Abgründe

Smile (2022) über die Tabuisierung von psychischen Erkrankungen

In dem Horror-Überraschungshit Smile – Siehst du es auch? steckt weitaus mehr als es die zahlreichen Jumpscares vermuten lassen. Wir haben einen Blick hinter das perfide Lächeln geworfen. Eine Analyse.

Originaltitel: Smile
Land: USA
Laufzeit: 116 Minuten
Regie: Parker Finn
Drehbuch: Parker Finn
Cast: Sosie Bacon, Kyle Gallner u.a.

Einleitung

Mit seinem Langfilmdebüt Smile – Siehst du es auch? hat Parker Finn im letzten Jahr einen gigantischen Überraschungserfolg feiern können. Bei einem Budget von 17 Millionen konnte der Streifen weltweit circa 217 Millionen USD einspielen; ein Erfolg, der sicherlich auch maßgeblich von dem massiven Hype positiv beeinflusst wurde, den der Film auf TikTok generieren konnte. Die obligatorischen Berichte von in Ohnmacht gefallenen Zuschauer:innen taten ihr Übriges und so wurde Smile zu einem riesigen Hit, der gemessen an der Zahl verkaufter Tickets sogar Titel wie den neusten Scream hinter sich lassen konnte.

Abseits der zahlreichen und durchaus sehr effektiven Schreckmomente, mit denen in diversen Werbeclips reichlich geworben wurde, steckt in Smile aber noch deutlich mehr als sich vielleicht auf den ersten Blick erkennen lässt. Neben den zielsicheren Jumpscares legt Finn nämlich den Finger in eine soziale Wunde, vor der zu viele Menschen noch immer die Augen verschließen: den gesellschaftlichen Umgang mit und die Tabuisierung von psychischen Erkrankungen.

„Wie geht es dir?“ – Die Maske des Alltags

Ein kurzer Umriss der Handlung: Die Psychologin Rose wird Zeugin, wie sich die kürzlich ins Krankenhaus eingewiesene Notfallpatientin Laura auf brutale Weise das Leben nimmt. Vor ihrem vermeintlichen Suizid hat diese von angsteinflößenden Visionen berichtet, in denen ihr unterschiedliche Menschen erscheinen, deren Gesichter immer ein diabolisches Grinsen ziert. Und auch Laura hat während ihres Selbstmordes ein eben solches Grinsen aufgesetzt. Rose ist von dem Zwischenfall sichtlich verstört, aber damit nicht genug: Ab diesem Zeitpunkt sieht sich auch sie den beschriebenen Visionen ausgeliefert, bis sie einen verstörenden Zusammenhang zu früheren ähnlichen Todesfällen findet …

Natürlich hat das titelgebende Grinsen einen hohen Wiedererkennungswert und kann für einige unheimliche Momente sorgen, aber es steckt noch weitaus mehr dahinter. In dem Wort „Smile“ steckt nämlich eine wichtige Doppeldeutigkeit: Zum einen bedeutet es natürlich „das Lächeln/Grinsen“, ist also als Nomen zu übersetzen, zum anderen kann es im Englischen aber auch als Imperativ verstanden werden: „Lächle!“. Der Titel steht symbolisch für eine weitverbreitete soziale Maske, die die meisten von uns im Alltag aufsetzen (müssen), um persönliche Probleme nicht für andere sichtbar nach außen zu tragen. Zudem entspricht die Aufforderung einem von außen kommenden Anspruch, stets gut drauf zu sein – auf die Begrüßungsfloskel „Wie geht’s dir?“ erwarten wohl die wenigsten eine ausführliche, ehrliche Antwort.

SmileSobald der übernatürliche Spuk im Film einsetzt und sich Roses Zustand zusehend verschlechtert, wird sie von Personen in ihrem Umfeld mehrfach gefragt, wie es ihr gehe. Gut, lügt sie und lächelt dabei jedes Mal. Dieses Lächeln nimmt die Funktion einer zusätzlichen Versicherung ein, denn es signalisiert: Keine Sorge, es geht mir wirklich gut. In einer kapitalistischen Gesellschaft entspricht diese Antwort gleichzeitig dem Versuch zu beweisen, dass sie noch immer ein „funktionierender“ Teil dieser ist; nicht mehr als Psychiaterin praktizieren zu können oder gar eine Zwangseinweisung zu riskieren, würden den Verlust ihrer Lebensgrundlage bedeuten. Wir als Publikum wissen natürlich, dass ihre Antwort nicht der Wahrheit entspricht und auch Roses Gegenüber erkennen dies – nachhaken tut trotz der offensichtlichen Lüge jedoch niemand von ihnen, weil diese gelogene Antwort zweifelsfrei die bequemere ist und zudem keine Auseinandersetzung mit einer ehrlichen aufzwängt.

Überforderung und Ignoranz

Zugleich entspringt Roses Lächeln aber auch einer gesellschaftlichen Erwartungshaltung, andere Menschen nicht mit persönlichen – und erst recht nicht mit psychischen! – Problemen behelligen zu wollen. Diese Konvention des Nicht-drüber-Redens und des Verbergens von Gefühlen sorgt in Konsequenz dafür, dass seelische Belastungen und Traumata sich tief in das eigene Ich fressen können, ohne durch Aussprache adäquat verarbeitet werden zu können. Der Grund für diesen toxischen Mechanismus liegt in einem desensibilisierten Umgang mit psychischen Erkrankungen, der in unserer Gesellschaft weit verbreitet ist.

