Cam
Kritik

Cam (2018) – Review

Die neue Blumhouse-Produktion Cam beschert uns ein Update des klassischen Doppelgängermotivs. Eine Fremde stiehlt die Identität von Webcamgirl Alice und übernimmt fortan deren Account. Doch das ist erst der Beginn eines virtuellen Albtraums – mit sehr realen Konsequenzen.

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:

Cam
USA
94 Minuten
Daniel Goldhaber
Isa Mazzei, Daniel Goldhaber, Isabelle Link-Levy
Madeline Brewer, Patch Darragh, Melora Walters u.a.

Inhalt

Alice Ackerman ist ein aufstrebendes Webcamgirl, eines von vielen. Um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen, greift sie zu kreativen Methoden, wie spektakulär vorgetäuschten Selbstmorden. Die Zuschauer sind begeistert von ihren Liveshows als „Lola“, doch je erfolgreicher sie wird, desto besessener scheint Alice von ihrem Alter Ego zu sein. Als ihr Account scheinbar gehackt wird, bringt das Alice nicht nur um ihr Geld, sondern auch beinahe um den Verstand, denn – die Fremde, die als Lola weiterhin für ihre Fangemeinde streamt, ist ihre exakte Kopie. Niemand glaubt ihr und da die falsche Lola ihre gestohlene Identität zunehmend ausnutzt, um Alice zu schaden, muss diese sich etwas einfallen lassen, um ihre Doppelgängerin zu überlisten.

Camgirls just wanna have fun?

Für einen Film über Webcamgirls wirkt Cam erstaunlich brav, beinahe prüde. Nacktheit ist kaum vorhanden, viel mehr als ein paar Klapse auf den Po bekommt der Zuschauer nicht zu sehen. Statt flirrender Erotik zeigt Goldhaber stattdessen den Teil des Business‘, der für gewöhnlich verborgen bleibt, nämlich die Banalität. Während Alice mit ihrer Kollegin gerade eine Show abliefert, schlurft ein weiteres Camgirl herein und nimmt stoisch die Pizza-Bestellung auf. Die vermeintliche Erotik offenbart sich in all ihrer glitzernden Bedeutungslosigkeit. Diese Künstlichkeit macht der Film auch visuell erfahrbar, denn die Welt der Camgirls ist eine in surrealistische Neonfarben gehüllte Hyperrealität, die schon stilistisch in völligem Kontrast zu Alices Alltag steht.

Den Voyeurismus des Zuschauers befriedigt Cam eher selten, er legt ihn vielmehr offen. Besonders die Figur eines jungen Polizisten sorgt für unangenehme Momente, wenn er der verzweifelten Alice, statt ihr zu helfen, zudringliche Fragen zu ihrem Beruf stellt. Ob sie sich auch mal mit Fans treffen, mit ihnen schlafen würde? Die Fragen sind natürlich, wie er erklärt, als Kompliment zu verstehen. Um das Bild zu komplettieren, schickt Cam noch einen egomanischen Harvey-Weinstein-Verschnitt und einen bibeltreuen Christen auf den Plan, der genauso leidenschaftlich sündigt, wie er sich anschließend in Selbsthass ergeht. Insgesamt wird der Film getragen von einem starken gesellschaftskritischen Impetus, der nicht zuletzt daher rühren dürfte, dass es sich bei Drehbuchautorin Isa Mazzei selbst um ein ehemaliges Camgirl handelt. Während die Darstellung des Webcam-Gewerbes aber die übliche Erwartungshaltung unterwandert, verbeißt sich Cam bei dem allzu bemühten Versuch, gesellschaftliche Vorurteile und Doppelmoral aufzuzeigen, in leidigen Stereotypen.

Cam

Alice in Wonderland

Das Motiv des Doppelgängers gehört zum klassischen Fundus des Unheimlichen: Eine Begegnung mit demselben ist meist ein Zeichen für drohenden Identitätsverlust. In Cam scheint anfangs noch alles seine Ordnung zu haben. Es gibt die fingernägelkauende Alice, deren soziales Umfeld sich weitgehend auf ihre Familie beschränkt. Und es gibt die quirlig-freche Lola, die Komplimente und Aufmerksamkeit von ihren Zuschauern erhält. Die beiden haben charakterlich nicht viel miteinander gemein; sie teilen sich lediglich denselben Körper. Aber gerade weil Lola eine Kunstfigur ist, bietet sie Alice all die Freiheiten – und damit auch einen Nervenkitzel, den sie in ihrem normalen Alltag niemals erleben würde. Doch was als Spiel beginnt, wird bald zur Sucht. Alice gelingt es kaum mehr sich von Lola abzugrenzen, für mehr zahlende Fans ist sie bald bereit ihre selbstgewählten Prinzipien aufzugeben. Das ist der Moment, in dem ihr virtuelles Alter Ego ein unheimliches Eigenleben entwickelt und sie ersetzt. Der Kampf gegen Lola wird somit zum Selbstfindungsprozess.

Goldhaber greift die uralte Angst vor dem Verlust der eigenen Identität auf und verknüpft sie mit hochaktuellem Medienhorror. Eine zufriedenstellende Erklärung für den digitalen Budenzauber liefert er zwar nicht, aber es scheint sich um eine monströse Datenformation zu handeln, die Camgirls auswählt um sie anschließend zu kopieren und ihre Kanäle zu übernehmen. Die Motive dafür bleiben, wie so vieles bei Cam, vollkommen offen und vielleicht gelingt es dem Film auch deshalb nur so selten, Spannung aufzubauen.

Fazit

Cam ist ein stylischer Psychothriller, der die Sogwirkung sozialer Medien und die zwanghafte Sehnsucht nach Bestätigung reflektiert. Leider macht er nur wenig aus seinem vielversprechenden Grundplot, ergeht sich zu häufig in oberflächlicher Gesellschaftskritik und verliert dadurch die nötige Spannung.

Bewertung

Spannung Rating: 2 von 5
Atmosphäre Rating: 3 von 5
Gewalt  Rating: 1 von 5
Ekel  Rating: 0 von 5
Story  Rating: 3 von 5

Bildquelle: Cam © Netflix

Horrorfilme… sind die Suche nach Erfahrungen, die man im echten Leben nicht machen möchte. Sie bilden individuelle wie kollektive Ängste ab, zwingen uns zur Auseinandersetzung mit Verdrängtem und kulturell Unerwünschtem – und werden dennoch zur Quelle eines unheimlichen Vergnügens.

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