Inside
Kritik

Inside (2007) vs. Inside (2016)

Inside gehört zu einem der führenden Vertreter der New French Extremity. Nicht einmal zehn Jahre später folgte schon ein Remake. Jedoch nicht aus den USA, sondern aus Spanien. Wir machen den Vergleich!

Originaltitel:
Jahr:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:

À l’intérieur
2007
Frankreich
82 Minuten
Alexandre Bustillo, Julien Maury
Alexandre Bustillo, Julien Maury
Alysson Paradis, Béatrice Dalle u.a.

Originaltitel:
Jahr:

Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:

Inside
2016
Spanien/Großbritannien/Frankreich
89 Minuten
Miguel Ángel Vivas
Jaume Balagueró, Manu Díez
Rachel Nichols, Laura Harring u.a.

Frankreich vs. Spanien

Inside von Alexandre Bustillo und Julien Maury gilt als einer der wichtigsten Filme der New French Extremity, welche in den 2000ern das französische Horrorkino mit düsteren, kompromisslosen Terrorfilmen bereicherte. Inside wird dabei meist in einem Atemzug mit Pascal Laugiers Martyrs, Alexandre Ajas High Tension und Xavier Gens‘ Frontier(s) genannt. Aber natürlich werden zur New French Extremity noch weitaus mehr Filme gezählt, wie zum Beispiel Them, Baise-moi, In My Skin oder auch neuere Werke wie Raw oder Revenge. Aber auch Gaspar Noés Werke wie Irreversible werden oft mit der französischen Welle assoziiert.

Doch nicht nur das französische, auch das allgemein sehr lebendige spanische Horrorkino erlebte Anfang des 21. Jahrhunderts einen erneuten Aufschwung. Mitverantwortlich dafür sind Jaume Balagueró und Miguel Ángel Vivas. Balagueró inszenierte zum Beispiel Fragile, Sleep Tight und vor allem die beliebte REC-Reihe, Vivas wiederum den Home-Invasion-Hit Kidnapped.
Diese zwei machten sich nun auf, ein Remake von Inside zu drehen; Balagueró schrieb zusammen mit Manu Díez, mit dem er schon bei REC 2 und REC 4 kooperierte, das Drehbuch, während Vivas auf dem Regiestuhl Platz nahm. Balaguerós Grundgedanke für das Remake war es, dieses ansprechender für ein breiteres Publikum zu machen – was meist gleichbedeutend ist, wie dem Film die Zähne zu ziehen. Vivas erzählt in Interviews wie begeistert er von der Idee war, den Film in einer kommerzielleren Art zu drehen. Es sei eine tolle Herausforderung, den gleichen Level an Spannung und Furcht mit gelinderen Mitteln zu erzeugen. Wie sich dies auf das endgültige Ergebnis niedergeschlagen hat, kann man gut am Rating beider Filme erkennen. Während das Original selbst in der um zwei Minuten gekürzten Fassung bundesweit beschlagnahmt ist, kam das Remake ungeschoren mit einer FSK-16-Einstufung davon.
Selbstverständlich sagt dies noch rein gar nichts über die Qualität beider Filme aus. Doch dazu erst später mehr. Erst einmal: Worum geht es in Inside überhaupt?

Inhalt

Die schwangere Sarah ist in einen Autounfall verwickelt, bei dem ihr Mann stirbt. Monate später verbringt sie Heiligabend damit, sich auf die baldige Geburt ihres Kindes vorzubereiten. Jedoch wird der ruhige Abend jäh gestört, als eine mysteriöse Frau vor ihrer Haustüre auftaucht. Nachdem Sarah sie anfangs noch unsicher abwimmelt, verschafft sich die Frau später gewaltsam Zutritt. Denn diese will etwas ganz bestimmtes von Sarah: ihr ungeborenes Kind.

Trailer für das Original:

Trailer für das Remake:

Das Original

Inside präsentiert uns eine sehr geradlinige Home-Invasion-Geschichte, die sich, wie im Subgenre üblich, um das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Eindringling und Opfer dreht. Insbesondere im Original werden wir nicht lange mit einer Einführung aufgehalten, sondern sehr schnell ins kalte Wasser geworfen. Nach gut 15 Minuten machen wir hier schon Bekanntschaft mit der geheimnisvollen Frau.

