Tanz der Unschuldigen (2020) – Review
Die Indie-Produktion Tanz der Unschuldigen beglückt das deutsche Netflixpublikum mit einem Hexenfilm im Stile von Klassikern wie Der Hexenjäger. Ein weiterer Fall der Wiederkehr des ewig Gleichen oder frischer Wind? Wir sind ins sonnige Spanien gereist, um uns dem Tanz anzuschließen.
Originaltitel: | Akelarre |
Land: | Spanien/Frankreich/Argentinien |
Laufzeit: | 92 Minuten |
Regie: | Pablo Agüero |
Drehbuch: | Pablo Agüero, Katell Guillou |
Cast: | Amaia Aberasturi, Alex Brendemühl u.a. |
VÖ: | Seit 11.03.2021 auf Netflix |
Inhalt
Spanien im Jahre des Herrn 1609. Die Feuer der Inquisition verheeren die alte Welt. In einem kleinen Küstendorf im Baskenland verbringt eine Gruppe junger Frauen ihre Zeit in recht großer Freiheit. Die Männer sind auf See und so haben sie die Gelegenheit zu tun, was Jugendliche eben tun. Sie streifen durch die Wälder, trinken und rauchen, probieren gelegentlich von den heimischen Pilzen, die im Schatten der Eichen wachsen und tanzen nachts auf einer Lichtung im Wald.
Doch mit der Ankunft des Inquisitors Rostegui (Alex Brendemühl) und seines Gefolges brechen dunkle Zeiten an. Die Gruppe wird verhaftet und kurz darauf einem aufgesetzten entwürdigendem Verhör unterzogen. Es entwickelt sich ein Wettlauf gegen die Zeit, bis die Väter vom Fischfang zurückkehren.
Kritik
Der mittelalterliche und frühneuzeitliche Hexenwahn ist seit den Anfängen des Horrorfilms ein immer wieder aufblitzendes Thema. Vom stimmungsvollen Stummfilm Häxän über den 70er-Jahre-Klassiker Der Hexenjäger spannt sich der thematische Bogen in die Gegenwart, deren eindrücklichster Eintrag Robert Eggers Debüt The Witch sein dürfte.
Die wichtigsten Referenzen für Regisseur Pablo Agüeros Tanz der Unschuldigen sind augenscheinlich Filme wie der erwähnte Hexenjäger. Stehen in den siebziger Jahren noch Figuren wie der Hexenjäger Mathew Hopkins im Zentrum stehen, verschiebt Agüero die Perspektive hin zu den Opfern der religiös verblendeten Gräuel. Folterszenen gibt es zwar, allerdings stehen diese viel weniger im Zentrum. Viel mehr bekommen die Zuschauenden die Interaktionen der jungen Frauen im Verlies zu sehen. Von der anfänglichen Hoffnung auf schnelle Aufklärung eines Missverständnisses bis zur Resignation, wenn die Daumenschrauben fester gestellt werden.
Die Charaktere sind hierbei ausgesprochen stark gezeichnet. Zwar hat die Protagonistin Ana (Amaia Aberasturi) den bei weitem höchsten Redeanteil, doch auch ihre Leidensgenossinnen haben sehr klare Profile. Von der kämpferischen Maider (Jone Laspiur), über die etwas obszöne und erfrischend humorvolle Olaia (Irati Saez de Urabain) zur noch etwas kindlichen, weil jüngeren Katalin (Garazi Urkola), hat Agüero hier plastische und nahbare Figuren erschaffen, die von den Schauspielerinnen hervorragend in Szene gesetzt werden. Gleiches gilt für Inquisitor Rostegui. Die empörende Ruhe und Routine, mit der er den Frauen jedes Wort im Mund herumdreht, um das gewünschte Ergebnis zu erhalten, die Lüsternheit, mit der er sich jedes Detail der angeblichen Verbindung mit dem Teufel schildern lässt und seine Obsession, die Geheimnisse des Hexensabbats zu erfahren, verbinden sich zu einer Figur deren Bedrohlichkeit weniger aus ihrer Brutalität gespeist wird als viel mehr aus der scheinbaren Unpersönlichkeit der Situation, die sich schon hundertfach in den Wochen und Monaten vorher in anderen Dörfern zugetragen hat.
Doch diese Unpersönlichkeit wird gebrochen, als klar wird, dass er gerade an Ana ein durchaus persönliches Interesse hegt. Im Verlauf reift zwischen den Frauen ein Plan heran, das so oder so schon absurde Spiel des Inquisitors vollständig ad absurdum zu führen. Sie bieten ihm an, ihm das zu geben, was er sich am meisten erträumt: einmal Zeuge des Sabbats zu werden.
