Kritik

Sleepless Beauty – Gefangen im Alptraum (2020) – Review

Oh weh, Torture Porn in 2021? Eins ist sicher: Heiter wird es definitiv nicht in Pavel und Aleksandra Khavleevs Sleepless Beauty. Wir haben ein wenig an der Kruste gekratzt und schauen, ob sich darunter mehr verbirgt als Eiter und Wundwasser.

Originaltitel: Ya ne splyu (Я не сплю)
Land: Russland
Laufzeit: 81 Minuten
Regie: Pavel Khvaleev
Drehbuch: Aleksandra Khvaleeva
Cast: Polina Davydova, Evgeniy u.a.
VÖ: Ab 28.05.2021 als DVD und Blu-ray im Handel

Inhalt

Bei ihrem Erwachen findet sich die junge Englischlehrerin Mila (Polina Davydova) in einem karg gefliesten Raum auf einem Stuhl angebunden wieder. Wer sie entführt und warum es sie getroffen hat, weiß sie nicht. Bis eine blecherne Stimme aus einem Lautsprecher sie zur „Recreation“ wilkommen heißt und ihr die Regeln dieses speziellen Programms erklärt. Schlaf ist verboten, absoluter Gehorsam Bedingung fürs Überleben. So beginnt ein qualvolles Martyrium, dessen Ende nicht absehbar ist.

Kritik

Mitte der 2000er trat mit Filmen wie Hostel und Saw das Genre des Torture Porn für eine kurze Hochphase ins Rampenlicht der Kinowelt. In seinem insgesamt vierten Langfilm knüpft Pavel Khvaleev gemeinsam mit seiner Frau Aleksandra, die das Drehbuch für Sleepless Beauty schrieb, an dieses so populäre wie kontroverse Genre an.

Dabei sollte zunächst festgehalten werden, dass man hier nicht Zeuge der langsamen körperlichen Zerlegung von Mila wird. Der Angriffspunkt ist nicht Milas Leib, sondern ihre Psyche. Der Körper dient eher als das Tor dorthin und wenn er ausgezehrt und grau von Schlafentzug, Hunger und Dehydration beginnt nachzugeben, ist der Weg ins Innere frei. In dieser Verschiebung löst sich Sleepless Beauty von anderen Genrevertretern, ohne jedoch ganz herauszufallen. Zu offensichtlich werden klassische Topoi bedient. Die Protagonistin ist ein weißes Blatt. Eine Projektionsfläche, der als Individuum keine Bedeutung in diesem Film zukommt. Ebenso wie dem Scharfrichter, dessen Gesicht über die ganze Laufzeit sicher unter einer Sturmhaube versteckt bleibt. Auch spielt die Handlung sich die allermeiste Zeit in dem Raum ab, in dem Mila gefangen ist. Am Rande sind zwar immer wieder Szenen zu sehen, die sich draußen ereignen, doch Dreh- und Angelpunkt bleibt Milas kaltes Purgatorium, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint. So folgt die Kamera knapp anderthalb Stunden lang diesem penibel ausgeführten Angriff auf den Geist der jungen Frau. Auch wenn nicht am laufenden Band Blut spritzt und Körperteile fliegen, verfehlt dies die gewollte Wirkung keineswegs.

Den Khvaleevas gelingt es jedoch, durch einen so einfachen wie brillanten Coup eine zusätzliche Dimension in den Film einzuschleusen. Milas Gefängnis wird immer wieder aus der Perspektive einer Webcam gezeigt, während dazu am Bildrand ein Chat mitläuft, wie man es von Steamingplattformen Twitch kennt. In diesem Chat tummeln sich anonyme Gäste, zahlende Zeugen des Geschehens, sowie Administratoren, deren kryptische Zwischenbemerkungen das Gesehene kommentieren.

Durch das Einblenden des Chats können wir als Zuschauer nun die virtuelle Zuschauerschaft innerhalb des Filmes beobachten. Und das Bild, das sich hier bietet, ist gelinde gesagt widerwärtig. Durch diese zusätzliche Beobachtungsebene treten wir einerseits in eine gewisse Distanz zur Filmhandlung. Es ist beinahe eine Erleichterung, nicht der direkte Adressat zu sein. Andererseits lädt diese Perspektivverschiebung zur Reflexion ein. Die virtuellen Zuschauer werden zum Zerrspiegel. Ihre geifernde Blutgeilheit, die schiere Lust am anonymen, konsumierbar gemachten Leid, wird zu etwas, dass wir hoffen nicht in uns selbst zu erkennen.

