Bird Box
Kritik

Bird Box (2018) – Review

Susanne Bier schickt Sandra Bullock mit Augenbinde und zwei Kindern einen reißenden Fluss hinunter. Was hinter dem neuesten Netflix-Film steckt, erfahrt ihr hier.

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Vorlage:
Cast:

Bird Box
USA
124 Minuten
Susanne Bier
Eric Heisserer
Roman „Bird Box“ von Josh Malerman
Sandra Bullock, Trevante Rhodes, John Malkovich u.a.

Nachdem sich dieses Jahr A Quiet Place bereits dem Gehör als zentrales Sinnesorgan annahm, folgt nun Bird Box mit dem Sehsinn. Hauptdarstellerin Sandra Bullock witzelte in einem Interview darüber, dass sie als nächstes einen Film über den Geschmackssinn machen würde. Das wäre dann ein Thriller über einen königlichen Vorkoster – welcher Biss wird wohl sein letzter sein? Ob diesem Vorkoster-Film ein ähnlicher Erfolg vergönnt sein würde, sei einmal dahin gestellt.

Bird Box basiert auf dem gleichnamigen Roman von Josh Malerman von 2014. Dieser basiert auf zwei Ideen, die einige Zeit in Malermans Kopf rumschwirrten. Einerseits die Frage, was wäre, wenn das Konzept der Unendlichkeit sich als Wesen manifestieren und an deine Tür klopfen würde? Da wir Unendlichkeit geistig nicht fassen können, würden wir wohl alle verrückt werden. Andererseits das Bild einer Mutter mit zwei kleinen Kindern, die auf einem kleinen Ruderboot mit verbundenen Augen auf einem wilden Fluss unterwegs sind. Malerman kam mit der Geschichte allerdings nicht weiter, da er nicht wusste, wie er die drei in die missliche Lage bringen sollte. Bis eines Tages die zwei Ideen verschmolzen und als Ergebnis Bird Box rauskam.

Die Geschichte im Film spielt sich, ähnlich wie in der Buchvorlage, auf drei Zeitebenen ab. Bird Box beginnt in der Gegenwart mit dem Aufbruch von Malorie (Sandra Bullock) und ihren zwei Kindern zum Fluss. In Rückblenden erzählt der Film, wie es zu dieser verhängnisvollen Situation kam.
Fünf Jahre früher sehen wir die schwangere Malorie, die mit ihrer älteren Schwester Jess (Sarah Paulsen, American Horror Story) auf dem Weg ins Krankenhaus ist zu einer Routineuntersuchung. Jess erzählt ihr von einem seltsamen Phänom in Russland, welches zu Massen-Suiziden führte. Als sie das Krankenhaus verlassen, wird jedoch schnell klar: die bizarre Epidemie hat die USA erreicht. Jess und Malorie versuchen sich in Sicherheit zu bringen. Schlussendlich kann sich lediglich Malorie mit anderen Überlebenden in ein Haus verschanzen. Der Grund für den Irrsinn und das Chaos sind Wesen, bei deren Anblick die betroffenen Personen wahnsinnig werden,andere attackieren oder sich gleich selbst umbringen …

Eric Heisserer (Arrival, Light‘s Out) zeichnet sich für die Adaption des Romans verantwortlich und veränderte nur Kleinigkeiten an der Vorlage. Der an den Roman angelehnte dramaturgische Aufbau der Geschichte ist sehr gut gewählt und funktioniert auch für das Medium Film tadellos. Durch die zwei unterschiedlichen Startpunkte des Films, die erst im Laufe der Zeit zusammenlaufen, können die Höhepunkte des Films besser platziert werden, sodass Bird Box einen durchgehenden Spannungsbogen besitzt und ohne Leerlauf auskommt.

Leider offenbart das Drehbuch hingegen Schwächen bei der Charakterzeichnung. Malories Wandlung von der isolierten Künstlerin zur liebenden Mutter ist für mich leider nicht nachvollziehbar. Es wird zwar regelmäßig darauf hingewiesen, aber ihre Beziehung zu ihren Kindern wird meist nur erklärt und nie wirklich gezeigt. Was mitunter sicher auch den Zeitsprüngen in der Erzählung geschuldet ist, aber zumindest eine Handvoll Szenen, die die tiefe der Beziehungen spürbar machen, hätten dem Film sicherlich gut getan. Gerade auch die Ungleichbehandlung beider Kinder wird öfter angedeutet, aber viel zu wenig gezeigt, um in einer entscheidenden und kritischen Szene, die nötige emotionale Wucht zu entwickeln. So verpufft die potentielle Emotionalität der Szene leider im Nichts.
Die restlichen Charaktere orientieren sich stark an Klischees. Wir haben einen verbitterten, republikanischen Waffennarr (John Malkovich), eine toughe Polizeischülerin (Rosa Salazar, Maze Runner), den Bad Boy (Machine Gun Kelly), den gebildeten, kosmopolitischen Homosexuellen (BD Wong, Jurassic-Park-Franchise) etc. Im Gegensatz zur etwas platten Zeichnung der Charaktere bleibt das Geschehen im Haus jedoch durchwegs spannend. Dies liegt zum einen an den starken Performances der DarstellerInnen, aber zu einem großen Teil auch an der Anleitung der SchauspielerInnen seitens der Regisseurin Susanne Bier (Brothers).

