlich klappt das nicht immer und natürlich soll es jetzt auch nicht so sein, dass das SLASH quasi ein Hafen dafür ist, dass jetzt jedes Jahr ein Star kommt. So funktionieren und denken wir nicht. Wir wollen interessante Menschen einladen, von denen wir die Filme toll finden und die wir selber kennenlernen möchten – ein bisschen Eigennutz ist natürlich auch dabei – und bei denen wir uns denken, das kann spannend werden und das kann wunderbar sein. Und letzten Endes gibt es noch eine große Litanei von Menschen, die wir herholen möchten. Schauen wir mal, was sozusagen in den nächsten zehn Jahren noch so alles passiert.
Was waren die verrücktesten, absurdesten Erlebnisse mit Gästen und/oder Publikum?
Da gibt es sehr viele. Zum Beispiel hatten wir keine Ahnung, dass Crispin Glover, der vor acht oder neun Jahren bei uns war, Rohköstler ist. Also dass er ausschließlich ungekochtes Essen verspeist und dass Avocados sein Grundnahrungsmittel sind, eine Frucht, die es damals noch nicht überall gab. Wir hatten schon beinahe Nervenzusammenbrüche, weil wir wer weiß wie viele Avocados auftreiben mussten, ansonsten wäre Herr Glover uns wohl verhungert.
Solche Dinge gab es zuhauf. Das ist auch etwas Schönes, wenn man Zeit mit Menschen verbringt. Sehr toll finde ich auch Beatrice Dalle, die große französische Grenzschauspielerin. Vor ihrem Besuch haben wir uns etwas gefürchtet, weil es hieß, sie ist ein bisschen ein freies Radikal und wenn sie da ist, weiß man nicht ganz genau, was dann alles passiert. Es war wunderbar und wir hatten eine wunderschöne Zeit mit ihr aber sie war halt auch im kunsthistorischen Museum und hat dann dort den Alarm ausgelöst, weil sie die Kunstwerke berührt hat. Der Alarm ist losgegangen und sie hat sich wahnsinnig darüber bei den MuseumsmitarbeiterInnen aufgeregt, weil Kunst natürlich angegriffen werden muss. Sie ist selbst Künstlerin, das musst du angreifen dürfen und solche Dinge.
Ich denke auch immer wieder ganz gern zurück an das Screening von White: Melody of Death von 2013. Da sind wir viel zu spät darauf gekommen, dass bei dem Film in koreanischer Sprache keine Untertitel mitgeliefert wurden. Das war dann schon auch so Lackmustest für uns als Team, wie geht man damit um. Also einerseits muss ich sagen, wir haben ein wunderbares, verständnisvolles Publikum. Ich habe immer das Gefühl, die Sympathie geht in beide Richtungen. Natürlich ärgert man sich als Team und freilich gibt es auch im Publikum Leute, die sich dann aus verständlichen Gründen ärgern. Wir haben dann einfach Schnaps oder Wodka ausgeteilt und das wurde auch gut angenommen und viele sind überraschenderweise sitzen geblieben.
Man hat den Film trotzdem irgendwie verstanden, finde ich. Also es war universelle Slasher- und K-Pop-Sprache – das hat funktioniert.
Ja genau. Und das erzählt natürlich auch sehr viel, muss man sagen. Dass da kein großer Aufschrei passiert und kein Skandal daraus gemacht wird, wie scheiße das Festival sei oder wie blöd organisiert und man kommt nie wieder. Sondern dass Fehler passieren können, nicht passieren sollen, aber keiner ist davor gefeit.
Es ist schon auffällig, dass das Publikum auf solche Sachen recht locker und humorvoll reagiert. Es war ja auch 2018 bei Anna and the Apocalypse, als das Bild dann ins Negativ gekippt ist. Es gab großes Gelächter, man ist eine rauchen gegangen und hat dann einfach weiter geschaut.
Ich kann mich noch an Masters of the Universe erinnern, als dann im letzten Akt die ganze Zeit der Film aus dem Projektor geflogen ist; wo es wirklich alle drei Minuten gesponnen hat. Trotz bester Vorbereitung kann es leider immer wieder passieren.
Im Jahr 2018 habt ihr das Metro-Kino als weitere Spielstätte hinzugenommen. Dadurch gab es in dem Jahr erstmals sehr viele Wiederholungen im Programm, viele Filme wurden doppelt gezeigt. 2019 gab es insgesamt wieder mehr Filme und mit 70 Filmen ein wirklich riesiges Programm. War das erste Jahr so ein bisschen ein Testlauf? Wie hat sich das eingependelt?
