Antichrist
Kritik

Antichrist (2009) – Review

Im letzten Jahr stellte der dänische Filmemacher Lars von Trier seinen aktuellen Film The House That Jack Built in Cannes vor, der (mal wieder) teils für riesige Empörung, teils für Begeisterungsstürme sorgte. Bevor sein neuster Streich aber einmal mehr die Filmlandschaft spalten sollte, schuf von Trier bereits neun Jahre zuvor mit Antichrist einen mindestens genauso kontroversen Film, der ihm endgültig den Ruf eines Skandalregisseurs bescherte.

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:

Antichrist
Dänemark/Deutschland/Frankreich/Schweden/Italien/Polen
108 Minuten
Lars von Trier
Lars von Trier
Willem Dafoe, Charlotte Gainsbourg u.a.

Inhalt

Der Film handelt von einem namenlosen Ehepaar, das wegen des Todes ihres gemeinsamen Sohnes in tiefe Trauer verfällt. Der Ehemann (Willem Dafoe, Shadow of the Vampire), seines Zeichens Psychotherapeut, versucht seine in bodenloser Qual und Selbstvorwürfen gefangene Frau (Charlotte Gainsbourg, Melancholia) selbst zu therapieren und von ihrem Schmerz zu befreien. Als er schon früh feststellt, dass die eigenen vier Wände hierfür gänzlich ungeeignet sind und zu einer echten Gefahr werden, reisen die beiden gemeinsam in eine abgelegene Hütte tief in einem märchenhaften Wald, genannt Eden. Inmitten der Reinheit und Lauterkeit der beinahe unberührten Natur beginnt zwischen den Eheleuten allerdings schon bald eine abgrundtiefe Dunkelheit zu keimen, die sich rational nicht erklären lassen kann…

Kritik

Die Handlung von Antichrist ist in vier Kapitel unterteilt, die von einem Prolog und einem Epilog umrahmt werden. Die Namen der ersten drei Kapitel spiegeln dabei jeweils die inneren Gemütszustände des Paares wider, nämlich „Trauer“, „Schmerz (Chaos regiert)“ und „Verzweiflung (Gynozid)“. Spannend hieran ist, dass sich von Trier nicht an den realen wissenschaftlichen Phasen der Trauer nach Elisabeth Kübler-Ross orientiert und sich stattdessen anderen emotionsbestimmten Leitmotiven für das Handeln der Personen bedient. Die beiden Wörter Chaos und Gynozid, die an zwei der Kapitel als Untertitel angehängt wurden, sprechen dabei nicht nur die Empfindlichkeit der Zuschauer an, sondern spielen auch eine wichtige inhaltliche Rolle.

Antichrist

Obwohl es im Kern um Trauerbewältigung und Themen wie Vertrauen, Ängste und Depressionen geht, schlummert unter der düsteren Oberfläche nämlich ein noch finsterer Abgrund, in dem nichts als das blanke Chaos regiert. Die Handlung noch genauer zu beschreiben, würde vermutlich das Filmerlebnis beeinträchtigen; andererseits würde es dem Film nicht gerecht werden, ihn auf seine simple Ausgangssituation zu reduzieren, da all seine Bilder und Dialoge mit einer unfassbaren Bedeutungsschwere beladen sind. An einer Stelle im Film, noch bevor das Paar nach Eden reist, sagt der Mann zu ihr „Und du wirst lernen, dass Angst nicht gefährlich ist“, da sie einem nicht physisch schaden könne. Später jedoch wird er dann feststellen müssen, dass reine und ungetrübte Angst sehr wohl zu einer immensen Gefahr werden kann. Es ist dieses abstrakte und gegenstandslose Gefühl der Furcht, das sich in Antichrist wie ein Virus einnistet, das weder greif- noch heilbar ist.

