Crystal Eyes + Tempus Tormentum
Kritik

Double Feature: Crystal Eyes (2017) + Tempus Tormentum (2018) (Obscura Special)

Beim heutigen Double Feature laden wir zum argentinischen Neo-Giallo Crystal Eyes und zum surrealistischen Low-Budget-Thriller Tempus Tormentum. Viel Spaß!

Diese Mischung mag etwas sonderbar anmuten und genau das ist sie auch, denn abgesehen von einem geringen Budget und der Verortung irgendwo im Horror-/Thriller-Bereich verbindet die beiden Filme nichts. Doch genau diese Mischung wird euch beim Obscura Special Berlin am 31. August in Anwesenheit der Regisseure von Crystal Eyes serviert.
Wir hatten vorab die Gelegenheit beide Filme zu begutachten und können euch einen Einblick geben, was euch erwartet.


Crystal Eyes (Argentinien 2017)

von Ezequiel Endelman und Leandro Montejano

Der Abend beginnt mit einem an ein 80er-Musikvideo erinnerndes Intro, welches sich als Modeschau entpuppt und durchaus einen gewissen Charme hat. Mirada de Cristal, so der spanische Originaltitel, bleibt auch im Modebusiness und erzählt eine blutige Geschichte rund um Wahn, Fetisch und natürlich spitze Gegenstände in Handschuhen.

Die Vorbilder des Regie- und Autoren-Duos Endelman und Montejano sind von vornherein klar. Allein mit der Modeschau wird Mario Bavas Giallo-Urgestein Blutige Seide Tribut gezollt und auch das prächtige Farbenspiel hat seine Inspiration im italienischen Giallo der 60er und 70er Jahre. Die Macher verbeugen sich ebenfalls vor Hitchcock und Carpenter, nach letzterem ist sogar einer der Hauptcharaktere benannt. Gerade für Giallo-Fans ist der Film ohnehin eine wahre Fundgrube an Referenzen.

Als sich selbst nicht sonderlich ernstnehmende Hommage funktioniert Crystal Eyes erstaunlich gut. Der Film hat trotz seiner Spielzeit von 82 Minuten mit einigen Längen zu kämpfen; auch die Effekte sind selten mehr als mittelmäßig. Dennoch macht es Spaß,  Endelman und Montejano bei ihrer Liebeserklärung an den Giallo zuzuschauen. Vor allem im Finale kann Mirada noch einmal ordentlich Fahrt aufnehmen und bietet uns auch endlich einen wirklich spektakulär-ästhetischen und damit eines Giallo würdigen Tod, welchen er uns zuvor schuldig geblieben ist.

Wer mit Gialli noch nie sonderlich viel anfangen konnte, den wird auch Crystal Eyes nicht bekehren können, aber eingefleischte Fans können ruhig einen Blick riskieren.

 

Tempus Tormentum (Kanada 2018)

von James Rewucki

Eines vorweg: Tempus Tormentum ist ein No-Budget-Film – und das spürt man in vielerlei Hinsicht. Der Kopf hinter dem Film ist James Rewucki, der nicht nur Regie, sondern auch Drehbuch, Produktion, Kamera und das Sounddesign übernahm. Unterstützt wird er dabei von einer kleinen Crew von gut fünf Leuten, die zudem mehrfach kleinere Rollen im Film übernahmen.

Wenn ich mir diese Umstände vor Augen führe, ist es doch beachtlich wie viele Dinge an Tempus Tormentum wirklich gut funktionieren. Zum einen ist dies der Score und das Sounddesign, die sehr professionell wirken und der surrealen Atmosphäre zuträglich sind. Zum anderen haben Rewucki und Co-Kameramann Kevin McQuade ein gutes Auge für atmosphärische Einstellungen und wissen ihre gut gewählten und für einen No-Budget-Streifen äußerst vielfältigen Settings stark in Szene zu setzen.

Leider ist bei der Kameraarbeit nicht alles so gut gelungen. Die häufigen schiefen Einstellungen scheinen nichts mehr als dem reinen Selbstzweck zu dienen, was auch für die oft überflüssigen Drohnenaufnahmen gilt. Des Weiteren fehlt es dem Schnitt etwas an Dynamik und Tempo, sodass einige Einstellungen zu lang und ermüdend wirken. Gerade actionreichen Szenen wird damit fast jegliche Wirkung genommen. Bei einem Film, der sich ausschließlich darum dreht, dass ein Typ vor drei anderen Typen davon rennt, wirkt sich dies umso dramatischer aus, da dieser auf gut inszenierte Verfolgungsjagden angewiesen ist.

Die Story an sich ist auch eines der größten Mankos, denn es geht wirklich nicht um mehr als eine Verfolgung. Die Motive bleiben im Dunkeln. Gefühlt werden hier zusammenhanglos irgendwelche abstrusen Ideen aneinander gekleistert, die weder erläutert werden, noch im späteren Verlauf der Geschichte eine Rolle spielen. Bedeutungsschwanger werden Schreibmaschinen, Sekten und Würmer eingeführt und einfach wieder liegen gelassen. Noch schlimmer als die kaum vorhandene bis komplett wirre Story sind die Charaktere. Dies beginnt mit dem Protagonisten Mr. Mouse, von dem wir rein gar nichts erfahren, und der in seiner schemenhaften Charakterzeichnung leider auch keinerlei Identifikationspotential bietet. Schlimmer sind dann nur noch die Bösewichte, die offenbar einem Slipknot-Cosplay-Contest entlaufen sind und die Bedrohlichkeit einer alten Milchschnitte entfalten. Leider denkbar schlechte Voraussetzungen, um mit einem Charakter mitfiebern zu können, mögen manche Einstellungen auch noch so gelungen sein.

Es ist offensichtlich, dass Rewucki und sein Team ein Talent für visuelle Kompositionen besitzen. Ich würde sehr gerne mehr davon sehen, aber das nächste Mal bitte in Zusammenhang mit einer halbwegs erträglichen Story und ausgearbeiteten Charakteren.

Crystal Eyes © ToyBoys Movies

Tempus Tormentum © Absurd Machine Films

Horrorfilme sind für mich ein Tor zu den unheimlichen, verstaubten Dachböden und finsteren, schmutzigen Kellern der menschlichen Seele. Hier trifft man alles von der Gesellschaft abgeschobene, unerwünschte, geächtete, begrabene: Tod, Schmerz, Angst, Verlust, Gewalt, Fetische, Obsession. Es ist eine Entdeckungsreise auf die "Schutthalde der Zivilisation". Auf diese Reise würde ich euch gerne mitnehmen.

...und was meinst du?