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Horrorfilme aus 2022, die ihr gesehen haben solltet (Teil 1/2)

JanaJana

– Empfehlungen –

Fresh (R: Mimi Cave)

Was augenscheinlich als typisch-charmante Netflix-Romanze beginnt, in der ein Mädchen einen Jungen trifft und sich in diesen verliebt, verwandelt sich schon bald in einen herrlich schwarz-humorigen Thriller, denn der Junge hat das Mädchen wortwörtlich zum Fressen gern.

Online-Dating ist der Horror. Diese Erfahrung muss auch Noa (Daisy Edgar-Jones) machen, die Tinder und Co. langsam überdrüssig ist. Glücklicherweise lernt sie in einem Supermarkt zufällig den attraktiven Steve (Sebastian Stan, The Devil All the Time) kennen, in den sie sich nach einigen erfolgreichen Dates verliebt. Die rosarote Brille wird ihr allerdings jäh heruntergerissen, als sie von Steve während eines gemeinsamen Ausflugs kurzerhand entführt wird. Als Noa wieder zu sich kommt, offenbart sich ihr die schreckliche Wahrheit, denn ihr liebenswerter Freund ist nicht der, für den sie ihn hält.

Mimi Cave präsentiert mit ihrem Regiedebüt Fresh einen erschreckenden Blick auf die Gefahren der modernen Dating-Szene, insbesondere aus der Sicht von Frauen, die bei der Auswahl ihrer Dating-Partner*innen leider nie vorsichtig genug sein können. Es ist eine surreale, überraschende Geschichte, die auf überflüssige Jumpscares und übertriebene Gewalt verzichtet und sich stattdessen mit einer kühlen, fast realistischen Form des Kannibalismus beschäftigt. Hier gibt es keinen „wilden Eingeborenenstamm“, der eine ach so arme Forschungsgruppe einfängt, zerlegt und gierig hinunterschlingt, sondern einen methodisch vorgehenden Mediziner, der zu cheesy 80er-Jahre-Musik säuberlich das Bein einer jungen Frau filetiert, vakuumiert und anschließend in mehrere kleinere Portionen verpackt. Steve präsentiert sich wie der Host einer Kochsendung, der in einer hübschen TV-Küche das Essen vorbereitet. Fresh betont hier die bittere Schwelle zwischen lebendigen Körpern und schnöden Fleisch als ein sachlich kulinarisches Ereignis, das jede*r mit genug Geld erleben kann.

Der Kontrast zwischen der banalen Normalität des Lebens eines gewöhnlichen Menschen und der Monstrosität dessen, was genau unter der Oberfläche lauert, zeigt sich nicht nur bei der Leistung von Sebastian Stan, sondern auch im Ton des Films, der zwischen Noas Survival-Modus, unaufgeregten Business-Geplänkel und romantischen Pärchen-Momenten hin und her springt.

Zu sehen auf Disney+.

Hellraiser (R: David Bruckner)

Im Reboot der beliebten Hellraiser-Reihe von David Bruckner versucht die mit Suchtproblemen kämpfende Riley (Odessa A’zion) wieder auf die Beine zu kommen. Unterstützt wird sie dabei mehr schlecht als recht von ihrem Freund Trevor (Drew Starkey), der sie überredet, in ein verlassenes Lagerhaus einzubrechen, wo sie in den Besitz eines mysteriösen Würfels gelangen. Aber als Riley dessen Rätsel entwirrt, offenbart sich ihr das finstere Geheimnis der Puzzlebox.

35 Jahre nach Clive Barkers Hellraiser beschert Regisseur David Bruckner (The Night House) der eingestaubten Reihe einen gelungenen Neustart. Hellraiser bleibt dem Horror-Genre treu und erzählt gleichzeitig eine intime Familiengeschichte zwischen Trauer, Schuld und Akzeptanz. Wie bereits in seinen Vorgängerfilmen bietet Bruckner eine dichte, beengende Atmosphäre, die durch ein wunderschönes Produktionsdesign verstärkt wird.

