She Dies Tomorrow
Kritik

She Dies Tomorrow (2020) – Review

In ihrem Horrorfilm She Dies Tomorrow untersucht Regisseurin Amy Seimetz menschliches Verhalten im Auge der Sterblichkeit und schickt nicht nur ihre Figuren, sondern auch die Zuschauenden auf eine existenzielle Reise. 

Originaltitel: She Dies Tomorrow
Land: USA
Laufzeit: 85 Minuten
Regie: Amy Seimetz
Drehbuch: Amy Seimetz
Cast: Kate Lyn Sheil, Jane Adams, Katie Aselton u.a.
VÖ: ab 17.07.2021 fürs Heimkino

Inhalt

Die einzige Gewissheit im Leben ist der Tod. Das muss auch Amy (Kate Lyn Sheil, You’re Next) eines Tages erkennen und ist von nun an fest davon überzeugt, dass sie am nächsten Tag sterben wird. Eigentlich hatte die junge Frau erst ein Haus gekauft, als Investition in die Zukunft, aber nun erscheint ihr gar nichts mehr wichtig. Abwesend wandert sie in Haus und Garten herum, hört immer wieder dasselbe klassische Musikstück und betrinkt sich. Sie hat keine Drohung, keine Prophezeiung oder Vision erhalten: Es ist einfach eine Überzeugung, eine starke körperliche Gewissheit, dass sie bald sterben wird. Als ihre Freundin Jane (Jane Adams, Poltergeist) vorbeikommt, zeigt diese sich besorgt, als Amy mit dem Laubbläser spät abends in ihrem Garten steht und davon spricht, dass sie nach dem Tod zu einer Lederjacke verarbeitet werden will. Jane macht Amys Gemütszustand und den Alkohol für ihre verwirrenden Aussagen verantwortlich und kehrt entnervt nach Hause zurück. Dort angekommen wird aber auch sie plötzlich von der Gewissheit überwältigt, dass sie am nächsten Tag sterben wird. Wie sich herausstellt, ist das Gefühl um den bevorstehenden Tod ansteckend und alle, die es haben, stecken die Person an, mit der sie in Kontakt kommen.

Kritik

She Dies Tomorrow ist ein recht handlungsarmer Film, der die Atmosphäre über seine Charaktere und die Erzählung stellt. Regisseurin Amy Seimetz hat eine Horrorgeschichte gedreht, die ohne maskierten Mörder oder übernatürliche Kreaturen auskommt. Der Horror ist vielmehr existenziell – voll greifbarer Traurigkeit und Melancholie. Es gibt keine billigen Schocktaktiken oder großen Wendungen. Es gibt keine Erklärungen über die ansteckenden Vorahnungen oder den Versuch der Figuren, diese loszuwerden. Seimetz hat daran kein Interesse. Es ist keine Geschichte über das „Warum“, sondern darüber wie Menschen auf die Unvermeidbarkeit des Todes reagieren. She Dies Tomorrow erforscht eine existenzielle Krise, ohne großartig intellektuell zu werden, und verwendet verträumte Klänge und Bilder, um Emotionen und Klarheit zu erzeugen. Es bleibt eine offene Frage, ob es sich bei dem Zustand, den der Film postuliert, um die Realität oder ein Hirngespinst handelt. Die Verzweiflung, Panik und Resignation, die sie bei den Opfern auslöst, führten zu philosophischer Reflexion und anderen mehr oder weniger extremen Aktionen, da sich alle Hoffnung, Ängste und Bedauern in einem Gefühl über das kommende Ende verdichten.

