Mother! (2017) – Review
Mother! schockiert, Mother! riskiert. An diesem Film scheiden sich die Geister und Darren Aronofsky zeigt, was er kann: Er eskaliert, stellt die Bibel auf den Kopf und gibt Jennifer Lawrence ein neues Gesicht.
Originaltitel: | Mother! |
Land: | USA |
Laufzeit: | 122 Minuten |
Regie: | Darren Aronofsky |
Drehbuch: | Darren Aronofsky |
Cast: | Jennifer Lawrence, Javier Bardem u.a. |
Als Darren Aronofsky (Black Swan) 2006 im sphärischen The Fountain nach nichts weniger als dem Sinn des Lebens suchte, zeigte er in aller Deutlichkeit, dass Ambition und die Überzeugung von sich und seiner Vision nicht seine Schwächen sind. Welcher Regisseur kann schon von sich behaupten, der Quelle der Existenz wortwörtlich auf den Grund gegangen zu sein? Auch in Mother! wagt Aronofsky einiges: Er geht das Risiko ein, missverstanden, verkannt und verteufelt zu werden wie Jesus selbst und entzweit sein Publikum wie Moses das Meer.
Mutter (Jennifer Lawrence, Passengers) und Er (Javier Bardem, No Country for Old Men) wohnen zu zweit in einem idyllischen Anwesen abseits der Gesellschaft mit üppigem Garten. Sie setzt jeden Pinselstrich an den Wänden ihres neuen Heims mit Bedacht, hegt ihre Idee einer mit der Natur vereinbarten Kultur, während er, der Künstler und Schriftsteller, die Eingebung für sein nächstes Buch herbeisehnt.
Als eines Tages ein älteres Ehepaar an der Tür klopft, ist für sie die Idylle im Paradies gestört, doch er ist inspiriert von deren Geschichten. Als sie schwanger wird, küsst den Künstler die Muse mit voller Leidenschaft und er macht sich ans Werk. Immer mehr Menschen kommen jetzt zum Haus, angezogen von seiner Schaffenskraft und ihrer Schwangerschaft, bis die Situation eskaliert.
Nach Noah gibt es dieses Mal keine Arche, sondern lediglich Archetypen: Sicherheit versus Befreiung, Herrschaft durch Macht und Innovation durch Befreiung und Nähe. Während der Film auf der einen Ebene den Zuschauer mit Metaphern fast ertränkt, ist die Grundlage für diese schnell ausgemacht. Zunächst, auf primärer Ebene, wenn man so will, zeigt Mother! eine Hausinvasion in Reinform. Im nächsten Schritt ist der Film Aronofskys eigensinnige Exegese seines biblischen Kanons, der hier seinen Höhepunkt findet. Er lässt das religiöse Weltbild mit dem weltlichen kollidieren.
Was bleibt, ist die Zerstörung der Natur; das Aufblühen einer Gesellschaft, einer zuerst invasiven, dann expansiven Spezies, deren Akteure nichts anderes sind als blutsaugende Parasiten, die ihre Umgebung zum Verwelken bringen. Sie besetzen nicht nur das Haus, sondern zerstören Mutters gesamtes Habitat. Einfach gesagt: Der Mensch besiedelt die Erde.
Eigensinnig und scharfsinnig: Aronofsky lädt den Zuschauer dazu ein, den Film auf eine ganz persönliche Weise auszulegen. Nur so viel zu einem möglichen Deutungsansatz: Der Film kann als eine Allegorie für Religiosität und deren Fanatismus gelesen werden, ausgelöst durch esoterische Egomanen und falsche Propheten, die nicht die Menschen lieben, sondern selbst vergöttert werden wollen. Zwar teilweise so dick aufgetragen („I am I“), dass es unfreiwillig komisch wirkt, dennoch ist die Intention in ihrer Konsequenz zum Ende hin unverkennbar.
Kein Horrorfilm, den hier viele erwarten, vielmehr eine Neukreation eines Genres völliger Eskalation, gestützt durch ein sprachlos machendes Fundament menschlichen Fehlverhaltens, das einerseits unmenschlich anmutet, zum anderen aber sehr menschlich, da animalisch, ist. Mit vielen Ansätzen, Andeutungen, Anregungen eröffnet Aronofsky dem Zuschauer einen individuellen Zugang und lässt ihn an sein Haus klopfen.
