Der Babadook
Kritik

Der Babadook (2014) – Review

Jennifer Kents Debütfilm Der Babadook ist ein äußerst intensives Horrordrama rund um Trauer, Überforderung und Depression wie man es bisher selten gesehen hat. Nehmt Platz. Dies ist die Geschichte von Mr. Babadook…

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:

The Babadook
Australien/Kanada
94 Minuten
Jennifer Kent
Jennifer Kent
Essie Davis, Noah Wiseman u.a.

Hintergründe

Die Australierin Jennifer Kent hat ihre Karriere im Filmgeschäft als Schauspielerin begonnen. Doch nach ihrem Abschluss am National Institute of Dramatic Art in Kensington, Australien, war Kent die Schauspielerei schon langweilig geworden. Da sie sich nicht mit dem Gedanken anfreunden konnte, noch einmal auf eine Filmschule zu gehen, wandte sie sich an Lars von Trier, von dessen Werken sie sehr beeindruckt war, und bat direkt von ihm lernen zu dürfen. So kam es, dass sie 2002 bei von Triers Dogville als Produktions-Assistentin mitarbeitete. 2005 veröffentlichte sie ihren ersten Kurzfilm Monster, der schon viele Elemente enthielt, die sie auch knapp zehn Jahre später bei ihrem Spielfilmdebüt Der Babadook wieder aufgreifen wird, für den sie auch das Drehbuch geschrieben hat.

Inhalt

Wie schon in ihrem Kurzfilm erzählt Kent auch in Der Babadook die Geschichte der alleinerziehenden Mutter Amelia, die sich mit ihrem Sohn einer finsteren Macht stellen muss. Ihr Ehemann ist bei einem Autounfall gestorben, als dieser seine hochschwangere Frau ins Krankenhaus fahren wollte. Sieben Jahre später schlägt sich Amelia mehr schlecht als recht durchs Leben. Den Tod ihres Mannes hat sie bei weitem noch nicht verarbeitet und zudem kommt sie mit ihrem verhaltensauffälligen Sohn Samuel nur schwer zurecht. Das Leben der beiden gerät endgültig aus den Fugen, als ein großes rotes Kinderbuch mit der Aufschrift „Mr. Babadook“ auftaucht – denn mit ihm scheint sich ein böses Wesen in das Heim eingeschlichen zu haben…

Kritik

Jennifer Kent erzählt in ihrem Spielfilmdebüt eine Geschichte rund um Verlust, Trauer, Überforderung und Depression mit den Stilmitteln des Horrorfilms aus der Sicht der Mutter Amelia. Wir werden Zeuge ihres alltäglichen Trotts inmitten einer tiefen Depression, ihrer Schlaflosigkeit und der Überforderung mit Samuels quirliger und nach Aufmerksamkeit und Liebe lechzender Art. Gerade die Szenen mit Amelia und ihrem Sohn sind zum Teil sehr intensiv. Zwar erleben wir Samuel durchaus auch als aufgeweckten und sehr liebenden Sohn, der kleine Katapulte und Armbrüste bastelt, um seine Mutter zu beschützen, aber eben auch sehr fordernd ist. Es ist indes wenig hilfreich, dass Amelia kaum Nähe zu ihm zulassen kann, da er sie immer nur an den schmerzlichen Verlust dessen erinnert, was ihr im Leben am wichtigsten war. Dies führt wiederum dazu, dass sie von Schuldgefühlen geplagt wird, da sie ihren Sohn nicht so bedingungslos lieben kann, wie es von der Gesellschaft erwartet wird und wie sie es selbst wahrscheinlich gerne tun würde. Daraus entfaltet Jennifer Kent äußerst geschickt einen Abgrund, über dem Mutter und Sohn hängen. Die Scham und Schuldgefühle erzeugen einen schwarzen, düsteren Strudel unter ihnen, der die gesamte Beziehung zu verschlingen droht und sie von der Außenwelt isoliert.

Der Babadook

Kent gelingt es dadurch außerordentlich gut, eine unglaublich bedrohliche Atmosphäre zu erzeugen, die sich hauptsächlich aus der Überforderung von Amelia speist, und diese Überforderung, diesen Stress für das Publikum erfahrbar zu machen. Dadurch generiert sie eine permanente Anspannung, die schlussendlich fast schon beim Publikum selbst das Monster materialisieren lässt – und das alles, ohne den Babadook anfangs überhaupt zeigen zu müssen.