Doch geht der Film an dieser Stelle über die reine Beziehung zwischen Publikum und Werk hinaus. In ihrer Anonymität sind die Gäste Querschnitt einer Gesellschaft. Hier erklärt sich auch, warum weder Mila noch der Folterknecht, ebenso wenig die Gäste oder die Administratoren als Individuen in Erscheinung treten. Es geht nicht um persönliche Abgründe einzelner Perverser und derer, die sich daran ergötzen. Es geht um systemische, gesellschaftliche Mechanismen, die sich zuerst in der Anonymität Bahn brechen. Die Gewalt, die durch die fortschreitende Modernisierung aus unserer direkten Erfahrung verbannt wird, ist eben nicht abgeschafft, sondern lediglich suspendiert. Und dort, wo sich die Räume der Gewalt eröffnen, wird mit einem Mal wieder alles möglich.

Gleichzeitig geht es aber nicht einfach nur um willkürlich ausgerichtete Gewalt. Viel mehr wird deutlich, dass sie sich konkret gegen Mila als Frau richtet. Nirgendwo tritt dies so dämonisch hervor wie in der ersten Aufgabe, die sie zu bewältigen hat und in der auf einen Schwangerschaftsabbruch Bezug genommen wird, dem sich Mila irgendwann in der Vergangenheit unterzogen hat. Für diesen soll sie nun nominell bestraft werden, während der Webcam-Mob vor den Bildschirmen sich genüsslich den blutigen Schaum von den Lippen leckt.

Der weibliche Körper ist hier nicht Eigentum der Frau, sondern gesellschaftliche Reproduktionsstätte, und wer sich dieser Reproduktion verweigert, muss unterworfen werden. Das spiegelt sich letztlich auch in dem gesamten Projekt „Recreation“. Ist zu Anfang nicht ersichtlich, ob es sich um ein perfides gesellschaftliches Angebot oder ein geheimes psychologisches Experiment handelt, wird am Ende klar: Beides ist der Fall. Das Ziel der ganzen Prozedur war es, Milas Geist zu brechen und sie zu einem Werkzeug für die Zwecke der Administratoren zu machen. Dass diese Administratoren in irgendeiner Weise in politische oder ökonomische Verflechtungen eingebunden sind, wird relativ früh deutlich. Etwas unklar bleibt jedoch, warum ein scheinbar so absurdes Experiment einer zahlenden Öffentlichkeit zugänglich ist. Tatsächlich ein Irritationspunkt, der durch Marktlogiken von Angebot und Nachfrage nur unzureichend erklärt wird.

Leider ist dies nicht die einzige narrative Schwäche, die Sleepless Beauty aufweist. Auch die Szenen, in denen der Zuschauer Milas Vater kennenlernt, der gemeinsam mit einem Polizisten das Verschwinden seiner Tochter aufzuklären versucht, sind im besten Fall Störfaktoren im ansonsten gut funktionierenden, Fluss des Films. Im schlechtesten Fall erscheinen sie einfach als unmotivierte Lückenfüller, die man noch brauchte, um auf knapp eineinhalb Stunden Laufzeit zu kommen.

Handwerklich lässt sich ansonsten jedoch erfreulich wenig aussetzen. Effekte, Kamera und Schauspiel sitzen. Die Inszenierung setzt auf eine durchgehend bedrohliche Grundstimmung, die gelegentlich durch kurze Eruptionen und ein angezogenes Tempo durchbrochen wird. Das Highlight jedoch ist die im letzten Drittel recht unvermittelt über den Zuschauer hereinbrechende Animationssequenz von Jakov Ivanusa. Ein kollagenhafter Alptraum, der jeder Beschreibung spottet und gut dem übernächtigen Hirn eines David Lynch auf wirklich miesem Crack hätte entsprungen sein können.

Fazit

Sleepless Beauty schafft es, das Torture-Porn-Genre durch eigenständige Nuancen und einen erweiterten gesellschaftlichen Blick zu bereichern. Handwerklich gut gelungen, allerdings mit einigen Schwächen in der Erzählung, haben wir es im Großen und Ganzen mit einem spannenden Film zu tun, der unter der Oberfläche eine Menge mehr zu sagen hat, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

Bewertung

Grauen Rating: 4 von 5
Spannung Rating: 3 von 5
Härte  Rating: 3 von 5
Unterhaltung  Rating: 2 von 5
Anspruch  Rating: 3 von 5
Gesamtwertung Rating: 3 von 5

Ab 28.05.2021 im Handel:

Sleepless Beauty Sleepless Beauty

Bildquelle: Sleepless Beauty © UCM.One

Horrorfilme… sind für mich das Erkennen, Überschreiten und Herausfordern von gesellschaftlichen Grenzen durch abgründige Ästhetik und damit Kunst in ihrer reinsten Form. Vor allen Dingen machen sie aber einfach unfassbar Spaß.

...und was meinst du?