Der Höhepunkt dessen ist unbestreitbar das modernisierte Design der Zenobiten, die Muskulatur enthüllen und ihre menschliche Form regelrecht zurückschälen, um sie schließlich in etwas anderes zu verwandeln. Jamie Claytons Höllenpriesterin ist nun nicht mehr im düsteren Ganzkörperleder der 1980er-Jahre gekleidet, stattdessen trägt sie herausgeschnittenes Fleisch und Knochenfragmente wie prunkvolle Verzierungen; vervollständigt durch androgyne Gesichtszüge und das verzerrte Bild eines Körpers, der jegliche menschliche Konnotation verloren hat. Gleichzeitig bewegte sich Clayton unheimlich beherrscht durch die Szenarien und blickt mit einer diebischen Freude auf diejenigen, die unglücklich genug sind, ihren Weg zu kreuzen. Die Zenobiten bleiben düstere Manifestationen der tief vergrabenen Wünsche der Menschen und sind wieder die Entdecker des Körpers, seiner Grenzen und des menschlichen Willens.

Und auch die Geheimnisse rund um die Puzzlebox sind nicht mehr nur ein starres Handlungsgerät, das einfach die monströsen Zenobiten beschwört, sondern ihre Präsenz treibt die Geschichte stetig voran. Jede abgeschlossene Würfel-Konfiguration erfordert Opfer, bis die endgültige Form entsperrt wird, was der Geschichte Tempo und Struktur verleiht. Gleichzeitig steht der Würfel für weit mehr als nur ein versprochenes Vergnügen, denn Bruckner konzentriert sich weniger auf Lustgewinn als treibenden Faktor, sondern ermöglicht einen anderen Blick auf Schmerz. Dieser ist vielmehr etwas Unvermeidliches, mit den die Protagonistin lernen muss zu leben.

Project Wolf Hunting (R: Kim Hong-seon)

Während einer Geheimoperation sollen einige der härtesten Kriminellen Südkoreas von Manila in ihr Heimatland ausgeliefert werden. Der erste Gefangenenaustausch geht höllisch schief und um weitere zivile Opfer zu vermeiden, wird für den Transport ein großes Frachtschiff gechartert. Neben mehreren Dutzend Sicherheitskräften befinden sich auch ein Arzt und dessen Assistentin an Bord. Aber auch hier läuft nichts so wie geplant, denn unter der Mannschaft befinden sich eine ganze Menge Saboteure, die Waffen auf das Schiff geschmuggelt haben und schon nach wenigen Stunden entbrennt ein erbitterter Kampf auf Leben und Tod.

Regisseur und Drehbuchautor Kim Hong-seon (The Chase) gibt sich alle Mühe, um einen wahrlich bombastischen Action-Horror abzuliefern, der Blut und Gewalt an jeder Ecke bereit hält. Das Schiff wird zu einem Schlachtfeld und insbesondere in der ersten Stunde steigt der Bodycount von Minute zu Minute. Mit den Opfern selbst wird nicht gerade zimperlich umgegangen, denn die wenigsten sterben im Kugelhagel, sondern werden erstochen, erschlagen, zerquetscht oder zerhackt, bis das Blut nur so fontänenartig aus allen (unnatürlichen) Körperöffnungen spritzt. Zudem fliegen einige Gliedmaßen durch die Gegend, die kurzerhand ebenfalls als Waffen benutzt werden. Kim orientiert sich dabei weitestgehend an indonesischen Actionkrachern von Gareth Evans (The Raid) oder Timo Tjahjanto (Headshot) bis die Action in der zweiten Hälfte schließlich einigen Science-Fiction-Versatzstücken weicht.
Dabei holt Kim wahrlich alles aus der recht dünnen, vertrauten Story heraus und fährt gut damit, sich vor allem auf die Dynamik der einzelnen Figuren, praktischen Effekte und Atmosphäre zu konzentrieren. Diese wirkt insbesondere durch die beengte Kulisse äußerst klaustrophobisch und isoliert die Charaktere in dieser tödlichen Umgebung. Es gibt absolut keine sicheren Rückzugsorte und bald ist das Publikum dem Grauen genauso schutzlos ausgesetzt wie die Protagonist*innen selbst.

V/H/S/94 (R: Divers)

Die fünfteilige Anthologie V/H/S/94 entstand unter der Schirmherrschaft von David Bruckner (The Ritual) sowie Brad Miska und ist der fünfte Eintrag im Franchise, wenn man neben dem Originalfilm V/H/S sowie den Sequels V/H/S/2V/H/S: Viral, auch das Spin-off Siren von Gregg Bishop mit einschließt. Den Regisseur*innen Jennifer Reeder (Knives and Skin), Chloe Okuno (Watcher), Simon Barrett (Seance), Timo Tjahjanto (Killers), Ryan Prows (Lowlife) gelingt es dabei, den schmutzigen Retrocharme der Videokassetten-Ära heraufzubeschwören.

