Orlac's Hände
Kritik

Orlac’s Hände (1924) – Review

Genie und Wahnsinn liegen bekanntermaßen nah beieinander, das muss der Protagonist in Orlac’s Hände am eigenen Leib erfahren. Der expressionistische Stummfilm ist eines der letzten großen Werke von Caligari-Regisseur Robert Wiene und zeigt eindrucksvoll, dass Horror nicht viele Worte braucht.

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:

Orlac’s Hände
Österreich/Deutschland
90 Minuten
Robert Wiene
Louis Nerz, Maurice Renard
Conrad Veidt, Alexandra Sorina, Fritz Kortner u.a.

Inhalt

Der gefeierte Konzertpianist Paul Orlac (Conrad Veidt, Der Mann, der lacht) verliert bei einem schweren Zugunglück beide Hände. Auf das Flehen von Ehefrau Yvonne (Alexandra Sorina, Rasputin) hin, die um das Leben ihres Mannes bangt, beschließt der Chirurg Dr. Serral, auf die Hände des soeben exekutierten Raubmörders Vasseur zurückzugreifen. Ohne das Wissen des Ehepaars, näht er dem Pianisten die fremden Gliedmaßen an. Durch einen anonymen Hinweis erfährt Orlac von der dunklen Herkunft seiner neuen Hände und verzweifelt; das Leben des Ehepaars scheint zerstört, denn der Pianist sieht sich außerstande seine Kunst auszuüben, geschweige denn sich seiner Frau zu nähern. Während sie versucht, den finanziellen Ruin abzuwenden, fühlt Orlac sich zunehmend vom verbrecherischen Geist Vasseurs kontrolliert. Schon bald weiß er nicht mehr zwischen Wahn und Wirklichkeit zu unterscheiden …

Kritik

Künstlerfiguren wie Orlac sind – wie auch ihr scheinbares Gegenstück, die rationalen Wissenschaftler – seit jeher zum Wahnsinn prädestiniert. Ihre ausgeprägte Sensitivität und die überbordende Einbildungskraft machen sie zu willkommenen Opfern des Wahns, wie Filme von Die Mächte des Wahnsinns bis hin zu Black Swan eindrucksvoll zeigen. Dass Regisseur Robert Wiene das Thema liegt, bewies er bereits wenige Jahre zuvor mit seinem Meisterwerk Das Cabinet des Dr. Caligari und auch wenn Orlac’s Hände demgegenüber deutlich zurückgenommen wirkt, entfaltet das realistischere Setting seinen ganz eigenen Horror.

Paul Orlac wirkt wie eine Marionette, deren Fäden aus dem Hintergrund von einem unbekannten Puppenspieler gezogen werden. Gleich dem somnambulen Cesare, den Hauptdarsteller Conrad Veidt im Cabinet des Dr. Caligari verkörperte, ist auch er fremdgesteuert. Das erschreckende Gefühl, dass das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus, wie Sigmund Freud es formulierte, wird zur Quelle eines ganz besonderen Grauens. Eine Rückkehr in sein altes Leben scheint ausgeschlossen, wie Orlacs vergeblicher Versuch, den Ehering auf die fremde Hand zu stecken, symbolisiert. Als seine Frau ihn nach der Krankenhausentlassung in einer duftenden Woge aus Blumenarrangements im gemeinsamen Heim erwartet, könnte sie unschuldiger und schöner kaum aussehen – der blanke Horror für ihren Mann, der sich kurz zuvor noch geschworen hatte, mit „diesen“ Händen niemals wieder jemanden zu berühren.

