Szene aus Mayday
Kritik

Mayday (2021) – Review

In Mayday versetzt uns Regisseurin Karen Cinorre in ein tropisches Paradies, das weibliche Selbstermächtigung in den Fokus eines misogynen Kampfes stellt.

Originaltitel: Mayday
Land: USA
Laufzeit: 100 Minuten
Regie: Karen Cinorre
Drehbuch: Karen Cinorre
Cast: Grace Van Patten, Mia Goth, Soko u. a.
VÖ: Ab 23.06.2022 als DVD und Blu-ray

Inhalt

Mary-Alpha-Yankee-Delta-Alpha-Yankee. Wie das Säuseln der Sirenen liegt der von zarter Frauenstimme gesprochene US-Notruf in der Luft. Nach einem desaströsen Erlebnis in ihrem Job hält die junge Ana (Grace Van Patten, Netflix: Tramps) nichts und sie folgt der leisen Stimme in ihrem Ohr, Kopf voran direkt in einen Ofen. Kurz darauf findet sie sich ohne Erinnerung am Strand einer tropischen Insel wieder, wo eine toughe Marsha (Mia Goth, Suspiria) sie aufliest, kurzerhand den mit ihr angespülten Soldaten erschießt und sie zu einem gestrandeten U-Boot bringt. Dort lernt sie die restliche Crew, bestehend aus Greta (Soko, The Blazing World) und Bea (Havana Rose Liu, The Exit) kennen, die sie beide rasch willkommen heißen. Eine Zeit lang läuft es wunderbar. Ana lernt von Marsha das Schwimmen, Scharfschießen und Bedienen des Funkgerätes. Ziel ist es, den ankommenden Soldaten auf der Insel den Garaus zu machen. Außerdem werden mittels des bekannten Seenotrufs umliegende Schiffe in unsichere Gewässer und damit in ihr sicheres Verderben gelockt. Emotional und spirituell gestärkt könnte es so schön sein, dieses kleine Paradies. Doch im Gegensatz zu den anderen erinnert sich Ana an Bruchstücke aus ihrem früheren Leben, erkennt Figuren und Personen, die ihr hier wie dort begegnen, und überwindet nur schwer die Hemmung zu töten. Als sie während eines Funkrufs die Stimme ihres Freundes Dimitri erkennt, erinnert sie sich plötzlich an ihr gesamtes vergangenes Leben und sie beschließt, ihre zurück gewonnene Kraft nicht für den Krieg ohne Ende, sondern ihre Rückkehr aufzuwenden. Vorbei an Marsha, die davon wenig begeistert ist, macht sie sich mit Greta, Bea und der abseits der Gruppe lebenden Mechanikerin June (Juliette Lewis, From Dusk till Dawn) daran, ihre Rückkehr zu planen.

Kritik

Das Spielfilmdebüt von Karen Cinorre wirkt wie eine Mischung aus Homers Odyssee, Zack Snyders Sucker Punch und dem Zauberer von Oz. Letzterer inspirierte Cinorre tatsächlich, wie sie bei Maydays Erstaufführung auf dem Sundance Film Festival 2021 in einem Interview erwähnte. Wie ein roter Faden zieht sich der dem Film seinen Namen gebende Notruf durch die Geschichte, der ähnlich dem Sirenengesang Unheil über unzählige Seeleute bringt. Jeder Versuch zur Rettung zu eilen führt geradewegs in tödliche Gewässer. Und auch Ana folgt ihm nach einem traumatisierenden Erlebnis ohne zu ahnen, wer es denn ist, der bzw. die gerettet werden muss. Dorothy gleich findet sie sich daraufhin plötzlich in einer fremden Welt wieder, in der alle Gesichter und Figuren bekannt scheinen und doch sehr anders auftreten. Und mit unterschiedlichen Charakteren, die ihr auf ihrer Reise begegnen versucht sie schlussendlich einen Weg zurück in ihre Welt zu finden.