Und V/H/S/94 ist nicht nur eine qualitative Steigerung zu seinem Vorgänger V/H/S: Viral, sondern auch der bisher beständigste Film des Franchise. V/H/S/94 profitiert hier abermals eindeutig vom Found-Footage-Stil, bei dem die Technologie als passiver Beobachter immer präsent ist. Die verschiedenen Regisseur*innen positionieren ihre Kurzfilme in den 1990er-Jahren und rekonstruieren gekonnt die Körnung, den Verschleiß und die Abnutzung von Heimvideobändern aus dieser Zeit. Die Low-Budget-Verdorbenheit der Visuals passte gut in die Underground-Tape-Trading-Szene, von der der Film sicherlich inspiriert wurde. Auch wenn es sich bei VHS um ein längst totes Format handelt, ist der Film zugleich zeitgemäß, da er sich mit der menschlichen Beziehung zur Technologie befasst. An anderer Stelle bekommt das Publikum gelegentliche Einblicke in die Früphase des Internets und natürlich die unvermeidliche Präsenz von Grunge-Musik.

V/H/S/94 hat sich die Nostalgie zu eigen gemacht, die oft durch das Blut von Horrorfans sickert und verwandelt sie in einen Fiebertraum, gemischt mit Bildern, die sich anfühlen, als wären sie aus den dunklen Winkeln von YouTube gezogen. Ein wahrlich digitaler Albtraum.

– Größte Enttäuschung –

Grimcutty (R: John Ross)

Erwachsenwerden ist nicht leicht. Das muss auch die Teenagerin Asha Chaudhry (Sara Wolfkind) feststellen, denn ihre überfürsorglichen Eltern nerven immer mehr mit sogenannter handyfreier Zeit, die sie regelmäßig mit ihrer pubertierenden Tochter und dem jüngeren Sohn verbringen wollen. Durch Zufall erfährt die Familie von der besorgniserregenden Internet-Challenge Grimcutty. Während alle Erwachsenen aus der Nachbarschaft langsam in Panik verfallen und ihren Kindern den Zugang zu digitalen Medien versperren, müssen diese sich plötzlich mit dem Grimcutty auseinandersetzen, der mehr zu sein scheint als ein bloßes Internetphänomen.

Trotz einer Atmosphäre, die an die Satanic Panic der 1980er-Jahre erinnert, bleibt Grimcutty ein halbgarer Horrorfilm, der sich in seiner Prämisse über Online-Paranoia und fehlende Kommunikation innerhalb der Familie verliert. Während Score und Regie durchschnittlich anmuten, gibt es nicht nur große Abstriche beim übertriebenen Schauspiel, das nie vollkommen überzeugt, sondern auch das Drehbuch mäandert ab einem bestimmten Punkt in nichts. Grimcutty verliert seinen Fokus auf das Kernthema über die Distanz zwischen Eltern und Kindern in Bezug auf das Verständnis des digitalen Raums und wiederholt dabei zu oft das ungleiche Katz-und-Maus-Spiel der Protagonistin und dem fleischgewordenen Albtraum. Es fühlt sich zu uneinheitlich an, um Grimcutty ernst zu nehmen. Und dabei ist das Monster-Design durchaus gruselig anzusehen. In einer Mischung aus Slenderman und Shinigami begeistert die monströse Manifestation elterlicher Panik mit seiner schieren Körperlichkeit. Aber selbst dieses noch so gruselige konzeptionelle Versprechen kann Grimcutty letztendlich nicht vor der Mittelmäßigkeit retten.

Zu sehen auf Disney+.


Teil 2 mit weiteren Empfehlungen und auch ein paar Enttäuschungen, die das Horrorjahr 2021 bereithielten findet ihr hier.

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Seid gegrüßt, Ich habe unzählige Namen und erscheine in vielen Gestalten. Hier kennt man mich als Dark Forest und ich bin euer Gastgeber. Ich führe euch durch die verwinkelten Bauten, düsteren Wälder und verfallenen Ruinen. Immer mir nach!

...und was meinst du?