The House That Jack Built (2018) – Review
Dass die Hälfte der Zuschauer den Saal verlässt, wenn in Cannes ein neuer Lars-von-Trier-Film gezeigt wird, gehört mittlerweile zum guten Ton. Auch mit The House That Jack Built ist dem Regisseur wieder ein Film gelungen, der das Publikum spaltet.
Originaltitel: |
The House That Jack Built Dänemark/Deutschland/Schweden/Frankreich 153 Minuten Lars von Trier Lars von Trier Matt Dillon, Bruno Ganz, Uma Thurman u.a. |
Inhalt & Hintergrund
The House That Jack Built erzählt aus der Perspektive des hochintelligenten Jack (Matt Dillon, Wayward Pines) von fünf exemplarischen „Vorfällen“, die für seine Entwicklung zum Serienmörder bedeutsam waren. Der Zwangsneurotiker sieht seine Morde als Kunstwerke, die zunehmend planvoller und raffinierter in der Durchführung werden. Gleichzeitig geht Jack immer größere Risiken ein, provoziert geradezu seine Festnahme und entwickelt einen zunehmenden Größenwahn. Das Ziel ist es, seine Morde in einem finalen Kunstwerk zusammenzuführen – einem selbst gebauten Haus. Untermalt wird die Handlung von einem Dialog zwischen Jack und einem mysteriösen Mann namens Verge, dem er mittels Reflexionen zu Kunst und Kultur die Motive für sein Handeln erklärt. Am Ende von Jacks zwölfjähriger Schaffenszeit, steht die buchstäbliche Höllenfahrt.
Mit The House That Jack Built ist Lars von Trier erstmals seit 2011 wieder in Cannes vertreten, nachdem er aufgrund seiner umstrittenen Äußerungen zum Nationalsozialismus ausgeschlossen wurde. Der Regisseur fühlte sich damals von seinen Kritikern missverstanden, wie er sich überhaupt missverstanden fühlt, wenn man in seiner Kunst nur die bloße Provokation erkennen will. Das soll nicht heißen, dass von Trier nicht provokant wäre. Angesichts von Vorwürfen der Gewaltverherrlichung, der Frauenfeindlichkeit oder der Verharmlosung von nationalsozialistischen Kriegsverbrechen ausgerechnet einen Film über einen Serienmörder zu drehen, der Frauen die Brüste abschneidet und über die Schönheit des Verfalls sinniert, während Found-Footage-Material aus den Konzentrationslagern gezeigt wird, ist eine deutliche Botschaft. Das allein jedoch wäre tatsächlich nicht viel mehr als eine Trotzreaktion.
Die Kunst des Verfalls
Besonders phantasievoll wirkt er zunächst nicht gerade, dieser unscheinbare Typ mit dem Charme eines arbeitslosen Staubsaugervertreters. Dass die Entwicklung vom Zwangsneurotiker mit großem Leidensdruck über den Mörder aus Gelegenheit bis hin zum versierten Architekten der Verwesung dennoch glaubhaft bleibt, ist auch der überragenden Leistung von Matt Dillon zu verdanken. Selbst in den grotesken Momenten – die unausweichlich sind, wenn es sich beim Hauptcharakter um eine Mischung aus Hannibal Lecter und Monk handelt – bleibt dem Zuschauer das Lachen bald wieder im Hals stecken.
Dillons Jack ist ein Suchender, angetrieben von einer beinahe zenobitischen Neugierde, die ihn am Ende selbst vernichten wird. Er strebt nach Erkenntnis und stürzt schließlich ikarusgleich in die Tiefe. Es ist schwer, in dieser Künstlerfigur, die sich weit in die Niederungen des menschlichen Fleisches herablässt, keinerlei Analogien zu Lars von Trier zu sehen. Was destruktiv wirken mag, nimmt Jack als Teil eines kreativen Prozesses wahr: Er zerstört, um daraus etwas Neues schaffen zu können. Der Zerfall geht dem Kunstwerk notwendig voraus. Auch von Trier verzichtet in seinen Filmen auf moralischen Ballast, fordert stattdessen die Grenzen des guten Geschmacks und der etablierten Werte permanent heraus – und den Zuschauer gleich mit.