Orlacs Hände

Die Schatten, die Orlacs Gemüt bevölkern, übertragen sich auch auf die Leinwand, die zumeist das in Halbschatten getauchte Innere der Künstlervilla zeigt. Die Charaktere verlieren sich in den riesigen, spärlich möblierten Räumen, während die Dunkelheit sich ins Unendliche auszudehnen scheint. Das Spiel mit Licht und Schatten beherrscht Wiene meisterhaft – jede Szene wird bereits durch die grandiose Lichtdramaturgie zu einem Stimmungsbild. Atmosphärisch dicht erzählt, mangelt es Orlac’s Hände dennoch zeitweilig an Spannung, worüber auch die eingestreuten Kriminalfilm-Motive nicht hinwegtäuschen können. Doch die gespenstische Aura und die Unschlüssigkeit, ob Orlac ein Opfer übernatürlicher Mächte oder schlichtweg wahnsinnig ist, entschädigen für solche kurzen Durststrecken.

Orlacs Hände

Ohne auf spektakuläre Schockmomente zu setzen, entwickelt der Film ein subtiles Grauen, das vor allem Produkt der düster-alptraumhaften Grundstimmung sowie des expressiven Spiels der beiden Hauptdarstellenden ist. Obwohl ihm nur sein Körper bleibt, um die Verzweiflung, den Schmerz und die Angst auszudrücken, die Orlac empfindet, beweist sich Conrad Veidt einmal mehr als einer der herausragendsten Schauspieler der Stummfilm-Ära. Im Fokus stehen seine Hände, wie sie sich krümmen, winden und ihrem Herrn nicht mehr gehorchen wollen, während die Adern hervortreten und das unkontrollierte Spiel der Muskeln von ihrem unheimlichen Eigenleben kündet. Das Gesicht ist verzogen zu einer Grimasse und in tiefe Furchen gelegt. Seine eigenen Gliedmaßen betrachtet er mit einer Furcht, die auch den Zuschauenden erstarren lässt und jeden Zwischentitel überflüssig macht.

Auch seine Filmpartnerin Alexandra Sorina beweist in Orlac’s Hände ihr schauspielerisches Talent, wiewohl ihr im Gegensatz zu Veidt eine weitere Karriere im Tonfilm nicht beschieden war. Stets wie am Rande einer Ohnmacht wirkend und fragil wie eine Puppe, wandelt sie selbst durchs Bild wie eine Somnambule, um im nächsten Augenblick dennoch eine überragende innere Stärke zu zeigen. An Ausdruckskraft steht Sorina ihrem männlichen Ko-Star in nichts nach. In ihren weit aufgerissenen Augen spiegelt sich ein Schrecken, der auch nach dem Publikum greift.Orlac's Hände

Fazit

Es ist faszinierend zu sehen, wie wenig Dialoge ein Film tatsächlich benötigt, um eine Geschichte zu erzählen – und wie oft moderne Filmemacher ins Erklären abdriften, statt einfach nur zu zeigen. Mit Orlac’s Hände hat Regisseur Robert Wiene einen späten Klassiker des expressionistischen Films geschaffen, der auch bald einhundert Jahre nach seiner Kinopremiere noch zu faszinieren vermag, indem er sich auf die Wirkmacht seiner Bilder verlässt. Die düstere Atmosphäre scheint jede Faser des Films zu umhüllen, sie prägt das packende Spiel der beiden Hauptdarstellenden und durchdringt all ihre Handlungen. Gleichermaßen schön wie schrecklich ist das Leiden des Pianisten, sein langsamer Abstieg in den Wahn, anzusehen. Wer sich auf einen Stummfilm und die damit einhergehende besondere Seherfahrung einlassen kann, wird schon bald Wachs sein in Orlac’s Händen.

 

Bewertung

Grauen Rating: 4 von 5
Spannung Rating: 3 von 5
Härte  Rating: 1 von 5
Unterhaltung  rating3_5
Anspruch  Rating: 4 von 5
Gesamtwertung Rating: 4 von 5

Bildquelle: Orlac’s Hände © absolut MEDIEN

Horrorfilme… sind die Suche nach Erfahrungen, die man im echten Leben nicht machen möchte. Sie bilden individuelle wie kollektive Ängste ab, zwingen uns zur Auseinandersetzung mit Verdrängtem und kulturell Unerwünschtem – und werden dennoch zur Quelle eines unheimlichen Vergnügens.

...und was meinst du?