Hagazussa
Kritik

Hagazussa – Der Hexenfluch (2017) – Review

Mit Hagazussa, althochdeutsch für Hexe, entführt uns Lukas Feigelfeld in das 15. Jahrhunderte und kreiert seinen ganz eigenen Hexenhorror. Solltet ihr auf keinen Fall verpassen!

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Drehbuch:
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Hagazussa – Der Hexenfluch
Deutschland
102 Minuten
Lukas Feigelfeld
Lukas Feigelfeld
Aleksandra Cwen, Celina Peter, Claudia Martini u.a.

Unheilvoll dröhnt der Score von MMMD, als die ersten Schriftzüge auf dem Schwarz der Leinwand erscheinen, welches bald einer kargen Schneelandschaft weicht. Regisseur Lukas Feigelfeld macht ab der ersten Sekunde klar: hier ist nichts in Ordnung. Keine heile Welt in den österreichischen Alpen des 15. Jahrhunderts.

Wir lernen die 10-jährige Albrun (Celina Peter) und ihre Mutter Martha (Claudia Martini) kennen, die abseits eines kleinen Dorfes in den spärlich bewohnten Bergen als Ziegenhirtinnen leben. Albruns Mutter gilt als Hexe, wird von den Dorfbewohnern ausgegrenzt und sieht sich regelmäßigen Anfeindungen ausgesetzt. Viele Jahre später ereilt Albrun, selbst alleinerziehende Mutter einer kleinen Tochter, dasselbe Schicksal.

Frauen als Opfer des Hexenwahns

Drehbuchautor und Regisseur Lukas Feigelfeld ist sehr daran interessiert ein authentisches Bild einer alleinerziehenden Frau im Österreich des 15. Jahrhunderts zu zeichnen. Zu dieser Zeit, an der Wende von Spätmittelalter zur frühen Neuzeit, wurden Frauen grundsätzlich als minderwertig angesehen. Sie galten zudem nach wie vor als der Ursprung allen Übels und ihre moralische Schwäche konnte nur durch einen Mann im Zaum gehalten werden. Daneben wurden Frauen jedoch auch vielfach ominöse magische Kräfte zugesprochen. Es ist also nicht verwunderlich, dass der im Spätmittelalter aufflammende Hexenwahn sich vor allem gegen ledige Frauen richtete, die sich in einer gesellschaftlich ungeschützten und hilflosen Position befanden.

Hagazussa

Von der Angst zum Hass

Albrun findet sich nun genau in einer solchen Position wieder und in einer markanten Szene als Albrun zum örtlichen Pfarrer zitiert wird, bringt Feigelfeld dies in Beziehung mit der kirchlichen Autorität. Die Ziegenhirtin selbst scheint sich nicht viel um die Kirche zu kümmern, stattdessen wirkt sie mehr ihren alten Brauchtümern verhaftet.

Die Kapelle des Pfarrers liegt eingepfercht an einem Berghang. Sie wirkt als ob sie sich an den Berg klammern würde, ähnlich dem Christentum, das sich in seiner Verbreitung viele heidnische Bräuche zu Nutze machte. So sind sie beide mit der Natur(Religion) verbunden und wirken dennoch etwas deplatziert. Es passt perfekt in diese Symbolik, dass die Kapelle als Beinhaus im Inneren mit Hunderten von menschlichen Gebeinen ausgekleidet ist. Es ist ein Ort des Todes und nicht des Heils, den Albrun hier betritt, um mit dem örtlichen Geistlichen zu sprechen. Der Priester hat auch keine tröstlichen Worte für Albrun, ganz im Gegenteil sieht er in ihr doch einen perfekten Sündenbock, um seine Schäfchen zusammen zu halten. Wenn er davon spricht, dass um den Glauben einer aufrechten Gemeinde zu stärken, es einer strengen Bereinigung aller Frevel bedarf, dann erinnert das nicht nur an die in naher Zukunft aufkommenden Hexenverbrennung, sondern grundsätzlich an das Vokabular diverser Genozide quer durch die Geschichte der Menschheit.

Hagazussa

Nach dieser Szene ziehen dicke Nebelschwaden über die davor strahlend schöne Landschaft. Womöglich ein Vorbote der Säuberung, die Albrun durch die kirchliche Autorität angedroht wurde. Es ist vielleicht nur ein glücklicher Zufall, dass sich der Himmel in einer der nächsten Szenen wieder wolkenverhangen zeigt, wenn eine Dorfbewohnerin, Swinda, mit Albrun über ihre heile Welt sinniert; über ihr gutes Plätzchen in den Bergen, wo man sich nicht fürchten braucht – vor den Gottlosen, also den Juden und den Heiden. Albrun ist jedoch kein Teil dieser scheinbar heilen Welt. Sie versteht auch nicht von welcher dubiosen Gefahr Swinda spricht.