Diese Düsternis macht sich auch dadurch besonders bemerkbar, dass Kent und Kameramann Radek Ladczuk (The Nightingale) mit einer sehr reduzierten Farbpalette arbeiten, die allgemein die Gefühle des Verlusts, der Trauer und der Hoffnungslosigkeit widerspiegeln, in der Mutter und Sohn leben. Das Set Design von Alex Holmes (Der Unsichtbare 2020) bietet ein perfektes Zuhause für den Babadook, das durch das viktorianische Haus allgemein schon alt, verstaubt und für das Publikum schwer zugänglich wirkt, aber mit den behäbigen, abgenutzten und pompösen Möbel schon ein gewisses Gothic-Horror-Flair entwickelt. Der Babadook selbst wurde Lon Chaneys Charakter in dem als verschollen geltenden London After Midnight entnommen. Allgemein bezeichnet Kent die frühen (Horror-)Stummfilme wie jene von Georges Méliès, Murnaus Faust oder Christensens Hexen als große Inspirationsquelle für Der Babadook. Nächtens sehen wir auch, wie Amelia immer wieder solche Filme schaut.

Der Babadook
Lon Chaney in London After Midnight

Getragen wird der gesamte Film jedoch insbesondere vom Charakter der Mutter Amelia, denn es gibt kaum eine Szene, in der sie nicht vorkommt. Kent zeichnet hier einen äußerst komplexen Charakter, der sich simplen Schwarz-Weiß-Schemata entzieht. Gerade die Überforderung von Amelia wird sehr empathisch dargestellt, sodass sie nicht nur die Wahnsinnige ist, die vom Babadook besessen wird und das Leben ihres Sohnes in Gefahr bringt, sondern ein Charakter, mit dem ich problemlos mitfühlen und vor allem -leiden konnte. Dies liegt insbesondere an der realistischen und geerdeten Darstellung der Mutter, die sich eben nicht den zwei Polen der heiligen aufopfernden Mutter oder der bösartigen monströsen Mutter zuordnen lässt, sondern mit ihrem Leben und ihrem schwer zu bändigen Sohn kämpft und daran zu zerbrechen droht. Eine der größten Stärken von Der Babadook ist in diesem Zusammenhang auch Sohn Samuel, der wie eine Naturgewalt nicht nur über die Mutter, sondern auch über uns als Publikum hereinbricht und den Film erst so wirkungsvoll macht. Seine überaus anstrengende und zuteilen nervtötende Art lässt Amelias Überforderung für uns problemlos spürbar werden. Wir erfahren, wie fordernd Samuel ist und können dadurch auch wirklich Empathie für ihre Situation aufbringen und können mitfühlen, wie sie an den Rand des Wahnsinns und darüber hinaus getrieben wird. Wie gut es dem Film gelingt dies rüberzubringen, merkt man auch immer wieder an den Reaktionen des Publikums, die ebenso wie Amelia mit Samuel überfordert sind und der bei diesen zum Teil enorm starke emotionale Reaktionen auslöst – etwas das nicht vielen Horrorfilmen in diesem Ausmaß gelingt.

Der Babadook

Fazit

Mit Der Babadook lieferte Jennifer Kent ein beeindruckendes Debüt ab, das sich wie kaum ein anderer Film im Genre den Themen Trauer, elterlicher Überforderung und Depression annimmt. Äußerst geschickt nutzt Kent die Stilmittel des Horrorfilms, um diese Abgründe für das Publikum erfahrbar zu machen und schuf damit einen der besten Genrefilme der letzten Jahre.

 

Bewertung

Grauen Rating: 4 von 5
Spannung Rating: 3 von 5
Härte  Rating: 1 von 5
Unterhaltung  rating3_5
Anspruch  Rating: 4 von 5
Gesamtwertung Rating: 5 von 5

Bildquelle: Der Babadook © Capelight Pictures

Horrorfilme sind für mich ein Tor zu den unheimlichen, verstaubten Dachböden und finsteren, schmutzigen Kellern der menschlichen Seele. Hier trifft man alles von der Gesellschaft abgeschobene, unerwünschte, geächtete, begrabene: Tod, Schmerz, Angst, Verlust, Gewalt, Fetische, Obsession. Es ist eine Entdeckungsreise auf die "Schutthalde der Zivilisation". Auf diese Reise würde ich euch gerne mitnehmen.

...und was meinst du?