Szene aus Mayday

Die reale Welt ist eindeutig von düsteren, misogynen Strukturen geprägt. In Anas Arbeitsplatz in einem Hotel wird sie von einem brachialen Manager beschimpft, bedrängt und erfährt (angedeutet) sexualisierte Gewalt. Ein stattfindendes, russisches Hochzeitsevent konfrontiert sie mit einer verängstigten Braut (Mia Goth). Kurze trostspendende Momente der Frauen untereinander auf der Damentoilette werden jäh vom herrschsüchtigen Bräutigam unterbrochen, der von seiner Braut verlangt, sich endlich in die von ihr erwartete Rolle zu fügen.
Dagegen steht die phantastische Welt auf der Insel in leuchtenden Farben. Hell und kraftvoll stahlen Natur und Meer und mit ihnen die Freundschaft unter den vier Frauen. Hier wirkt die farblose Braut/Marsha wie eine Naturgewalt. Miteinander finden die vier Frauen, die alle unter ähnlich traumatischen Erlebnissen gelitten haben, einen Raum einander zu stärken und sich selbst zu behaupten in der rauen sie umgebende Kriegswelt. Der Hintergrund dieses diffusen Kampfgeschehens bleibt unklar. Wir sehen nur Flugzeuge und junge Soldaten in Uniform, hören von Schiffen und U-Booten. Und lernen, dass Marshas Gruppe wie auch andere Frauengruppen es sich zur Aufgabe gemacht haben, Soldaten gnadenlos zu vernichten, die das Pech haben auf ihren sirenenhaften Notruf zu reagieren oder auch zufällig auf der Insel zu landen. Dabei wirkt die Situation für die jungen Frauen selten wirklich bedrohlich. Sie agieren überwiegend aus dem sicheren Hinterhalt, die Soldaten eher wie bewegliche Zielscheiben, denn ernstzunehmende Gegner. Trotz aller Waffen- und Kriegspräsenz scheint es ein geradezu idyllischer Rahmen, um neue Kraft für den Kampf gegen patriarchale Strukturen in der realen Welt zu sammeln.

Szene aus Mayday

Ganz großes Kino bietet das Schauspiel von Mia Goth. Obwohl Grace Van Pattens Ana die storytragende Rolle inne hat und durchaus ein gewisses Mitfühlen und Mitzweifeln an dem vergeschlechtlichten schwarz-weiß Muster erwecken kann, ist es doch Goths Rolle als verschüchterte Braut und Freigeist Marsha, die aufgrund des extremen Kontrastes die Aufmerksamkeit bannt. Ihre unerschrockene Art wirkt rau und kompromisslos; so sehr, dass sie sogar Bea in Gefahr bringt, nur um Anas Tötungshemmungen zu brechen. Sie leidet sehr offensichtlich darunter, dass die Insel für Ana nicht das gleiche Paradies darzustellen scheint wie für all die anderen. Und es ist eine für alle spürbare Überwindung und charakterliche Wende, als sie sich schlussendlich unmissverständlich für Anas Entscheidung und dem Gelingen ihrer Mission einsetzt. Diese emotionale Berg- und Talfahrt verkörpert Goth mit jeder Faser. Greta und Bea dagegen wirken trotz engagierter Darstellung leider sehr schablonenhaft und auch der Rolle von June ist leider viel zu wenig Bildschirmzeit eingeräumt, als dass sie mehr als nur ein Puzzleteil zur Storyentwicklung darstellt. Dabei hätte Cinorre aus der Dynamik viel mehr herausholen können.

Szene aus Mayday

Bis zum Schluss lässt uns Cinorre im Unklaren darüber, was wirklich passiert. Träumt Ana oder begeht sie Suizid, flüchtet sie nach einem traumatischen Erlebnis in eine Art innere Welt und findet hier ähnlich wie Baby in Sucker Punch einen Weg zu Selbstbestimmung und persönlicher Freiheit? Erst war ich positiv angetan von dem Gedanken, dies offen zu lassen und weder in Übergängen noch in einer Art (Farb-)Kodierung Hinweise darauf zu bekommen, wie die Rahmenhandlung alles verbindet. Doch tut uns Cinorre nicht den Gefallen alles rund abzuschließen und bleibt bis zum Ende sehr vage. Das eröffnet eine Menge Interpretationsspielraum, riskiert aber in seiner Offenheit auch unrund und unklar zu wirken.

Fazit

Auch wenn Mayday in seinen Allegorien und den losen Zusammenhängen schwächeln mag, so macht es doch irrsinnig viel Spaß mit den Charakteren das prächtig ausgestattete vermeintliche feministische Utopia auf der tropischen Insel zu erkunden. Allein das Zusammenspiel von Ana/Grace Van Patten und Marsha/Mia Goth ist es wert, sich den Streifen einmal näher anzusehen und es zu riskieren, dem leisen Notruf in unsichere Gewässer zu folgen.

 

Bewertung

Grauen Rating: 1 von 5
Spannung Rating: 3 von 5
Härte  Rating: 1 von 5
Unterhaltung  rating3_5
Anspruch  Rating: 2 von 5
Gesamtwertung Rating: 3 von 5

Ab 23.06.2022 im Handel:

DVD von Mayday Blu-ray von Mayday

Bildquelle: Mayday © Koch Films

Horrorfilme… sind die Spannung und das Spiel mit menschlichen Abgründen, ein Spiegel der Gesellschaft, Zeugnis namentlicher Grauslichkeiten und Erkundung grauslicher Namenslosigkeiten. Mal tief und schwer und dann gern auch mal ein bisschen Zombie-Musical oder Blutbad dazwischen. Denn Horror und Lachflash schließen sich nicht zwingend aus.

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