Agüeros beweist den ganzen Film hindurch ein Händchen für eindrucksvolle Aufnahmen. Baskische Klippen kontrastieren die klaustrophobische Enge des Kerkers. Die Wälder sind herrlich farbenfroh und vital. Das Zusammenprallen der spanischen und baskischen Kulturen ist hier auch in Bezug auf die Sprache deutlich. Das Baskische wird als magische Sprache verunglimpft, die nur dazu taugt mit Tieren zu sprechen. Ein baskisches Seemannslied wird von der Inquisition zur okkulten Beschwörungsformel uminterpretiert. Gegen alles, was fremd ist und nicht dem Ideal entspricht, kann sich deren flammende Zerstörungswut wenden.
Was Tanz der Unschuldigen nun von anderen Genrevertretern, wie Der Hexenjäger oder auch Hexen bis aufs Blut gequält unterscheidet, ist insbesondere die oben bereits erwähnte Perspektivverschiebung vom Hexenjäger auf die Angeklagten. Hiermit schlägt der Regisseur interessanterweise in eine ähnliche Kerbe wie die britische Autorin A.K. Blakemore in ihrem 2020 erschienen Debütroman „The Manningtree Witches“. Und ebenso wie Blakemore schafft es Agüero, das Augenmerk auf einen spannenden Punkt zu werfen. In beiden Beiträgen wird recht deutlich herausgearbeitet, wie die Hexen überhaupt erschaffen werden. Denn Hexen sind mitnichten einfach da, sondern werden in sozialen Prozessen erst produziert, wie die Verhörszene zwischen Rostegui und Ana gut aufzeigt. Er will jedes Detail über den Hexensabbat erfahren, den Ana und die ihren angeblich gefeiert haben. Dabei geht es aber nur bedingt um die Aufklärung der Geschehnisse, um Wahrheitsfindungen in einem juristischen Prozess. Und Ana wirft ihm Brocken für schmackhaften Brocken hin, während sie Ausschweifungen erfindet, um Zeit zu schinden. Während sie sich in Beschreibungen teuflischer Ekstasen windet, die Rostegui ihr in den Mund legt, sitzt er ihr mit aufgerissenen Augen und Mund gegenüber, tupft sich den Schweiß von der Stirn, den Geifer von den Lippen. Es sind sichtlich seine eigenen verbotenen, unterdrückten Begierden, die sie ins Tageslicht zerrt und offenlegt. Doch Ana kennt die Männer der Kirche und gibt ihm das, wonach es ihn sehnt. Das wirkliche Geschehen, das man dabei in Rückblendungen zu sehen bekommt, sind aber nicht Teil einer teuflischen Verschwörung, sondern Szenen von Jugend, Freiheit und Müßiggang nach verrichtetem Tagwerk. Und diese Freiheit ist es, die nach Ansicht des Inquisitors ausgemerzt werden muss. Denn hierin liegt auch die Stärke, die es zu unterwerfen gilt.
Die amerikanisch-italienische Philosophin Silvia Federici, hat in ihrer 2004 erschienen Monographie „Caliban and the Witch“ die Position von Frauen in der mittelalterlichen Gesellschaft beschrieben und dabei herausgearbeitet, dass trotz eines harschen patriarchalischen Regiments Räume für weibliche Autonomie bestanden haben. Frauen konnten beispielsweise in vielen Berufen arbeiten und so von Familie unabhängig und ohne Mann ein Auskommen haben. Ebenso waren Frauen häufig an Verteilungskämpfen um die erwirtschafteten Güter beteiligt. Ferderici argumentiert weiter, dass die Hexenverfolgung nicht zufällig in die Frühphase des Strukturwandels vom Feudalregime zum Kapitalismus fällt und strukturell den Zweck erfüllt hat, diese Möglichkeiten zur Autonomie zu untergraben und Frauen zur unbezahlten Reproduktionsarbeit zu zwingen. Wer genau hinsieht, stößt in Tanz der Unschudigen immer wieder auf von Federici beschriebene Strukturen.
Das Ende mag vor diesem Hintergrund resigniert wirken, doch die Geschichte ist geschrieben. Das düstere Kapitel der Hexenprozesse hat ein Ende und so wundert es nicht, dass den jungen Frauen um Ana am Ende nichts bleibt als zu fliegen. Was das heißt, mögen die geneigten Lesenden selbst herausfinden.
Fazit
Tanz der Unschuldigen ist ein moderner Hexenfilm, dem es erfolgreich gelingt, das etwas angestaubte Genre mit frischem Wind zu beleben. Hierzu tragen nicht zuletzt die hervorragende schauspielerische Leistung des Casts bei. Auch technisch gibt es nichts zu bemängelt. Wer jedoch eine Version von Hexen bis aufs Blut gequält sehen möchte, wird hier möglicherweise enttäuscht werden. Für Genrefans und die, die es werden wollen, lohnt sich der Blick alle Male.
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Bildquelle: Tanz der Unschuldigen © Netflix