Lux Æterna (2019) – Review
Nach seinem energetischen LSD-Rausch in Climax entfesselt Gaspar Noé in Lux Æterna bei der Vorbereitung zu einer filmischen Hexenverbrennung erstmals in seiner Filmografie wahrlich apokalyptische Qualitäten. Zwischen metaphysischen Erlösungen und metafiktionalen Konflikten positioniert sich Lux Æterna als sein bisher experimentellstes aber auch aggressivstes Werk.
Originaltitel: | Lux Æterna |
Land: | Frankreich |
Laufzeit: | 51 Minuten |
Regie: | Gaspar Noé |
Drehbuch: | Gaspar Noé |
Cast: | Charlotte Gainsbourg, Béatrice Dalle u.a. |
VÖ: | Ab 14.05.2021 im Handel |
Inhalt
Die französische Schauspielerin Béatrice Dalle (Inside) steht mitten in der Realisation ihres Spielfilmdebüts als Regisseurin, das sich an einer filmischen Aufarbeitung der Hexenverbrennungen versucht. Ihre Schauspielkollegin Charlotte Gainsbourg (Antichrist) ist für die Hauptrolle vorgesehen, doch abgesehen von der guten Chemie zwischen den beiden Frauen herrscht am Set eine angespannte Atmosphäre. In Vorbereitung auf eine Schlüsselszene, in der Gainsbourgs Charakter auf einem Scheiterhaufen verbrannt werden soll, breitet sich unter allen Anwesenden immer mehr Hektik aus, die schnell in pures Chaos eskaliert. Ein schockierender Anruf von Gainsbourgs Tochter bringt sie zudem endgültig aus der Fassung und während sie für den Dreh der Szene an einen Pfahl gebunden wird, hält plötzlich das titelgebende ewige Licht Einzug in die Szenerie…
Kritik
Obwohl die Spielfilme von Gaspar Noé bei ihrer Rezeption häufig zwischen den vermeintlichen Gegensätzen der Verabscheuung und der Huldigung hin- und hergezerrt werden, lässt sich ihre radikale affektive Energie kaum von der Hand weisen. Das auslaugende Effektgewitter eines Enter the Void oder der nihilistische Welthass eines Menschenfeind beispielsweise treffen bei weitem nicht immer auf Begeisterung, dürften in ihrer radikalen Intensität aber eine nachhaltige Wirkung auf ihr Publikum ausüben. Lux Æterna stellt in dieser Tradition des Kinos von Noé keine Ausnahme dar, weist jedoch als erster Beitrag in der kontroversen Filmografie des französischen Enfant terrible auch eine durchaus ernstzunehmende Reflexion über den zwanghaften und durchaus kaltschnäuzig ausgelebten Wunsch nach einer eigenen Handschrift im Filmgeschäft auf.
Wie schon im ein Jahr zuvor erschienenen Climax sind es auch in Lux Æterna eingeblendete Texttafeln, die die Programmatik des Films vorgeben – dieses Mal mit Zitaten einflussreicher Regisseure wie Rainer Werner Fassbinder oder Jean-Luc Godard. „Ein Filmemacher muss seine Handschrift einem Film aufdrücken, der sich als Kunstwerk versteht.“. Noé sieht sich selbst ganz klar in der Tradition europäischer Autorenfilmer und lässt kein gutes Haar an Produzent:innen, die in den kreativen Schaffensprozess reinpfuschen. Mit der durch das Einmischen des Produzenten hervorgerufenen Chaotik bei den Dreharbeiten in Lux Æterna versetzt er der gängigen Praxis des von Produzententeams maßgeblich auf finanziellen Erfolg getrimmten Unterhaltungsfilms einen in infernalisches Rot getauchten Ellbogenstoß in die Rippen. Ganz im Sinne seiner selbstauferlegten Dogmen beschreitet Noé audiovisuell deswegen kaum neue Wege, sondern hält sich strikt an die ihm so eigene Handschrift.
Man könnte dem Film an dieser Stelle vorwerfen, dass er es sich mit den eingeblendeten erklärenden Texttafeln und der konkreten Ausformulierung dieser Überlegungen durch Figuren zu einfach machen würde. Spätestens in den letzten rabiaten zehn Minuten wird jedoch deutlich, dass Noé erneut nicht daran interessiert ist, dass sich das Publikum erst den Kopf über die aufgeworfenen Fragen zerbrechen soll, sondern dass die transgressive Kraft seiner Bilder und des Sounds sein Hauptinteresse darstellen. Durch die vorweggenommenen Zitate sollen die gedanklichen Weichen von Beginn an richtig gestellt werden, um am Ende der Strecke ohne störenden geistigen Ballast der kognitiven Entgleisung vollkommen beiwohnen zu können.
Dass alle Schauspielenden sich selbst mimen, verleiht Lux Æterna außerdem den Charakter einer Mockumentary, die das selbstreflexive Spiel mit der eigenen Handschrift und vor allem aber mit dem Filmgeschäft noch unterstreicht. So tritt beispielsweise Karl Glusman, der in Love noch den angehenden Filmemacher Murphy in Paris gespielt hat, hier als „echter“ Karl Glusman auf, der kurz vor der Realisierung seines Spielfilmdebüts steht. Noé benutzt diesen pseudodokumentarischen Stil, um mit dem Einsatz von Splitscreens und verschiedenen gleichzeitigen Perspektiven auf dieselbe Szenerie für eine zusätzliche Reizüberflutung zu sorgen. Gleichzeitig verdeutlicht diese Herangehensweise aber auch erneut, welche Wichtigkeit für ihn das Durchsetzen seiner eigenen Vision eines Films hat: Die zahllosen Störfaktoren am Set sind alle potenzielle Stolpersteine auf dem Weg zur Realisierung seiner persönlichen Vorstellung – umso wichtiger ist es, sich noch rücksichtsloser für die eigene künstlerische Vision aufzuopfern.
Lux Æterna stellt trotz all der bekannten Inszenierungsmittel dennoch insofern ein Novum in Noés Schaffen dar, dass er sich zwar wie schon in Enter the Void oder auch Irreversibel um eine grenzüberschreitende Wirkung bemüht, welche die sicher scheinende Grenze zwischen Leinwand und Publikum sprengt, der Handlung darüber hinaus jedoch durch den Kontext der Hexenverbrennungen expliziter denn je einen ritualen Charakter zuschreibt. An dieser Stelle folgt deswegen in den nächsten Tagen noch eine Analyse darüber, inwiefern sich Noé wie schon in Enter the Void nun auch mit Lux Æterna an der filmischen Umsetzung des Konzepts des Theaters der Grausamkeit des französischen Theater-Theoretikers Antonin Artaud versucht.
Fazit
Dank seiner enorm kurzen Laufzeit von gerade einmal 51 Minuten gelingt es Lux Æterna, die Essenz von Noés filmischem Schaffen in ihrer komprimiertesten Form darzustellen. Durch den sakralen Kontext des Films im Film wird den Zuschauenden neben einem metafiktionalen Konflikt auch ein religiöser Zugang eröffnet, dessen Ende das Publikum in einem Taumel aus erlösender Läuterung und stressbedingter Kapitulation vor dem Gesehenen zurücklässt. Lux Æterna ist nicht nur Noés bisher tiefgründigster Film, sondern aufgrund seiner kompromisslosen Form und dem Stroboskop-Gewitter gleich dem am Ende von Irreversibel seit eben diesem auch sein aggressivster.
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Ab 14.05.2021 im Handel:
Bildquelle: Lux Æterna © Alamode Film