Bei Bustillos und Maurys Inside fällt allgemein auf, wie schnörkellos die Inszenierung ist. Die Zwei verlieren sich nie in Spielereien, sondern setzen Effekte und Einstellungen in den Dienst der Geschichte. Allein schon das Intro ist hier sehr beeindruckend, bei dem nach dem Autounfall die Kamera lange und langsam ohne von hektischen Schnitten unterbrochen zu werden über die Trümmer einer Existenz gleitet und dem Publikum genug Zeit gibt, das Ausmaß der Tragödie sickern zu lassen. Die folgenden Bilder tauchen Sarahs Welt in ein regnerisches Blau-Grau und spiegeln sich damit perfekt in ihrem Gesichtsausdruck, welcher jeglicher Lebensfreude beraubt scheint. Alles wirkt sehr herbstlich, farblos und ist symbolisch im Sterben begriffen, wie auch unsere Protagonistin schon mit dem Leben abgeschlossen zu haben scheint.

Inside

Dementsprechend gibt es beim Film von 2007 keine heile Welt, in die die Bedrohung von außen eindringen könnte. Die Kernfamilie ist von vornherein stark beschädigt und in den Vororten toben die Unruhen. Inside zeigt eine düstere, trostlose Welt, was durch Chanfraults Elektro-Industrial-Klangteppich und durch das oft etwas stumpf und unsauber wirkende Bild hervorragend betont wird.
Die Bedrohung kreist stetig um ihr Opfer. Taucht in schwarzen Stoff gehüllt aus dem Schatten auf und verschwindet wieder dorthin. Als Kontrast dazu ihr in weiß gekleidetes Opfer, welches sich nach der ersten Gewaltspitze im weiß gekachelten Badezimmer mit klinisch weißem Licht verschanzt – dieses muss jedoch im Laufe der Zeit immer mehr einem blutigen Rot weichen muss. Es ist dann auch dem sehr beengten Setting im Badezimmer geschuldet, dass die Szenen eine unglaubliche Intensität entwickeln.

Diese Intensität wäre jedoch nicht möglich ohne die starken Performances von Alysson Paradis und Béatrice Dalle (Wolfzeit), die beide eine wahre Tour de Force abliefern. Beide schaffen es, ihren Figuren unglaublich viel Leben einzuhauchen und diese ohne viel Dialog facettenreich darzustellen.

Wenn am Ende alles einem dunklen Rot gewichen ist, brennen sich noch die zwei Schlusseinstellungen immer wieder tief in mein Hirn ein, denn diese gehören für mich an Intensität und Kompromisslosigkeit zu den besten Szenen, die das jüngere Horrorkino zu bieten hat.

Inside

Das Remake

Wie schon angesprochen wollten Balagueró und Vivas mit ihrer englischsprachigen und in den USA spielenden Version von Inside einen massenkompatibleren Weg beschreiten und dies merkt man dem Film schon zu Beginn stark an. Von der tristen, nihilistischen Atmosphäre des Originals ist nichts mehr geblieben. Die von Rachel Nichols (P2, The Amityville Horror) gespielte Sarah ist angesichts der Umstände ein wahrer Sonnenschein. Sie tratscht fröhlich mit ihren homosexuellen Nachbarn und selbst ein Anruf für ihren kürzlich verstorbenen Mann, ringt ihr nicht mehr als ein müdes Lächeln ab. Auch die von Unruhen beherrschten Vororte Frankreichs sind dem US-amerikanischen Suburbia gewichen.
Die zwei Spanier bringen so viel heile Welt in den Film zurück, wie es die Vorlage eben erlaubt.

