Flesh City (2019) – Review
Der deutsche Experimentalfilm Flesh City lässt nichts unversucht, um die Synapsen seiner Zuschauer zum Explodieren zu bringen. Regisseur Thorsten Fleisch konfrontiert uns in seinem Spielfilmdebüt mit der Vision einer nihilistischen Stadt, deren Bewohner alles tun, um sich die Realität vom Leib zu halten.
Originaltitel: |
Flesh City Deutschland 84 Minuten Thorsten Fleisch Thorsten Fleisch Christian Serritiello, Eva Ferox, Maria Hengge u.a. |
Inhalt
Die Handlung spielt in Berlin. Die pulsierende Metropole ist in Flesh City ein lebensfeindlicher Ort, die Straßen sind grau und menschenleer. Zuflucht suchen die Menschen in den psychedelischen Clubs der Stadt, so auch der junge Vyren (Christian Serritiello, Eine dunkle Begierde). Eines Nachts erkundet er gemeinsam mit der DJane Loquette (Eva Ferox) die Kellergewölbe eines Clubs, in denen zufälligerweise auch ein verrückter Wissenschaftler sein Unwesen treibt. Dessen Faible sind Mutationen, präziser gesagt Tentakel, und für seine Experimente fängt er zugedröhnte Partygäste ab. Das muss auch Vyren am eigenen Leib erfahren. Zwar gelingt ihm die Flucht, doch ganz menschlich ist er dabei nicht mehr. Schon bald breiten sich die Mutationen wie eine Infektion in der gesamten Stadt aus, die daraufhin zu neuem, unheimlichen Leben erwacht …
Kritik
Das Berlin des Films ist eine dystopische Totenstadt, deren Bewohne dem Nihilismus und der (Selbst-)Zerstörung huldigen. Da gibt es die Sängerin und Performance-Künstlerin Womb Envy; sie träumt davon, ein Buch aus ihrem eigenen Fleisch binden zu lassen, wenn sie nicht gerade ihr Publikum damit beeindruckt, wie sie sich eine Klinge in den Unterleib rammt. Oder Quantum 1337, der in seiner Sendung „Magical Nihilism“ im Stil eines MTV-Moderators auf LSD Songs wie „Dead Baby“ oder „Nuklear Fanboy“ anmoderiert – Musikvideos inklusive. Oder Narizza und Laudia, die mit „Vote Zatan“ einen Channel für technikaffine Teufelsanbeter betreiben, dessen Angebot von der Beratung bis hin zum täglich gestreamten Ritual reicht.
Flesh City ist ein radikaler Experimentalfilm und als solcher sicher nicht jedermanns Sache. Dem Film geht es nicht um eine Narration im klassischen Sinne und erst recht nicht um Linearität – auch, wenn die vage Handlung vielleicht den Eindruck erwecken mag. Schwarzweißaufnahmen von verfallenen Industriebauten und tristen Hochhaussiedlungen wechseln sich ab mit Clubszenen und Musikvideos. Als Zuschauer sieht man sich mit einer hemmungslosen Reizüberflutung konfrontiert, die schnell in Orientierungsverlust mündet, aber eine spannende Synthese erzeugt. Berliner Brutalismus trifft auf überdrehte Exploitation-Ästhetik. Natürlich muss man einkalkulieren, dass es sich bei Flesh City um eine No-Budget-Produktion handelt, die innerhalb von vier Jahren ohne nennenswerte finanzielle Mittel realisiert wurde. Daran gemessen, wartet der Film jedoch mit einer beeindruckenden Menge an technischen Spielereien auf.
Die Grenze zwischen „trippy as fuck“ und nervtötend muss jeder für sich allein ziehen. Lässt man sich allerdings auf diesen sehr speziellen Film ein und übersteht die zugegebenermaßen etwas zähe erste Hälfte, wird das mit reichlich Bodyhorror, transhumanistischen Visionen in Retro-Optik und einem intensiven Finale belohnt. Biologie und Technik verschmelzen zu einem allumfassenden, pulsierenden Organismus; zerebrale Wucherungen beleben die kalten, nackten Mauern von Flesh City und verbinden die Menschen wieder miteinander. Auf den Betontod folgt die Revitalisierung.
Fazit
Flesh City hat sich als Experimentalfilm einer ganz eigenen Ästhetik verschrieben. Das Ergebnis ist eine Seherfahrung, die garantiert noch länger im Gedächtnis bleiben wird: Ein filmischer Trip, ein dystopischer Technothriller, eine poetische Bildstörung.
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Story |
Bildquelle: Flesh City© Fleischfilm/Tropical Grey Pictures