Das war 2018 ein bisschen so wie Kaffeesud lesen. Wenn du acht Jahre lang in einem Festival programmierst, dann ist man im Sinne dessen, was das Filmcasino an Publikumsvolumen fassen kann, irgendwann an einer gläsernen Decke angelangt. Das jetzt Filme um 13:00 Uhr oder um 01:00 Uhr restlos ausverkauft sind, mag irgendwann mal vorkommen, aber das ist nicht Usus. Da kommen halt nur ein paar Menschen, das ist aber bei vielen Festivals so, nicht nur bei uns. Und da hatte ich das Gefühl, da stehen wir an. Also haben wir gesagt, wir müssen schauen, dass wir eine zweite Spielstätte finden. Und da fragst du dich, wie machst du das jetzt? Wir wollten mehr Wiederholungen zeigen und haben darum 2018 fast 70% des Programms zwei mal gezeigt. Danach haben wir uns die Zahlen angeschaut und haben ein bisschen überlegt, welche Filme brauchen und benötigen es tatsächlich.
Im ersten Jahr wollten wir insbesondere unsere Stammgäste nicht vergraulen. Wir haben vorher oft gehört „Dann kann ich ja nicht mehr alles schauen und das ist ja grauenhaft und schrecklich und so weiter und so fort“ und deswegen haben wir probiert, die Ausweitung auf eine zweite Spielstätte so gut wie möglich einzudämmen. Trotzdem war es natürlich so, dass die Leute nicht mehr alles sehen konnten. Und wie wir dann erfahren haben, fanden es die Leute doch nicht ganz so dramatisch und schrecklich. Das ist wie bei jedem anderen Festival auch, dass du einfach nicht alles sehen kannst. Das ist einfach so.
Und deswegen waren wir 2019 von dem her ein bisschen mutiger. Jetzt muss man sich eben öfters entscheiden, schaue ich das oder schaue ich das andere an. Wir haben dazu noch keine negativen Rückmeldungen dazu bekommen. Es ist jetzt vielleicht einfach mehr wie bei einem anderen Festival. Im Vorjahr war es einfach ein bisschen eine von uns und auch von mir gesetzte Rücksichtnahme darauf, die Menschen jetzt nicht vor den Kopf zu stoßen. Das wäre das Letzte gewesen, was wir wollen und insofern haben wir uns langsam an eine Form herangetastet, wie man beide Kinos optimal bespielen kann. Auch 2019 werden wir uns natürlich ganz genau anschauen, wie es funktioniert und was man daraus lernen kann. Prinzipiell bin ich damit zufrieden. Ich brauche jetzt nicht 150 Film, aber es gibt so viele Strömungen und Unterströmungen und uns geht es ja auch darum, diesen Fächer ein bisschen aufzuspannen und die Phantastik, so wie es von der Frühform des Kinos an war, als eine absolut valide zweite Sichtweise auf diese Kunstform Kino oder den Zugang zu dieser Kunstform Kino zu präsentieren. Und insofern hat da viel Platz.
Wie oft in den letzten zehn Jahren SLASH wolltest du schon alles hinschmeißen und was hat dich davon abgehalten?
Prinzipiell gab es schon jedes Jahr Momente, in denen ich mir gedacht habe, warum tue ich mir das an? Warum tun wir uns das an? Oft ist es tatsächlich so, dass die Bekanntgabe der Förderergebnisse oft so Dämpfer sind. Auch wenn man sich darauf vorbereitet. Am Anfang wussten wir das noch nicht so ganz genau, aber dann groovt man sich so irgendwie ein, doch auch dann gibt es immer wieder Dämpfer und da denkt man sich, verdammt. Jetzt musst du einfach wieder mit diesem Geld arbeiten und du weißt es wird wieder hart werden und es wird wieder jeder viel zu wenig verdienen. Das sind Momente, bei denen wir uns oft denken: „Für was? Warum?“ Das ist echt oft bitter. Dann gibt es aber natürlich auch wieder die Momente, an denen man auf das Publikum trifft, also wie beim SLASH einhalb. Das hilft einem dann wieder über diese Verzweiflung drüber.
