The Lobster
Kritik

The Lobster (2015) – Review

Dass Yorgos Lanthimos nicht nur ein faszinierender Filmmacher ist, sondern auch einen scharfen Blick für gesellschaftliche Entwicklungen und Zustände hat und diese mit ebenso scharfer Zunge zu kommentieren weiß, ist kein Geheimnis. In The Lobster nimmt sich der umtriebige griechische Regisseur die Konzeption von Beziehungen zur Brust und reflektiert diese in überspitzt-pointierter Weise. Wir knacken dem Hummer die Schale und schauen was sich unter dem Chitin verbirgt.

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:

The Lobster
Irland/Großbritannien/Griechenland/Frankreich/Niederlande
119 Minuten
Yorgos Lanthimmos
Yorgos Lanthimos, Efthymis Filippou
Colin Farrell, Rachel Weisz, John C. Reilly u.a.

Inhalt

David (Colin Farrell, The Killing of a Sacred Deer) wird von seiner Ehefrau verlassen. Dies stellt in einer Welt, in der Singles gesellschaftlich ausgegrenzt und zu Menschen zweiter Klasse degradiert werden, ein großes Problem dar. So muss er an einem Programm in einem ominösen Hotel teilnehmen, um innerhalb von 45 Tagen eine neue Partnerin zu finden. Gelingt ihm das nicht, droht David die Verwandlung in ein Tier seiner Wahl, um zumindest in dieser Form eine zweite Chance in der Datingwelt zu bekommen. Seine Wahl fällt auf einen Hummer. Auf der Suche nach einer Partnerin die irgendeine Gemeinsamkeit mit ihm teilt, nähert sich David einer Frau an, die keine Gefühle kennt (Angeliki Papoulia, Dogtooth), indem er ihr vorspielt ebenfalls absolut herzlos zu sein. Die Frau stellt ihn auf die Probe, indem sie seinen Hund tötet. David, hiervon stark verstört, betäubt die Psychopathin, verwandelt sie eigenmächtig in ein Tier und flieht in den nahen Wald, in dem eine Gruppe von Singles lebt, die der ständigen Bedrohung durch Jagdausflüge der Hotelbelegschaft ausgesetzt ist. Er wird Teil der Gruppe und lernt eine, ebenso wie er selbst, kurzsichtige Frau (Rachel Weisz, Die Mumie) kennen. Als sie sich ineinander verlieben wird allerdings schnell klar, dass auch die Kommune der Waldbewohner strengen Regeln unterworfen ist und ein absurdes Versteckspiel beginnt…

Kritik

Mit The Lobster beschert uns Lanthimos eine in blassen Farben gemalte Mixtur aus Drama, schwarzer Komödie und Dystopie. Die Prämisse als solches mag beinahe abgeschmackt klingen, allerdings entfaltet sich im Zusammenspiel dieser Elemente eine zu gleichen Teilen bedrückende und doch immer wieder ausgesprochen unterhaltsame Stimmung. Die Atmosphäre ist durchdrungen von einer gewissen Tristesse. Die Farbgebung, das im ersten Drittel auf das Hotel beschränkte Setting sowie lange Einstellungen, in denen vordergründig wenig passiert, betonen diesen Effekt, der jedoch immer wieder, zum Beispiel durch plötzliche Szenenwechsel, gebrochen wird. Kernelement dieser Darstellung ist allerdings das Schauspiel. Die Charaktere, mit Schauspielern wie Colin Farrell und John C. Reilly hochkarätig besetzt, wirken alle bis zu einem gewissen Grad automatenhaft. Die Gedankengänge sind immer hochgradig rational, im Ganzen wirkt die Sprache absolut leidenschaftslos. Diese Darstellungsweise, beinahe ein Erkennungszeichen von Lanthimos‘ Werken, verdeutlicht aber eben nicht die Emotionslosigkeit der Charaktere, sondern spiegelt viel mehr einen Mangel an Persönlichkeit. Die Charaktere sind bewusst ohne Tiefe gezeichnet und nicht umsonst hat im ganzen Film außer dem Protagonisten keine Rolle überhaupt einen Namen.

The Lobster

Dies wird deutlich, wenn wir uns dem Kernthema Beziehung und hier der Partnersuche im Hotel widmen. Im Zentrum stehen Gemeinsamkeiten. Allerdings nicht tatsächliche Verbundenheit, sondern oberflächliche Erscheinungen. Um eine Frau mit Nasenbluten (Jessica Barde, Penny Dreadful) zu gewinnen, fügt sich ein Programmteilnehmer beispielsweise immer wieder selbst Verletzungen zu, um den Eindruck zu erwecken, dieses Leiden zu teilen. Eine Episode, die sich für David mit einer Frau ohne Gefühle wiederholt. Die befremdliche Überspitzung dieser Szenen schafft so immer wieder absichtlich humorvolle Momente, welche die Atmosphäre auflockern, ohne dabei in Klamauk abzudriften.