Doch nicht nur ist die Stimmung eine konträr andere, auch bei der Inszenierung geht man entschieden andere Weg. Bei Bustillo und Maury sehen wir ein Baby im Mutterleib, welches plötzlich durch einen Schlag erschüttert wird und die oben angesprochene Kamerafahrt offenbart uns den Auslöser dafür. Selbstverständlich wäre es uninteressant, dieses Intro 1:1 zu kopieren, doch was die zwei Spanier draus machen, ist gelinde gesagt haarsträubend und dies aus so vielen Gründen. Schon bevor wir die ersten Bilder zu Gesicht bekommen, wird versucht, mit einer Einblendung über die Zahl an entführten Babys in den USA irgendeine hanebüchene Verankerung des Films in der Realität zu erzeugen. Dies ist aber anscheinend bei weitem noch nicht klischeehaft genug, denn im nächsten Augenblick sehen wir Sarah und ihren Ehemann sich gegenseitig neckend über Kindernamen diskutieren, bevor die Diskussion vom tretenden Baby in Sarahs Bauch unterbrochen wird. Dieser unsägliche Kitschmoment wird dann sogleich von einem Autounfall gestört, der selbst Michael Bay vor Neid erblassen lässt. Das Auto des Paares überschlägt sich mehrfach. In der Luft. Über dem entgegenkommenden Wagen. Dreht sich zu einer eleganten Schraube. Kreiselt geschätzt zehn Mal um sich selbst, bevor es auf dem Dach zum Stillstand kommt. Dieses Auto hat soeben die Weltmeisterschaft im Kunstturnen gewonnen.

Inside

Diese Szene offenbart nicht nur direkt das inszenatorische Unvermögen des Remakes, sondern auch, wie hier dem Publikum alles exakt vorgekaut wird. Während Bustillo und Maury sich darauf verlassen, dass das Publikum aus den Bildern ihre Schlüsse ziehen werden, was wirklich keine große Kunst ist, bekommen wir alles auf einem Silbertablett serviert.
Dies offenbart sich vor allem auch in der Charakterzeichnung unserer Bedrohung. Im Original bekommt Béatrice Dalle nicht einmal einen Namen und wird sogar im Abspann nur als „La femme“, die Frau, betitelt. Laura Harrings (Mulholland Drive) bekommt im Remake nicht nur den Namen Madeleine spendiert, sondern auch wesentlich mehr Dialogzeilen. Dies macht sie zum einen wesentlich menschlicher, aber zum anderen geht ihr dadurch auch das furchteinflößende Bedrohungspotential einer Naturgewalt verloren, wie es Dalle auf den Bildschirm transportierte.

Solange sich der Film jedoch noch in den vier Wänden von Sarah abspielt, bleibt er halbwegs erträglich; angefangen meinen Fernseher anzuschreien, habe ich erst, als die zwei eine Verfolgungsjagd durch die Stadt beginnen. Für all jene, die die Filme noch nicht gesehen haben, will ich auch gar nicht mehr an Inhalt vorwegnehmen.
Das Ende des Originals zu kopieren, war allein schon aufgrund der massentauglicheren Ausrichtung des Films keine Option und ein alternatives Ende für mich eine willkommene Abwechslung. Was Balagueró und Vivas hier jedoch auf uns loslassen, spottet jeder Beschreibung. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt einen solchen an den Haaren herbeigezogenen Unfug gesehen habe. Selbst vom Original abgekoppelt sucht dieses Sammelsurium an Klischees und Fremdschammomenten seinesgleichen.

Inside

Fazit

Während Bustillos und Maurys Inside mit seiner deprimierenden Grundstimmung, dem grandiosen Spannungsbogen, dem hervorragenden Schauspiel und seiner brachialen Kompromisslosigkeit immer noch zu den besten Beiträgen zur New French Extremity zählt, kann ich dem Remake leider nur Totalversagen attestieren. Selbst wenn Balagueró und Vivas sich nicht dem Vergleich mit dem französischen Original stellen müssten, würde ihr Home-Invasion-Horror, aufgrund der zahnlosen, generischen Inszenierung und der erheblichen Drehbuchschwächen, schnell in der Versenkung verschwinden. Daher lege ich euch ans Herz, um diesen Unfug einen weiten Bogen zu machen und stattdessen lieber das Original, Kidnapped oder Sleep Tight zu schauen.

 

Bildquelle: Inside 2007 © Senator Home Entertainment | Inside 2016 © Capelight Pictures

Horrorfilme sind für mich ein Tor zu den unheimlichen, verstaubten Dachböden und finsteren, schmutzigen Kellern der menschlichen Seele. Hier trifft man alles von der Gesellschaft abgeschobene, unerwünschte, geächtete, begrabene: Tod, Schmerz, Angst, Verlust, Gewalt, Fetische, Obsession. Es ist eine Entdeckungsreise auf die "Schutthalde der Zivilisation". Auf diese Reise würde ich euch gerne mitnehmen.

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