Es gab zwei Momente, bei denen das Festival überhaupt vor dem Aus stand. Zweimal hat es finanziell so ausgesehen, als könnte das Festival nicht mehr weitergehen, weil es eben ganz schwierig ist, wenn man das Budget zu 100% auskratzt, aber im Vorhinein im Finanzierungsplan mit erwarteten Einnahmen und Umsätzen und Sponsoringgeldern kalkulieren muss, die natürlich eine gewissen Schwankungsbreite haben. Das kannst du selbstverständlich nicht hundert prozentig festsetzen. Und dann ist man plötzlich in einer Situation, in der ein paar Tausender fehlen oder auch ein paar mehr Tausender fehlen, und damit in existenzieller Bedrohung. Der Vorstand des Festivals haftet ja auch dafür und dann muss man eben schauen.
Ich habe mich persönlich schon oft gefragt, ob ich nicht in Richtung Karriere eine pragmatischere Entscheidung hätte treffen sollen. Mitte 20 bis Mitte 30 fangen viele Menschen an zu arbeiten und wenn sie gut sind, haben die dann mal ein bisschen mehr Geld und dann kann man dies tun und jenes tun und schön auf Urlaub fahren und andere Dinge machen. Und ich weiß es nicht, woran es liegt, dass ich dann doch immer wieder andere Wege wähle. Ich glaube, Karriere bedeutet mir einerseits wenig im klassischen Sinn. Freilich hätte ich gern ein bisschen mehr Geld, aber das ist jetzt wieder sehr privat. Und ansonsten glaube ich einfach nach wie vor sehr an dieses Festival und glaube dass es wichtig ist. Und deswegen macht man es halt dann trotzdem immer wieder weiter.
Um in die andere Richtung zu fragen: Was waren die Highlights, an die du dich immer wieder gern erinnerst?
Es ist uns ab und an gelungen den Überraschungsfilm so zu programmieren, dass ganz kurz nach einer Weltpremiere der Film schon bei uns gelaufen ist, The Raid zum Beispiel im Jahr 2013/2014. Das war natürlich immer wieder eine Freude. Wir haben uns sehr gefreut als wir It als Eröffnungsfilm bekommen haben. Zum Film selbst kann man jetzt natürlich stehen, wie man möchte, aber ein Eröffnungsfilm, der muss halt strahlen. Und das war zu dem Zeitpunkt, als wir den fixiert haben, noch nicht absehbar, dass der dermaßen Fahrt aufnehmen wird. Und plötzlich war es nicht mehr It, sondern das It-Movie, das jeder sehen wollte. Und das war wunderbar und ist toll aufgegangen. Da gab es immer wieder ganz wunderbare Momente, es sind zu viele, als dass ich die jetzt direkt so auswählen könnte.
Neben dem SLASH gibt es inzwischen auch das SLASH einhalb, das SLASH-X-Mas und diverse SLASH-Premieren. Wo siehst du das SLASH in den nächsten zehn Jahren? Auf was dürfen wir uns noch freuen?
Ich möchte gern, dass das SLASH den Weg weiter geht. Also ich finde, jetzt müssen mal Jahre der Konsolidierung eintreten. Einen großen Schritt haben wir 2018 mit einer zweiten Spielstätte gemacht. Das ist etwas, was wir sehr toll finden. Was ich sehr schön fände, wäre, wenn wir ein bisschen mehr in die Stadt raus gehen können. Ich träume immer wieder davon, dass man etwa den Exorzisten in einer Kirche zeigt, dass man Jaws in einem Freibad oder Hallenbad zeigt. So etwas finde ich besonders schön und toll. Das möchte ich gerne machen. Und ich möchte ein bisschen andere Kunstformen sozusagen einbinden. Die Genrefilmkultur ist eine sehr durchlässige. Viele unserer Gäste malen zum Beispiel oder machen Musik. Und da möchte ich gerne schauen, dass man andere Kunstformen, die direkt am SLASH bzw. mit dem SLASH verzahnt sind, dementsprechend ein bisschen mehr ausstellt. Und ansonsten gibt es die erwähnte Litanei von Gästen, die wir gerne noch herholen wollen. Insofern glaube ich, haben wir gut zu tun.
Dann sagen wir vielen, vielen Dank für deine Zeit und das spannende Interview!
Interview geführt von Heike und Florian.
Transkribiert von Heike.
Bilder © Mercan Sümbültepe (sofern nicht anders gekennzeichnet)