Shirley Jacksons „Spuk in Hill House“ (1959) und seine filmischen Nachfolger
1959 schuf die Autorin Shirley Jackson einen Meilenstein der Horror-Literatur. Im folgenden Artikel erfahrt ihr, warum es besser wäre, nicht allein zu sein – in der Nacht, in der Dunkelheit, wenn ihr „Spuk in Hill House“ lest. Gleiches gilt für die Verfilmung Bis das Blut gefriert von 1963 und die gleichnamige Netflix-Serie.
„So stand es schon seit 80 Jahren und würde weitere 80 Jahre so weiterbestehen. Drinnen hielten sich die Wände noch gerade, die Backsteine waren sauber verputzt, die Fußböden stabil, und die Türen ließen sich vernünftig schließen. Es lag eine beständige Stille auf dem Holz und den Steinen von Hill House, und was immer dort wandelte, das wandelte allein.“
Dr. John Montague wandelt nicht allein. Der Wissenschaftler glaubt, mit Hill House den perfekten Ort gefunden zu haben, um bei seiner Suche nach übernatürlichen Vorgängen fündig zu werden. In dem alten Herrenhaus, derzeit im Besitz der Familie Sanderson, ereigneten sich einige mysteriöse Todesfälle und auch sonst, so erzählt man sich zumindest, scheint dort etwas umzugehen. Obendrein besitzt das bei Nacht verlassene, düstere Gemäuer eine geradezu morbide Atmosphäre. Doch aus einer ganzen Reihe von potenziellen Medien, die Dr. Montague den Weg zu den paranormalen Phänomenen ebnen sollen, kommen nur zwei junge Frauen seiner Einladung nach: die einsame Eleanor und die temperamentvolle Theodora, als Vierter gesellt sich der lasterhafte Luke, Spieler und Sprössling der Sandersons, als Gastgeber dazu.
Schnell fokussiert sich der Roman auf die ebenso sensible wie schüchterne Eleanor, die schon bei ihrem Eintreffen von der Haushälterin vor dem Haus gewarnt wird: „Die nächsten Nachbarn leben in der Stadt; niemand wird hierher kommen. Also wird Sie auch niemand hören, wenn Sie schreien. In der Nacht. In der Dunkelheit.“ Und wie sich im weiteren Verlauf der atmosphärisch dichten, plastisch erzählten Geschichte herausstellt, hat das Haus es offenbar auf die junge Frau abgesehen. Eleanor wurde durch ihre entbehrungsreiche Vergangenheit lebensfremd und labil und ist gerade deshalb empfänglich für äußere Einflüsse. Doch was geht tatsächlich vor in Hill House? Sind es nur die lebendig gewordenen Vorstellungen einer armen, verirrten, verletzten Seele? Sind es Einbildungen, die an Gestalt gewinnen, lebendig werden, wenn man zu lange auf ein Geräusch hört, zu lange auf einen Schatten schaut, zu lange der morbiden Atmosphäre von Hill House ausgesetzt ist? Oder sind es tatsächlich Geister, die dort wandeln?
Shirley Jackson spielt gekonnt wie selten jemand vor oder nach ihr mit den Perspektiven der Psyche, der Vorstellungskraft, der Einbildung und der Macht subtiler Andeutungen. Ein komplexes Gerüst, das den Hauptcharakter des Buches bildet, obwohl der Schrecken selten greifbar wird. Wer nach blutigen Beschreibungen, brutalen Morden, mörderischen Kreaturen sucht, wird enttäuscht. Denn Jacksons Kopfkino setzt vor allem dort ein, wo die Vorstellungskraft ihre unheilvolle Macht entwickelt: in den schattigen Winkeln, dem Knarren der Türen und Dielen sowie dem Flüstern des Windes, der durch die langen Flure des alten Herrenhauses streicht. Jacksons Horror haut nicht brachial mit dem Hammer zu, um den blutigsten Effekt zu erzielen; sie setzt auf eine schaurige, unheilschwangere Atmosphäre und cleveres Timing. Ihr Schrecken kommt wie eine Katze auf leisen Samtpfoten daher geschlichen, um dem Leser im geeigneten Moment in den Nacken zu springen – und sich dort festzukrallen. Jackson baut präzise Spannung auf, die sie gekonnt immer wieder zuspitzt, wobei „Hill House“ seine Gäste – die Figuren in der Geschichte, wie auch diejenigen, welche die Geschichte lesen – unweigerlich in seinen Bann zieht. Und selten hatte ein totes Haus eine düsterere Seele als in Shirley Jacksons „Spuk in Hill House“.