SmileFinn legt die entsprechenden Verhaltensmuster an vielen Stellen des Films offen und verdichtet sie zu einem Porträt einer Gesellschaft, deren Umgang mit psychischen Erkrankungen sich höchstens als grotesk beschreiben lässt. Bei der ersten Befragung durch die Polizei, die Rose nach dem Suizid Lauras durchführt, diagnostiziert sie, dass diese vermutlich an einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung gelitten hat, woraufhin der befragende Polizist nur mit „Yikes“ antwortet – ein Ausruf, der in diesem Kontext als ein Ins-Lächerliche-Ziehen zu verstehen ist und darauf abzielt, die Ernsthaftigkeit dieser Störung als überzogen runterzuspielen.

Ebenso auffällig ist, wie ausgeprägt abfällig die Figuren über und mit Betroffenen reden. Der Gebrauch von Wörtern wie „crazy“ oder „insane“ ist noch die konventionellste Diffamierung; in einer Szene besucht Rose einen Inhaftierten, dem es gelang, den Fluch abzuschütteln. Der Preis dafür: einen Menschen auf brutalste Weise ermorden. Als der Wärter Rose zu dem Besuchsraum begleitet, beschreibt er den Häftling wegen dessen geistigen Gesundheitszustandes als „a whole box of fruit loops“ – ein besonders extravagantes englisches Sprichwort, um die angeschlagene Psyche als exzentrische Abnormalität zu beschreiben und dem Mann seine Erkrankung zum Vorwurf zu machen.Smile

Lächle doch einfach mal!

Und auch Rose selbst bleibt von solchen und ähnlichen Anfeindungen nicht verschont, die sich manchmal in manipulierenden Mikroaggressionen, manchmal in offen artikulierter Aversion äußern. Besonders harsch sind dabei die Zurückweisungen ihres Verlobten sowie ihrer Schwester. Statt Rose in ihrer schwierigen Lage zu unterstützen, kriegt sie zu hören, dass sie „total verrückt“ werden würde und von ihrer Schwester zudem noch, dass diese Roses Verhalten in ihrer aktuellen Lebenssituation nicht gebrauchen könne. Finn zeigt in entsprechenden Szenen typische Mechanismen, die an eine Opfer-Täter-Umkehr erinnern: Anstatt Rose als psychisch verletzt und hilfsbedürftig zu erkennen, wird sie von ihren engsten Mitmenschen aufgrund der Symptome ihrer posttraumatischen Belastungsstörung in die Rolle einer Täterin gezwängt, indem sie ihr suggerieren, dass die Schuld für ihr Verhalten bei ihr liege.

In einer Szene konfrontiert Rose ihren Verlobten damit und wirft ihm vor, er wäre nicht etwa wütend aus Verzweiflung darüber, dass es ihr immer schlechter ginge, sondern weil ihre neuen Probleme seiner Vorstellung von einem einfachen, unkomplizierten Leben im Weg stehen würden. Und die Inszenierung seiner überzogen empörten Reaktion gibt ihr Recht. Smile offenbart an dieser Stelle schließlich ganz explizit das fehlende gesellschaftliche Verständnis für den Umgang mit Personen, die an psychischen Erkrankungen leiden, und legt über die gesamte Laufzeit die Tabuisierung solcher Themen als Grund dafür offen.

Smile
Haben für Rose nur Unverständnis und Ablehnung übrig: Schwester Holly und ihr Ehemann

Ein Plädoyer

Mit dieser Agenda lässt sich der Film daher als ein Plädoyer verstehen: nämlich der Tabuisierung von Depressionen, Panik- und Angststörungen und anderen psychischen Erkrankungen aktiv entgegenzuwirken und ein strukturelles Bewusstsein für die Symptomatik und vor allem den Umgang mit Betroffenen zu fördern. Wenn man sich beispielsweise eine Hand bricht, ist es das Normalste der Welt, im Anschluss eine Physiotherapie zu machen; sich für den Heilungsprozess professionelle Unterstützung zu suchen, ist in dem Fall eine völlige Selbstverständlichkeit. Es ist beinahe grotesk, dass dieselbe Selbstverständlichkeit nur bei physischen und nicht auch bei psychischen Verletzungen gegeben ist.

Der Horror in Smile entfaltet sich vor allem durch emotionale Repression. Solange es kein gesellschaftliches Verständnis für die Ernsthaftigkeit von psychischen Störungen gibt, werden die Ablehnung und die Schuldzuschreibungen für Rose zu einer Spirale, die sie zu verschlingen droht – und letztlich ihr Ende bedeuten wird. Das Ende des Films ist vor allem deswegen ein so deprimierendes, weil es sich, nimmt man die Metapher des Lächelns als soziale Maske ernst, so leicht hätte abwenden lassen können. Empathie, Einfühlungsvermögen, Verständnis und Aufklärung sind die notwendigen Schlüssel für eine Enttabuisierung von psychischen Krankheiten. Und sorgen hoffentlich irgendwann dafür, dass das falsche Lächeln als soziale Maske durch offenes und ehrliches Sprechen über Emotionen und Gefühle abgelöst wird – ein Happy End wäre für Rose in einer solchen Welt ein Leichtes gewesen.

SmileBildquelle: Smile – Siehst du es auch? © Paramount Pictures

Horrorfilme sind für mich die beste Möglichkeit, die Grenzen des Zumutbaren und des eigenen Sehvergnügens auszuloten und neu zu definieren. Außerdem gibt es kaum ein anderes Genre, das so viele verschiedene gute Ideen, Möglichkeiten und Geschichten hervorbringen kann, da, ähnlich wie im Science-Fiction, einfach alles möglich ist. Es ist faszinierend, wie stark einen gute Horrorfilme in ihren Bann ziehen können und dabei sowohl schockieren als auch unterhalten.

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