She Dies Tomorrow

She Dies Tomorrow bewegt sich nicht vorwärts, er wandert in einem Netz nach außen, wie ein Virus, das sich durch die Bevölkerung ausbreitet, und konzentriert sich auf die Reaktionen der Betroffenen, zieht die Betrachtenden mit experimenteller Kameraarbeit und raffiniertem Sounddesign, mit seinem ominösen Dröhnen, klassischer Musik und Flüstern, in den Bann. Die Reise jedes Charakters in der Infektion bietet die visuell einprägsamsten Momente im Film. Als jede der Figuren mit dämmerndem Entsetzen erkennt, dass auch sie morgen sterben wird, starren sie in den Raum vor ihnen, während Lichter pulsieren und unwirkliche Farbfelder die Gesichter überlagern. Rote, blaue und grüne Lichter werden zu Todessirenen und die dunklen, körnigen Bilder von Kameramann Jay Keitel werden in diesen Momenten durch die intensiven Farbblitze unterbrochen. Währenddessen sind Rückblenden im Gegensatz zur Gegenwart hell und knackig, fast so, als würde sich das Bild selbst mit der Zeit verschlechtern.

She Dies Tomorrow

Extreme Nahaufnahmen von tränenerfüllten Augen, halb vollen Weingläsern und roten Blutkörperchen suggerieren währenddessen eine unangenehme Intimität, der enge Fokus auf Gesichter lässt die innersten Unsicherheiten jedes Charaktershervortreten. Es ist eine Sache zu wissen, dass der Tod unvermeidlich ist, aber eine andere, diese Unvermeidlichkeit zu akzeptieren. Seimetz ist hier auf etwas verzweifelt Menschliches gestoßen, eine Wahrheit, die die Menschen lieber vermeiden würden. Wir stellen uns gerne vor, dass wir, wenn wir das Datum unseres eigenen Todes wüssten, frei wären, um wirklich zu leben. Stattdessen sind die Charaktere durch das Wissen um ihre Vergänglichkeit gelähmt, unfähig, ihre letzten Momente auf der Erde zu genießen. Niemand gerät in Panik, alle sind nur augenblicklich mit diesem Schicksal, an dem sie keine Zweifel haben, resigniert.

She Dies Tomorrow

She Dies Tomorrow mag deprimierend klingen, aber Seimetz verleiht ihrem Film einen Hauch von Komödie, denn während Amys Paranoia erschreckend wirkt, reagieren andere Charaktere komödiantischer und fungieren damit als Kontrapunkt zu den sonst so trostlosen Situationen. Der trockene Humor spielt in die Absurdität des Geschehens, bleibt aber stets in einem fatalistischen Ton, und jedes Schmunzeln, das er erzeugt, besitzt einen bitteren Nachgeschmack.

Fazit

In Amy Seimetz´ vieldeutigen Memento mori verdichten sich alle Absurditäten und Ängste der menschlichen Existenz auf Spielfilmlänge. She Dies Tomorrow bietet nicht nur einen verträumten visuellen Stil und spannende Fragen rund um Identität und Zweifel, sondern ist ein eindrucksvoller und herausfordernder Blick darauf, was passieren könnte, wenn wir unseren unvermeidlichen Tod akzeptieren. Trotz oder vielleicht gerade wegen der Betonung der Idee über die Handlung ist es ein Film, der noch lange in Gedanken widerhallt. She Dies Tomorrow endet nicht mit einem Knall, sondern mit einem kleinen, ängstlichen Flüstern.

Bewertung

Grauen Rating: 3 von 5
Spannung rating4_5
Härte rating0_5
Unterhaltung rating4_5
Anspruch rating4_5
Gesamtwertung rating4_5

ab 22.07.2021 als Mediabook:

She Dies Tomorrow

Bildquelle: She Dies Tomorrow © Koch Media

Horrorfilme… sind für mich eine Möglichkeit, Angstsituationen zu erleben, ohne die Kontrolle zu verlieren. Es ist eine positive Art der Angst, da sich ein Glücksgefühl einstellt, sobald man die Situation durchgestanden hat. Es ist nicht real – könnte es aber sein. Das ist furtchteinflößend und gleichzeitig faszinierend.

One Comment

  • Sid

    Ganz seltsamer Film dem ich sehr schlecht etwas abgewinnen konnte. Eine total abstruse Story die meiner Meinung nach mehr tiefen als höhen hat.

...und was meinst du?