Seine Vielschichtigkeit bildet zugleich die größte Angriffsfläche des Films: Die einen finden Mother! prätentiös, die anderen loben die Komplexität. Während die einen erstmal sprachlos sind und möglicherweise bleiben, dient es den anderen zur Inspiration, alte Geschichten wiederzuentdecken und Bücher zu wälzen, um auch die letzte Intention des Regisseurs zu verstehen. Doch das ist kaum möglich. Man kann sich die Ebenen aber im Vorfeld einer (erneuten) Sichtung zurechtlegen. Home-Invasion-Thriller, religiöses Avantgarde-Kino, Beziehungsdrama und Katastrophenfilm sind nur einige Ausrichtungen, die auf Mother! zutreffen.
Antiklimaktisch in seiner zirkulären Erzählweise und auch noch das Klima im Sinn: Seit Jahrhunderten hat sich der Mensch die Natur unterworfen. Und jetzt, da klar wird, dass ihre Komplexität wohl noch lange nicht vollends dechiffriert sein wird, steht es Spitz auf Knopf: Entscheiden wir uns, der Natur wieder zuzuhören und ihr vielleicht sogar Rechte zu geben? Oder treten wir sie weiterhin mit Füßen, beuten sie aus und warten darauf, bis sie implodiert und uns vom Erdboden schwemmt?
Mother! ist ein Mash-Up aus Rosemary’s Baby, Misery und der Bibel – serviert von einem experimentierfreudigen Darren Aronofsky. Der Mut zur Avantgarde in einer Mainstream-Umgebung macht diesen Film zu einem einzigartig wabernden Fiebertraum, der in einem unerwarteten Genre-Clash endet, bei dem Party und Krieg so nahe beieinander liegen wie nie zuvor.
Diese Mixtur bringt Aronofsky stilsicher auf den Punkt: Tolle Special Effects lassen Haus und Mutter in harmonischem Einklang pulsieren, die Kamera immer ganz nah bei Lawrence. Es ist hart mit anzusehen, wie ihr Gesicht von den Schlägen der Denunzianten, Schänder und Diebe deformiert wird. Ihre Peiniger sind besessen von ihrem Kind, dem Sohn Gottes, dem Erlöser, dem Leib, dem Laib, der geteilt werden soll und der sie ohne Rücksicht auf die Verluste anderer von ihrem Leid befreien soll.
Herrlich schrullig, hassenswert und ultimatives Symptom der göttlichen Güte: Michelle Pfeiffer (Batman Returns) und Ed Harris (The Abyss) als Eva und Adam beziehungsweise Frau und Mann. Sie schänden das Paradies, teilen giftige Blicke aus, bewegen sich ungeniert im fremden Heim und sind der Anfang vom Ende. Kristen Wiig (Ghostbusters) als Herausgeberin des Buches kontrastiert Korruption und Kunst in einer ambivalent angelegten Figur und die Gleeson-Brothers fetzen sich dramatisch als Kain und Abel, Ramses und Moses beziehungsweise Jakob und Esau.
Mother! ist einer der großen Filmtrips der letzten Jahre, der fast komplett auf Musik verzichtet, Ruhe im Sturm verbreitet und so oft ein Gefühl des Vertrauten freisetzt. Vielleicht fällt es auch deshalb so schwer, unmittelbar Antworten auf die Fragen zu finden, die der Film aufwirft.
Es werden Gezeiten des Umbruchs gezeichnet. Stagnation und die Panik ob des Unbehagens der Kulturen werden durch entrückte und verzerrte Plansequenzen zu einem religiösen und doch zutiefst weltlichen Wahnwitz verschränkt. Bis zuletzt überrascht die Mutter Natur unter den Filmen, beweist bei alldem Haudrauf im Schlussakkord Diskretion und entscheidet sich am Ende tatsächlich, wenn auch rein formal, für eine Ebene: die Idee eines ewigen Kreislaufs.
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Bildquelle: mother! © Paramount Home Entertainment
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