Was ist überhaupt ein Horrorfilm? Teil I
Alle wissen was gemeint ist, wenn von einem Horrorfilm die Rede ist. Sobald man jedoch etwas tiefer in die Frage eintaucht, wird schnell klar, dass die Meinungen doch erheblich auseinander gehen. In alltäglichen Gesprächen ist dies für die Kommunikation nicht weiter hinderlich, wenn man jedoch eine Liste der besten Horrorfilme der letzten 100 Jahre erstellen will, kommt man nicht daran vorbei sich immer wieder die Frage zu stellen:
Ist das jetzt überhaupt ein Horrorfilm oder nicht?
Aus diesem Grund wäre es wohl sinnvoll mich hier mit dem Begriff „Horrorfilm“ genauer auseinandersetzen – ob ich will oder nicht. Das Ergebnis kann natürlich nicht die endgültige Definition sein, aber zumindest soll sie einen Einblick geben nach welchen Kriterien und Sichtweisen ich Filme in diese Liste aufnehme oder eben auch nicht.
Ich habe mich dazu entschlossen mich der Frage in zwei Schritten zu nähern. In diesem ersten Teil will ich erst einmal unterschiedliche Definitionen zu Rate ziehen um mir einen Überblick zu verschaffen. Im zweiten Teil frage ich dann die, die sich damit auskennen sollten: die Horrorfans.
Effekt – Was löst ein Film bei mir aus?
Nachdem man das Rad ja nicht neu erfinden muss, schau ich doch als erstes bei James Marriotts & Kim Newmans „Horror: Meisterwerke des Grauens von Alien bis Zombie“ rein, die ja dasselbe Problem zu lösen hatten. Diese schreiben in ihrer Vorbemerkung
Horror definiert man, wie mir scheint, am besten eher durch die Effekte – Angst, Schock, Ekel – als durch die Bildsprache; diese Effekte entstehen bei Filmen, die am Rande des Genres einzuordnen wären oder vielleicht gar nicht als Horrorfilme gelten, oft viel intensiver als bei „korrekt“ konstruierten.
Auch auf der deutschen Wikipedia lesen wir als ersten Satz
Der Horrorfilm ist ein Filmgenre, das beim Zuschauer Gefühle der Angst, des Schreckens und Verstörung auszulösen versucht.
Diese Definition ist der obigen sehr ähnlich verschiebt aber den Fokus. Es geht nicht mehr in erster Linie darum, was ein Film in uns auslöst, sondern darum, was er versucht in uns auszulösen, denn Ursula Vossen schreibt in ihrer Einleitung zu „Filmgenres: Horrorfilm“ richtigerweise:
Die Gefühle, die das Horrorkino beim Betrachter auslöst, sind aber ebenso extrem individuell, wie das, was sie hervorruft, äußerst zeitabhängig ist. Horrorfilme laufen daher stärker noch als andere Genrefilme Gefahr, schnell altmodisch zu wirken.
Wie Leute Horrorfilme wahrnehmen ist höchst unterschiedlich. Was den einen erschreckt, findet die andere nur zum Gähnen. Zudem ändert sich eben auch die kollektive Wahrnehmung. Alte Horrorklassiker lösen immer weniger Angst und Schrecken aus, was zu ihrer Entstehungszeit noch ganz anders war.
Neben der Kategorie des Effekts scheint es mir deshalb wichtig den Blick eben auch auf den Inhalt und die Form, also die Bildsprache zu richten.
Bildsprache – Was wird in einem Film wie gezeigt?
Diesmal wollen wir uns zuerst einmal an die englische Wikipedia wenden:
Horrorfilme befassen sich oft mit Albträumen, Ängsten, Abscheu und Furcht vor dem Unbekannten. Sie handeln vielfach vom Eindringen einer bösen Macht, eines bösen Ereignisses oder einer bösen Person in unsere alltägliche Welt. Verbreitete Elemente sind hierbei Geister, Außerirdische, Vampire, Werwölfe, Dämonen, explizite Gewaltdarstellungen, Folter, bösartige Tiere, böse Hexen, Monster, Zombies, Kannibalen, Psychopathen und Serienkiller. (eigene Übersetzung)
Die deutsche Wikipedia ergänzt dies um
Oftmals, jedoch nicht zwangsläufig, treten dabei übernatürliche Akteure oder Phänomene auf, von denen eine zumeist lebensbedrohliche und traumatische Wirkung auf die Protagonisten ausgeht.
Hierzu auch ein paar Worte von Ursula Vossen
Charakteristisch für den Horrorfilm ist, dass das Böse, der eigentliche Antagonist im Mittelpunkt steht und oft Kultcharakter erwirbt. (…) „Horrorfilm, das ist immer auch ein Kino der Außenseiter, ein Kino auf Seiten der Vergessenen, der Seltsamen, der Dubiosen“ (Hans Schifferle). Sie verkörpern das schlechthin Andere, Fremde und damit Unheimliche.
Abschließend dieser schöne Absatz aus „On Rules and Monsters. Essays zu Horror, Film und Gesellschaft“
Der Horrorfilm spielt auf der Schutthalde der Zivilisation. Hier lebt alles, was eigentlich gar nicht mehr leben dürfte, wenn es nach den offiziellen Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft und des bürgerlichen Individuums ginge: Gewalt, Blut, Ängste, Innereien, Obsession und Verfall. Alles Liegengelassene, Übergangene und Verschüttete treibt hier untot sein Unwesen. Hier wohnen die Natur und ihre Begehrlichkeiten, die Kindheit und ihre Ohnmachtserfahrungen; hier trifft man die Ausgestoßenen und die Brutalitäten, über die man nicht spricht.
Ja ok, jetzt habe ich es mir einfach gemacht und euch mit Zitaten zugeschüttet. Nicht nur weil ich so faul bin, sondern weil ich es ohnehin nicht besser ausdrücken könnte. Zusammenfassend ergeben sich für mich hieraus drei Punkte:
- Der Horrorfilm schöpft meist aus einem Pool an wiederkehrenden Thematiken, die sich vielfach zu Subgenres zusammenfassen lassen (Vampir-, Zombie-, Geister-, Backwood-, Slasher-, Kannibalen-, Home-Invasion-Film u.v.m.)
- Der Horrorfilm behandelt diese Thematiken im Kontext unserer (unbewussten und verdrängten) Ängste vor dem Unbekannten/Anderen. So werden Vampire als gewaltsamer Übergriff in unseren Alltag dargestellt und nicht als glitzernder love interest.
- Die Protagonisten erfahren diese genannten Punkte als lebensbedrohlich und/oder traumatisierend.
Die lebensbedrohliche Angst vor dem Unbekannten
Das ergibt jetzt schon einmal ein gutes Fundament mit dem ich nun den Horrorfans gegenübertreten kann:
Horrorfilme sind jene Filme, die ihre Protagonistinnen einer traumatisierenden Gefahr aussetzen, uns auf diese Weise mit unseren eigenen Ängsten konfrontieren und damit versuchen uns in Angst und Schrecken zu versetzen.
Jetzt bin ich neugierig, ob die Fans das ähnlich sehen.
Hier geht es weiter zu Was ist überhaupt ein Horrorfilm? Teil II