Tschernobyl 1986 (2021) – Review
Capelight bringt mit Tschernobyl 1986 einen aus der russischen Sicht gedrehten Katastrophenfilm heraus. Wir haben uns unsere Schutzanzüge übergestülpt und uns zum Kraftwerk begeben. Ob sich der Besuch lohnt, erfahrt ihr hier.
Originaltitel: | Chernobyl |
Land: | Russland |
Laufzeit: | 136 Minuten |
Regie: | Danila Kozlovsky |
Drehbuch: | Aleksey Kazakov, Elena Ivanova |
Cast: | Oksana Akinshina, Ravshana Kurkova, Danila Kozlovsky u.a. |
VÖ: | ab 02.09. als VoD und ab 17.09.2021 fürs Heimkino |
Inhalt
Am 26. April 1986 verändert ein nuklearer Unfall die gesamte Welt. Alexey ist als Feuerwehrmann für die Brandsicherung in Prypjat zuständig und soll nun nach Kiew versetzt werden. Am Tag seiner geplanten Abreise explodiert jedoch das Kernkraftwerk Tschernobyl und Alexey stellt seine eigenen Zukunftsträume hinten an, um das Leben aller Menschen in Europa zu retten. Dabei ist er auch gezwungen sein eigenes aufs Spiel zu setzen, denn nur das Lösen eines Ventils zur Ablassung von Siedewasser kann die Katastrophe noch eindämmen. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, während das Team unter Alexey ins Zentrum der Katastrophe vordringen muss und sich dabei durch die buchstäbliche Hölle kämpft.
Kritik
Als Reaktion auf HBOs preisgekrönte Miniserie, die das Versagen der politischen Führung während der Krise und die spätere Verhandlung der Schuldigen stark kritisierte, kommt Danila Kozlovskys Tschernobyl 1986 frei von Politik daher, wäre bei einer russischen Version doch eher eine Beschönigung der Ereignisse zu befürchten gewesen. Leider wird hier die Ursache nur sehr knapp abgehandelt. So wird das gesamte Kraftwerk von einem der führenden Regierungsvertretern vor Ort kurz als „Fehler“ betitelt, das so niemals hätte betrieben werden dürfen und die Ursache der Explosion wird später leider nur knapp mit „menschlichem Versagen“ erklärt. Der Rest des Films konzentriert sich auf die menschlichen Schicksale, sowie den Einsatz der Feuerwehr und wird somit relativ frei von politischem Rauschen präsentiert.
In Tschernobyl 1986 geht es eher darum, wie diese folgenschwere Nacht aus Sicht der Bevölkerung und der Rettungskräfte erlebt wird. Kozlovsky selbst spielt Feuerwehrmann Alexey und Oksana Akinshina (Sputnik) verleiht seiner Freundin Olga ein Gesicht. Sie muss sich zwar nicht zusammen mit ihrem Partner ins Kraftwerk wagen, erlebt die Auswirkungen aber dennoch hautnah mit, da sie als Friseurin regelmäßig die Feuerwehrleute frisiert und später im Krankenhaus auch die verstrahlten Haare der sogenannten Liquidatoren, den Feuerwehrleuten, die die Strahlung beseitigen, abrasieren muss. Hauptspielplatz ist die Stadt Prypjat, welche die Zuschauer:innen direkt zurück in die 80er Jahre versetzt. Seien es die tristen Plattenbauten, die unterschiedlichen Feuerwehrfahrzeuge oder die alten Krankenwagen, alles wirkt authentisch und mit viel Liebe zum Detail kreiert. Das Kraftwerk thront dabei als immer größer werdende Bedrohung im Hintergrund und verwandelt das Set nach der Explosion in ein Kriegsgebiet aus verbrannten Metallen, glühenden, verstrahlten Teilen und brennenden Stahlträgern. Überall in diesem grausamen Szenario sieht man sich erbrechende Feuerwehrleute, verbrannte oder verstrahlte Gesichter sowie mutlos agierende Liquidatoren, die hoffnungslos in der Gegend herumstehen, sich bewusst, dass dies ihr aller Ende sein könnte. Die Hölle kann nicht viel alptraumhafter aussehen als der hier dargestellte Ground Zero.
Der Weg der Helden ins Innere des Reaktors zeigt jedoch, dass es noch schlimmer geht. Die Hitze und Strahlung sind beinahe fühlbar, so klaustrophobisch nahe ist die Kamera an den Schauspielern. Die Gänge und Maschinenräume, in denen sie um den Sieg gegen das Unaufhaltsame kämpfen, sind in glühend orangenes Licht getaucht. Schier endlos zieht sich das Stahllabyrinth aus kaputten Rohren, aus denen kochendes Wasser und Wasserdampf den Helden entgegenkommen. Hier möchte niemand auch nur eine Minute verbringen und der Tod ist ein ständiger Begleiter auf dem Weg in die Reaktormitte.
Trotz seiner intensiven und realistischen Inszenierung braucht Tschernobyl 1986 lange, bis er wirklich spannend wird. So wirkt der Film in der ersten halben Stunde wegen eines Liebesgeplänkels etwas zäh, da es hier keinerlei Hinwiese auf die Vorgeschichte der beiden Figuren gibt, das Publikum wird quasi direkt mit Alexeys eher plumpen Versuchen Olga zurück zu bekommen konfrontiert. Das zieht sich alles sehr in die Länge, bis in der folgenschweren Nacht dann endlich Fahrt aufgenommen wird. Hier wäre es förderlich gewesen, entweder mehr von Prypjat und seinen Einwohner:innen zu sehen oder die Exposition rund um Olga und Alexey um die Hälfte zu kürzen. Auch die zahlreichen misslungenen Maßnahmen nach der Explosion werden kaum zum Thema gemacht, stattdessen wirkt es so, als wäre bereits die erste Gegenmaßnahme im Kampf gegen die Radioaktivität erfolgreich gewesen.
Fazit
Tschernobyl 1986 ist ein gelungener Katastrophenfilm, dessen Stärke in der intensiven Darstellung der Auswirkungen des Reaktorunfalls liegt. Politische Verantwortlichkeiten interessieren hier nicht, es geht um die Erlebnisse derjenigen, die direkt am Ort des Geschehens sind. Wer eine kritische Aufarbeitung des Stoffes bevorzugt, ist mit der Miniserie besser bedient, Fans von schnörkellosen Katastrophenfilmen kommen hier aber auf ihre Kosten. Trotz des schleppenden Anfangs gelingt Tschernobyl 1986 eine packende Erzählung über eines der größen Unglücke der Menschheitsgeschichte.
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Gesamtwertung |
ab 17.09.2021 im Handel:
Bildquelle: Tschernobyl 1986 © Capelight