The Vigil – Die Totenwache (2019) – Review
In der neuen Blumhouse-Produktion The Vigil übernimmt ein junger Mann widerwillig die Totenwache für das verstorbene Mitglied einer ultraorthodoxen Gemeinde und muss sich schon bald nicht nur einem jüdischen Dämon, sondern auch den Geistern der eigenen Vergangenheit stellen.
Originaltitel: | The Vigil |
Land: | USA |
Laufzeit: | 89 Minuten |
Regie: | Keith Thomas |
Drehbuch: | Keith Thomas |
Cast: | Dave Davis, Menashe Lustig, Lynn Cohen u.a. |
VÖ: | Seit 23.07.2020 im Kino |
Inhalt
The Vigil spielt in einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde in New York, von der sich Yakov Ronen (Dave Davis, Jeepers Creepers 3) nach einem traumatischen Erlebnis abgewandt hat. Außerhalb der Glaubensgemeinschaft kommt er jedoch nur schwer zurecht, so dass schon das Schreiben einer Bewerbung oder das Ansprechen einer Frau zu widrigen Aufgaben werden. Da auch das Geld für die Miete knapp ist, nimmt Yakov widerwillig das Angebot seines strenggläubigen Freundes Reb Shulem an, für 400 Dollar eine Nacht lang die Totenwache für einen kürzlich verstorbenen Greis zu halten. Die Versuche der trauernden Witwe, ihn zu vertreiben, wehrt Yakov ab – und versteht zu spät, dass sie ihn nur vor dem Dämon schützen wollte, der nach dem Tod ihres Mannes einen neuen Wirt sucht.
Kritik
Erbrechen, Ohnmachtsanfälle, gar eine Fehlgeburt soll Der Exorzist 1974 beim Kinopublikum ausgelöst haben – knapp fünfzig Jahre später sind solche Reaktionen auf eine filmische Dämonenaustreibung nur schwer vorstellbar. Längst gehören Bibeln, Kruzifixe und psalmenrezitierende Priester zum festen Repertoire des Horror-Genres. Dass Regisseur und Drehbuchautor Keith Thomas mit seinem Filmdebüt The Vigil dennoch Jason Blum, Gründer und CEO von Blumhouse Productions (Halloween, Get Out), als ausführenden Produzenten gewinnen konnte, liegt vor allem am ungewöhnlichen Setting. Der Schauplatz von The Vigil, eine chassidische Gemeinde in New York, bleibt neugierigen Blicken für gewöhnlich verborgen. Innerhalb des Judentums ist das ultraorthodoxe Judentum die konservativste Richtung; vom Alltag der abgeschottet lebenden Gemeinschaft und ihren Regeln erfährt man meist nur durch Aussteiger*innen.
In The Vigil begleiten wir den jungen Aussteiger Yakov eine Nacht lang; wenige Stunden, die er allein mit der abgedeckten Leiche des alten Mannes in einem kleinen, dunklen Wohnzimmer verbringt. Auf engstem Raum bleibt Yakov sich selbst und seinen Ängsten überlassen, die sich in akustischen und visuellen Halluzinationen äußern und ihn zunehmend panisch werden lassen. Mit zahlreichen Jump Scares nutzt The Vigil das Potenzial dieses klaustrophobischen Raums effektiv aus und zeigt, dass er in handwerklicher Hinsicht seine Hausaufgaben gemacht hat – nur wirkt die Aneinanderreihung dieser typischen Genre-Motive derart mechanisch, dass die Atmosphäre sich angesichts der Effekt-Maschinerie nicht recht verdichten mag. Mit der minimalistischen Ausleuchtung schafft Thomas sich ein unermüdliches Reservoir an kurzweiligen Schreckmomenten, die ihre spannungssteigernde Wirkung recht bald einbüßen, auch deshalb, weil man selten mehr erkennt als ein paar Schemen.
Das Besondere an Thomas‘ Beitrag zum Leinwand-Exorzismus liegt aber ohnehin weniger in der innovativen Handlung oder der stimmungsvollen Inszenierung als in der Tatsache, dass er ohne Kruzifixe und Weihwasser auskommt. Die dämonische Leinwand bedient sich stattdessen aus der jüdischen Mythologie und stuft diese reiche Folklore dabei weder zur exotischen Dekoration herab, noch stellt The Vigil die chassidische Glaubensgemeinschaft, von der Yakov sich abgewandt hat, ähnlich einseitig dar wie zuletzt die Netflix-Serie Unorthodox. Sie sind keine religiösen Fanatiker, ihr Glaube ist aber auch nicht das ultimative Heilsmittel gegen den Dämon, obwohl diese Bedrohung stark mit der jüdischen Identität der Heimgesuchten zusammenhängt.
Der Ursprung dieser Bedrohung liegt nicht außerhalb, sondern innerhalb der Figuren. Ähnlich wie in Jennifer Kents Der Babadook ist es auch hier die unbewältigte Vergangenheit, die dämonische Züge annimmt und die Handelnden heimsucht. Die Schrecken des Holocaust sowie des alltäglich erfahrenen Antisemitismus manifestieren sich in den Mazzikin, jüdischen Dämonen, die sich am Schmerz ihrer Opfer laben. Der Verstorbene, ein Überlebender, dessen gesamte Familie in Buchenwald ermordet wurde, konnte diese Erfahrung zeitlebens nicht überwinden. Die industrielle Vernichtung von Millionen von Menschen ist ein ganz realer Horror, umso mehr schmerzt es, dass auch Yakov, Jahrzehnte später, unter denselben antisemitischen Ressentiments zu leiden hat, die weiterhin unterschwellig in der Gesellschaft gären. Obwohl diese Themen zu oberflächlich behandelt werden, als dass sich eine emotionale Sogkraft entwickeln könnte, ist The Vigil in der Hinsicht beängstigend aktuell und sorgt schon allein deshalb für ein mulmiges Gefühl.
Fazit
Regisseur Keith Thomas inszeniert in seinem Debüt The Vigil eine Dämonenaustreibung, die bewährte Exorzismus-Motive mit jüdischer Mythologie zusammenbringt und so für frischen Wind im Sub-Genre sorgt. Obwohl die ernsten Themen tiefgreifender hätten behandelt werden können – oder angesichts ihrer Tragweite vielleicht sogar: müssen – bemüht der Film sich, zumindest die jüdische Mythologie und die Lebenswelt der Ultraorthodoxen ernst zu nehmen und sich nicht nur ihren Exotik-Bonus zunutze zu machen. Ein denkwürdiger Film ist am Ende trotzdem nicht dabei herausgekommen, auch, weil der Mut, fernab ausgetretener Pfade zu wandeln, sich auf formaler Ebene nicht halten konnte.
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Bildquelle: The Vigil – Die Totenwache © Wild Bunch Distribution