Wenn Feigelfeld eine verängstigte Gesellschaft zeigt, die ihre Unsicherheit, ihren Frust und ihren Hass schlussendlich an den Schwächsten und Hilflosesten der Gesellschaft entlädt, ist der Film erschreckend aktuell. Im weiteren Verlauf des Tages zieht noch ein Gewitter auf und kündigt im Zusammenspiel mit dem dumpf dröhnenden Score von MMMD das kommende Unheil an. In den österreichischen Bergen sollte man sich fürchten – aber nicht vor den Gottlosen, den Juden und den Heiden…

Zwischen Wahnsinn und Naturpanorama

Der Regisseur leistet großartige Arbeit den Verfall seiner Protagonistin zu visualisieren. Dabei spielt ihm die starke Performance seiner Hauptdarstellerin in die Hände, die es mit nur wenigen Zeilen Dialog versteht, ihr Gefühlsleben für das Publikum erfahrbar zu machen. Im Verlauf der Geschichte setzt Feigelfeld dann auch vermehrt auf Horrorelemente. Hagazussa ist jedoch weit davon entfernt ein klassischer Horrorfilm zu sein. Er ist dem psychologischen Horrorfilm eines Roman Polanski auch wesentlich näher als den Exploitation-Filmen der 60er und 70er wie zum Beispiel Hexen bis aufs Blut gequält und gleicht in seinem Fokus auf das menschliche Drama Robert Eggers The Witch.

Die Inszenierung ist durchgängig auf einem überaus hohen Niveau. Wüsste ich nicht, dass es sich hierbei um einen Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin handeln würde, die Inszenierung würde es nicht verraten. Vor allem die von Kamerafrau Mariel Baqueiro eingefangenen Bilder sind absolut bezaubernd. Die wundervollen Naturaufnahmen, aber auch das detailverliebte Setdesign von Dana Dumann werden perfekt in Szene gesetzt. Allgemein gelingt es dem Team erstaunlich gut eine authentische Atmosphäre des Lebens im 15. Jahrhundert zu erschaffen – sofern ich das als Laie überhaupt beurteilen kann. Das tolle Kostümdesign von Katrin Wolferman spielt hier ebenfalls eine tragende Rolle.

Hagazussa

Es weht ein erfrischender Wind im Horrorgenre

Hagazussa gehört auf jeden Fall zu jenen neuen Horrorfilmen junger FilmemacherInnen, denen es nicht ausreicht ein Blutbad und ein paar kreative Kills nach Schema F für den Videomarkt zu produzieren. Sie haben einen künstlerischen Anspruch und der Welt etwas mitzuteilen. Sie stellen die Sehgewohnheiten infrage und fordern ihr Publikum heraus. Dabei entstehen spannende Mischungen, die oftmals Arthouse-Dramen mit den Instrumenten des Horrorfilms erzählen. Lukas Feigelfeld gesellt sich hier zu jungen Filmschaffenden wie Robert Eggers (The Witch), Trey Edward Shults (It Comes at Night), Ana Lily Amirpur (A Girl Walks Home Alone at Night), Julia Ducournau (Raw) u.v.a., die dem Genre derzeit unheimlich viel frische Impulse geben. Eine wahrlich gute Zeit Horrorfan zu sein!

 

Bewertung

Spannung Rating: 3 von 5
Atmosphäre Rating: 5 von 5
Gewalt  Rating: 1 von 5
Ekel  Rating: 2 von 5
Story  Rating: 4 von 5

Bildquelle: Hagazussa © DFFB / Retina Fabrik Filmproduktion

Horrorfilme sind für mich ein Tor zu den unheimlichen, verstaubten Dachböden und finsteren, schmutzigen Kellern der menschlichen Seele. Hier trifft man alles von der Gesellschaft abgeschobene, unerwünschte, geächtete, begrabene: Tod, Schmerz, Angst, Verlust, Gewalt, Fetische, Obsession. Es ist eine Entdeckungsreise auf die "Schutthalde der Zivilisation". Auf diese Reise würde ich euch gerne mitnehmen.

...und was meinst du?