Der Ansicht war auch Stephen King, dessen TV-Miniserie Rose Red eine weitere Adaption werden sollte und der in seinem Sachbuch „Danse Macabre“, das sich eingehend mit dem Horrorgenre befasst, befand: „The Haunting of Hill House ist einer der wirklich großen, unheimlichen Romane der vergangenen hundert Jahre.“, noch dazu hält Stephen King Eleanor für „mit Sicherheit die beste Person dieser neuen Tradition des amerikanischen gotischen Schauerromans.“
Kings Verfilmung wäre bereits die dritte gewesen, als erste wandelte das Filmjuwel Bis das Blut gefriert von Robert Wise aus dem Jahr 1963 auf den Spuren des Romans. Der Film ist treffend besetzt: Julie Harris (Stephen Kings Stark) ist eine perfekte Eleanor, ebenso glänzt Russ Tamblyn (Twin Peaks) als Luke. Die Inszenierung sorgt mit ihren atmosphärisch dichten Schwarz-Weiß–Bildern, einer lebendigen Kameraführung und einer beklemmenden Tonkulisse für Gänsehautmomente, die jedes CGI-Monster vor Neid vergehen lassen. Der dicht an den Roman angelehnte Film beweist, dass man das nackte Grauen auch ohne Geisterbahn-Effekte heraufbeschwören kann.
Von diesen enthielt die 1999er Verfilmung Das Geisterschloß umso mehr und so kam es nicht von ungefähr, dass der Film trotz luxuriöser Starbesetzung (u.a. Liv Tyler, Wildling, Liam Neeson, Unknown Identity, und Catherine Zeta–Jones) gleich für acht Razzies, also Gegen-Oscars, nominiert wurde. Das Geisterschloß bietet zwar einiges fürs Auge, kommt aber nicht über eine triviale Geisterbahnfahrt hinaus.
Sehr viel besser machte es da die 2018 produzierte Netflix-Serie Spuk in Hill House, die einige Parallelen zum Roman und den anderen Filmen aufweist, aber dennoch eine eigene Geschichte erzählt. Die Miniserie stellt durchaus glaubwürdig und spannend die einzelnen Schicksale in den Vordergrund und erzählte einfühlsam ihr ganz eigenes, menschliches Drama, ohne dabei auf Schockmomente zu verzichten.
Auch die sehr empfehlenswerte zweiteilige Hörspiel-Großproduktion „Spuk in Hill House“ von Titania Medien verzichtet weder auf akustische Schockmomente, noch auf eine Starbesetzung; zu der u.a. Evelyn Maron, Christian Rode und David Nathan zählen.
Ein ganz eigenes Drama stellt das Leben der viel zu früh verstorbenen Autorin Shirley Jackson dar. Während ihres Studiums begann sie, bei der universitätseigenen Literaturzeitschrift zu arbeiten, auch lernte sie dort ihren künftigen Ehemann kennen. Ihr Ehemann wurde ein angesehener Literaturkritiker und die private Bibliothek der beiden Lesebegeisterten umfasste an die 25.000 Bücher. Sie war Anfang dreißig als ihr Debüt, ein semi-autobiografischer Roman, veröffentlicht wurde. Nach mehreren Kurzgeschichten folgte 1959 der Roman „The Haunting of Hill House“, inspiriert wurde sie durch einen „Tatsachenbericht“ mehrerer Forscher, die im 19. Jahrhundert ein Spukhaus mieteten, um dort nach Geistern zu suchen. Bei der Veröffentlichung ihres größten Triumphs litt die Autorin jedoch bereits unter stärkeren gesundheitlichen Problemen, verursacht durch Rauchen, Übergewicht und von ihrem Arzt verschriebenen Medikamenten. 1962 folgte ihr finales Werk „Wir haben schon immer im Schloss gelebt“, das vom Time Magazine zu den zehn besten Romanen des Jahres gezählt wurde. Schließlich starb sie 1965 mit nur 48 Jahren. Sie hinterließ sechs Romane, zwei Memoiren und über 200 Kurzgeschichten.
Titelbild: Bis das Blut gefriert © Warner Home Video