Antichrist

Dieses Gefühl setzt schon bei der Ankunft an der Hütte ein, wenn die wackelnde Kamera die Hütte wie bei einem Erdbeben erscheinen lässt und damit die Gedankenwelt des Paares repräsentiert. Allgemein zieht von Trier bei seiner Inszenierung alle Register und erschafft mit Hilfe von überstilisierten und atemraubenden Naturaufnahmen, verstörenden Bildern und nahezu unerträglich brutalen Gräueltaten eine fast unvergleichbar erschreckende Atmosphäre. Dabei erzählt er in einem langsamen Tempo, wie das hilflose Ausgeliefertsein an Mutter Natur auch die wahre Natur des Menschen freilegt und diese ist in Antichrist eine unkontrollierbare, von Impulsen geleitete und vollkommen böse Natur. In einer Szene bezeichnet die Frau die Natur als Satans Kirche und schlägt damit direkt einen Bogen zu der auch im Film behandelten Thematik des Gynozids. Die Ausarbeitung dieses Handlungsaspekts ist es, was von Trier von vielen Seiten Vorwürfe der Misogynie eingebracht hat, da das Wesen von Frauen als verdorben, obszön und sündenhaft aufgedeckt wird. Allerdings sind es genau diese entblößten Eigenschaften der Frau, die sich für ihre Dissertation in eben jener Hütte einen Sommer lang mit Hexenverbrennungen beschäftigt hat, die das teuflische Märchen erst so glaubwürdig machen. Denn wenn man Satans Kirche, wie sie Eden ja selbst bezeichnet, schutzlos ausgeliefert ist, sind es genau diese scheußlichen Züge der menschlichen Natur, die einen dazu verführen, das eigene Kind zu quälen.

Antichrist

Und so verfällt in den Tiefen des Waldes schließlich auch der anfangs noch so besonnene und kalkulierende Mann immer mehr dem Wahn, der von diesem unheilvollen Ort ausgeht. In einer albtraumhaften Sequenz findet er tief im Farn verborgenen einen Fuchs vor, der sich selbst verspeist und dabei apokalyptisch verkündet, dass ab nun das Chaos regiert. Selbst diese Szene dient jedoch nur als Ankündigung bzw. Vorgeschmack für das Grauen, das über das Ehepaar mit der Ankunft der „drei Bettler“ im gleichnamigen letzten Kapitel hereinbrechen wird. Dieser beispiellose Abstieg in menschliche Abgründe mündet in einer erschütternden Gewalteruption, die ebenso erschreckend wie konsequent ist und in all ihrer Grausamkeit aufzeigt, wovor die Frau ihren Mann gewarnt hat: Nämlich, dass er Eden nicht unterschätzen solle.

Antichrist

Fazit

Mit seinem Werk Antichrist schuf Lars von Trier einen wahrhaft fürchterlichen Film, dessen genauen Umfang zu begreifen mehrere Seiten Text in Anspruch nehmen würde. Der Spielraum für Interpretationen und Diskussionsansätze ist dadurch beinahe grenzenlos. Mit seinen thematischen Ansätzen und seinem Selbstanspruch ist Antichrist definitiv kein Film für jedermann; wer sich jedoch darauf einlassen kann, wird mit einer drastischen Spirale aus Paranoia, Gewalt und Erlösung belohnt, die in ihrer zerstörerischen Wucht und ihrer metaphysischen Tiefe ihresgleichen sucht.

 

Bewertung

Grauen Rating: 5 von 5
Spannung Rating: 4 von 5
Härte  Rating: 5 von 5
Unterhaltung  Rating: 2 von 5
Anspruch  Rating: 5 von 5
Gesamtwertung Rating: 5 von 5

Bildquelle: Antichrist © Ascot Elite Home Entertainment

Horrorfilme sind für mich die beste Möglichkeit, die Grenzen des Zumutbaren und des eigenen Sehvergnügens auszuloten und neu zu definieren. Außerdem gibt es kaum ein anderes Genre, das so viele verschiedene gute Ideen, Möglichkeiten und Geschichten hervorbringen kann, da, ähnlich wie im Science-Fiction, einfach alles möglich ist. Es ist faszinierend, wie stark einen gute Horrorfilme in ihren Bann ziehen können und dabei sowohl schockieren als auch unterhalten.

One Comment

  • jerryzo

    Das Böse wandert in diesem Film, zuerst scheint es im leidlosen Therapeuten mit seinen Psycho-Doktrinen und Spielen, dann plötzlich zeigt es sich in der Frau, deren Abgründe sich sehen lassen können. Wenn bei ihm fast immer klar ist, was er tut – ihm und uns, sind ihre Motive (warum schaute sie einfach nur zu, als Nic seine Wahl traf? Warum zog sie ihm die Schuhe verkehrt an? Warum tut sie ihrem Mann das an?) unerklärlich. Es ist irgendwie als Rache zu verstehen, die viel älter ist als sie, gesichtslos, wie die vielen Frauen im letzten Bild, die am glanzvollen Helden vorbeiziehen und sich im Wald auflösen, Er weiß ja als Psychologe, dass man keine Angst zu haben braucht.

...und was meinst du?