Doch die Hauptfigur ist nicht nur ein Künstler, sondern auch ein ziemlicher Selbstdarsteller. Und da Bescheidenheit ohnehin etwas für Dilletanten ist, versieht er Fotografien seiner Morde, die er an eine Zeitung schickt, gleich mit dem Pseudonym „Mr. Sophistication“. Im Zwiegespräch mit Verge ergeht Jack sich zudem in ausufernden Exkursen in die Kunst- und Kulturwissenschaft, die, teils anspruchsvoll, dazu dienen sollen, das Morden als besonders raffinierte Kunstform herauszustellen. Dabei erscheinen sie häufig zu gewollt, werden als Versuch einer pseudointellektuellen Überhöhung der eigenen Taten erkennbar. Ein Fehler wäre es indes, zu glauben, dass sich von Trier dessen nicht bewusst gewesen sei.
Kunst oder Kitsch?
Im selben Maße, wie Jack an seiner Selbstinszenierung arbeitet, ist Verge bemüht, ihn wieder zu demaskieren. Durch ironische Einwürfe, sarkastische Nachfragen oder schlichten Widerspruch bricht er die mythisierende Erzählweise Jacks immer wieder auf. Der reagiert prompt und versucht sein Gegenüber durch besonders schockierende Szenen aus der Reserve zu locken – wie er einem Opfer den Wagenheber über den Schädel zieht, spult er zur Sicherheit gleich mehrfach ab, als das nicht fruchtet, setzt er Verge den perfiden Mord an zwei Kindern vor. Doch der ist unerbittlich. Als Kommentator aus dem Off ergeht er sich in jedem denkbaren Vorwurf, den man Jack – wie auch dem Film selbst – machen könnte. The House That Jack Built gibt sich hier einer ironischen Selbstreflexion hin, bei der letztlich niemand die Oberhand im Ringen um die Deutungshoheit gewinnt. Von Trier verhandelt nicht nur Jacks, sondern auch seine eigene künstlerische Vision und changiert dabei zwischen Sebstbestätigung und -dekonstruktion.
Ganz ohne einen Tritt in Richtung der Kritikerzunft geht es dann aber doch nicht. Denn Verge ist eine Janusgestalt: Mit humanistischem Zeigefinger gibt er zu bedenken, dass die wahre Kunst in der Liebe und Intimität zu finden sei, gleichzeitig betrachtet er Jacks Portfolio an Grausamkeiten mit geradezu mephistophelischer Expertise.
Fazit
In The House That Jack Built versucht sich von Trier am Porträt eines Serienmörders. Bei einer Laufzeit von zweieinhalb Stunden kommt der Film zwar nicht ganz ohne Durststrecken aus, die fängt Matt Dillons Spiel jedoch gekonnt auf. Dass The House That Jack Built dabei teils ins Klischeehafte abgleitet, erscheint gewollt. Dabei liegt der inhaltliche Fokus nicht auf den – zweifelsfrei vorhandenen – Gewaltexzessen, sondern auf dem Reflexionsprozess: Ein essayistisches Nachdenken über den Zusammenhang von Kunst, Banalität und dem Bösen.
Bewertung |
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Spannung | |
Atmosphäre | |
Gewalt | |
Ekel | |
Story |
Bildquelle: The House That Jack Built © Concorde Filmverleih
One Comment
jerryzo
The House That Jack Built, ist, wie auch schon Nymphomania, ein sadistisches Statement: „… wie der Sadist selbst die Stelle des Objekts einnimmt, aber ohne es zu wissen, zum Vorteil eines andern, für dessen Genuß er als sadistisch Perverser arbeitet und handelt.“ (Lacan). Grauenhafter noch als die Taten von Jack ist die Reaktion von Serge: Serge ist die Stimme, der Jack gehorcht, (s)ein isoliertes, ihm völlig verlegtes Über-ich, dessen Fragen er mehr ausführt als beantwortet. Jack führt das Begehren von Serge aus, wie jeder Filmhelden das des Regisseurs.