Bird Box

Bier war während der Dreharbeiten immer um möglichst viel Realismus bemüht. So konnten die SchauspielerInnen unter den Augenbinden wirklich nichts sehen und wurden von Susanne Bier dazu ermutigt einfach zu gehen, zu stolpern, gegen Dinge zu rennen. Dies gibt dem Film eine gewisse Authentizität, denn die Bewegungen der AkteurInnen wirken dadurch nicht nur real – sie sind es auch. Eine Art der Inszenierung, die Bier grundsätzlich gern nutzt. So verbrachten die SchauspielerInnen einen großen Teil der Zeit wirklich in dem Haus in dem viel Zeit des Films spielt. Selbst die Pausen verbrachten sie dort und auch Sandra Bullock war mit den Kindern wirklich auf einem wilden Fluss. John Malkovich kam dies offenbar sehr entgegen, denn dieser lief während der Drehpausen manchmal mit seiner Schrotflinte im Haus umher und sprach mit den anwesenden Vögeln.
Schauspielerisch leistet sich Bird Box keine Ausfälle. Bullocks Schauspiel passt zu ihrem stoischen Charakter, ändert aber nichts daran, dass Malkovich ihr in ziemlich jeder gemeinsamen Szene die Show stiehlt. Die Kinderschauspieler haben glücklicherweise nicht mehr zu tun, als traurig drein zu schauen. Was nicht sonderlich stört, da sie ohnehin nur da sind, um Bullocks Charakter zu definieren. Bei allen anderen Charakteren wird leider ziemlich schnell klar, wen in welcher Reihenfolge das Zeitliche segnen wird.

Bird Box
John Malkovich mit seiner Freundin der Schrotflinte

Susanne Bier holt hier in ihrer Inszenierung definitiv einiges aus den Charakteren raus. Sie ist vor allem für Dramen bekannt, die sich immer mehr zuspitzen und oft in einem gewaltvollen, destruktiven Akt enden. Bier sagte in einem Interview, dass sie von den dunklen Seiten von Menschen fasziniert sei. Insbesondere von im Grunde guten Menschen, die in Extremsituationen zu extremen Mitteln greifen. Dies kommt ihr bei Bird Box auf alle Fälle zu Gute und so schafft sie es auch aus banal wirkenden Szenen viel rauszuholen.

Das gewählte Setting ist nichts besonderes, aber zweckdienlich. Vorwiegend spielt sich Bird Box an zwei Locations ab, welche vor allem durch die nicht chronologische Erzählweise angenehmerweise abwechseln und so für Abwechslung sorgen. Beim Monsterdesign will ich nicht zu viel vorwegnehmen. Ich halte die gewählte Lösung auf jeden Fall nicht für die schlechteste, aber sicher auch nicht für die mutigste.

Unterm Strich ist Susanne Bier eine tolle Verfilmung Malermans Romans gelungen, welche von Heisserers straffem Skript profitiert. Trotz einiger Mängel in der Charakterzeichnung hatte ich keine Probleme, mit den Figuren mitzufiebern. Bird Box ist ein spannender Endzeit-Thriller mit starken Darstellern, dem ihr durchaus eine Chance geben solltet.

 

Bewertung

Spannung Rating: 3 von 5
Atmosphäre Rating: 3 von 5
Gewalt  Rating: 1 von 5
Ekel  Rating: 0 von 5
Story  Rating: 3 von 5

Bildquelle: Bird Box © Netflix

Horrorfilme sind für mich ein Tor zu den unheimlichen, verstaubten Dachböden und finsteren, schmutzigen Kellern der menschlichen Seele. Hier trifft man alles von der Gesellschaft abgeschobene, unerwünschte, geächtete, begrabene: Tod, Schmerz, Angst, Verlust, Gewalt, Fetische, Obsession. Es ist eine Entdeckungsreise auf die "Schutthalde der Zivilisation". Auf diese Reise würde ich euch gerne mitnehmen.

One Comment

...und was meinst du?