The Lobster

Glaubt David anfangs noch in der im nahegelegenen Wald lebenden Gemeinschaft militanter Singles frei von gesellschaftlichen Erwartungen leben zu können, wird schnell klar, dass hier ein ebenso strenges Regime herrscht, in dem die Verhältnisse lediglich auf den Kopf gestellt werden. Partnerschaften sind verboten und körperliche Nähe, selbst Flirten, wird mit harten Körperstrafen geahndet. Die Waldkommune wird zum Spiegelbild der Gesellschaft. David, der hier eine Frau gefunden hat, mit der er das Merkmal der Kurzsichtigkeit teilt, gerät so erneut in einen Interessenkonflikt. Nicht nur kann er auch hier die Erwartungen, die draußen an ihn gestellt werden, nicht überwinden, selbst in dieser Gemeinschaft scheint er nicht in der Lage, glücklich zu werden, sodass die beiden beschließen, gemeinsam als Paar in der Stadt zu leben. Eine Entscheidung mit Konsequenzen, wie sich zeigen wird.

The Lobster

Was The Lobster einen durchaus schrecklichen Unterton verleiht, denn von echtem Horror ist der Film weit entfernt, ist die Verankerung in der Realität. Natürlich existiert die Welt, die Lanthimos zeichnet, nicht in dieser Form, aber die, insbesondere digitalen, Möglichkeiten, welche die Partnersuche einerseits erleichtern und bequemer machen, andererseits aber gerade die Oberflächlichkeit, unter der man andere Menschen sieht, zum Keimen bringt, festigen ein Bild, das sich hervorragend in The Lobster wiederfindet. Die daraus resultierenden Folgen, die Auflösung der Persönlichkeit, um ein gesellschaftliches Bild, sei es Partnerschaft oder Single-Leben, zu bedienen. sind der wirklich tragische Aspekt, der hier zum Vorschein kommt. David ist eingeengt zwischen zwei Extremen, die Hotelbewohner auf der einen und die Singles im Wald auf der anderen Seite, und schafft es nicht, eine Balance zwischen diesen Polen zu finden. Wie auch, wurde ihm doch unter dem sozialen Druck aus allen Richtungen, bereits jegliche Individualität ausgebrannt. Dieser Kern lässt sich nun auch aus dem Kontext von Partnersuche herauslösen und sich generell auf eine Gesellschaft übertragen in der alles immer stärker irgendwelchen Polen zustrebt. Für Schrecken gilt nun mal der gleiche Grundsatz wie für einen guten Witz. Es ist witzig weil, es wahr ist.

Fazit

Die komplexe Darstellung gesellschaftlicher Verhältnisse nimmt dem Hummer nichts von seinem Sehvergnügen. Die handwerkliche Umsetzung ist eigenwillig, aber gekonnt. Schnitt Kameraführung, die Perspektiven und das Schauspiel sitzen wie erwartet. Die Schauspieler werden ihren Rollen mehr als gerecht und wenn beispielsweise die Waldcommunity einen Rave abhält, bei dem es streng verboten ist, miteinander zu tanzen, kann man sich ein Lächeln kaum verkneifen. Wer einen klassischen Horrorflick erwartet hat, wird bei The Lobster nicht fündig werden. Wenn man jedoch bereit ist, sich auf den markanten Stil Lanthimos einzulassen und in die absurde, bedrückende, aber auch auf seltsame weise heitere Welt einzutauchen, wird man mit einem tiefgründigen und unterhaltsamen Filmerlebnis belohnt.

 

Bewertung

Grauen Rating: 1 von 5
Spannung Rating: 3 von 5
Härte  Rating: 0 von 5
Unterhaltung  Rating: 4 von 5
Anspruch  Rating: 4 von 5
Gesamtwertung Rating: 4 von 5

Bildquelle: The Lobster © Sony Pictures Home Entertainment

Horrorfilme… sind für mich das Erkennen, Überschreiten und Herausfordern von gesellschaftlichen Grenzen durch abgründige Ästhetik und damit Kunst in ihrer reinsten Form. Vor allen Dingen machen sie aber einfach unfassbar Spaß.

...und was meinst du?