Empfehlungen

Horrorfilme aus Polen – Empfehlungen aus der Redaktion

Heute widmen wir uns polnischen Horrorfilmen. Zwei unserer Autor*innen haben ihre Sammlungen durchwühlt und präsentieren euch ihre persönlichen Empfehlungen.

 


Michaelas Empfehlungen

Mutter Johanna von den Engeln (1961)
R: Jerzy Kawalerowicz

Ein hochrangiger katholischer Amtsträger reist aufs Land zu einer abgeschiedenen Gemeinde. Seine Mission: Dämonenjagd respektive großes Reinemachen im kollektiv durchgedrehten Frauenkloster. Dort soll nämlich ein inzwischen verbrannter Priester Mutter Johanna (verdammt intensiv: Lucyna Winnicka) verführt haben, weshalb die Oberin im Verdacht steht, besessen zu sein – angeblich von acht Dämonen. Die ihr unterstellten Nonnen scheinen seit dem Vorfall ebenfalls außer Rand und Band, der Gesandte hat also alle Hände voll zu tun. In Versuchung geraten sollte er dabei besser nicht …

Die Besessenheit von Loudun im Jahre 1633 wurde gleich zwei Mal herausragend verfilmt. Während das britische Drama Die Teufel weithin bekannt ist, fliegt Mutter Johanna von den Engeln ziemlich unter dem Radar und gilt gleichsam als Geheimtipp. Anders als Ken Russells Schocker basiert der polnische Film auf der gleichnamigen Novelle von Jarosław Iwaszkiewicz.
Dermaßen toller Besessenheitshorror ist selten und man muss schon tüchtig surfen, um außer William Friedkins Werk und Jerzy Kawalerowicz’ Kunstfilm annähernd Meisterliches zu entdecken. Kurz vor Mutter Johanna von den Engeln hatte Kawalerowicz mit Nachtzug einen Coup gelandet. Zbigniew Cybulski, der polnische James Dean (Markenzeichen: Sonnenbrille), spielt die Hauptrolle und der puderzuckerleichte Soundtrack des Jazzpianisten Andrzej Trzaskowski bleibt ebenso unvergessen. Spätestens mit dem Nonnengrusler festigte Kawalerowicz seinen Ruf als aufregend interessanter Regisseur und Individualist. Bei Mutter Johanna von den Engeln erinnert jede Szene an die Glanzzeit des polnischen Kinos. Die betörend schönen Bebilderungen von Kameramann Jerzy Wójcik (Asche und Diamant) sorgen sicherlich für wohlige Schauer bis in die Haarspitzen.
Berühmt übrigens (nicht nur) bei Nunsploitation-Fans: Der kollektive Niederfall der Schwestern.

Sirenengesang (2015)
R: Agnieszka Smoczynska

Rache ist süß, am polnischen Gestade schmeckt sie schon mal nach Salzwasser. Die Geschwister Golden und Silver treffen die Mitglieder der Band Figs n‘ Dates am Strand, wo sich diese eine Erholungspause vom Nachtleben gönnen. Zurück im Klub treten die Musiker wieder auf, und die beiden anziehenden Frauen versuchen ihr Glück als Stripperinnen und Sängerinnen – mit Erfolg. Frenetisch bejubelt avancieren sie zu den Stars der Szene, denn Meerjungfrauen sind nicht nur hübsch anzuschauen sondern auch stimmlich hocherotisch. Die Pechsträhne setzt ein, als Golden ihren Trieben nachgibt und in ihrer Blutgier einen Barbesucher ausschaltet. Doch dass Silver Hals über Kopf ihr Herz an den Bassisten Mietek verliert, ist die eigentliche Katastrophe. Meermann Triton, an Land überzeugter Metal-Fan, warnt eindrücklich: Sollte ein Menschenmann jemals eine Meerjungfrau in der Liebe verraten, ist Gefahr im Verzug.

Dass Hans Christian Andersens Märchen „Die kleine Meerjungfrau“ aus dem Jahre 1837 eine dunkle Seite besitzt, dürften die meisten immer gewusst haben. Wie kompromisslos rabenschwarz die in den 80er Jahren angesiedelte Coverversion der Autorin und Regisseurin Agnieszka Smoczyńska dann aber ausfällt, ist mindestens eine Überraschung, wenn nicht helle Freude. Mit der Furchtlosigkeit der Debütantin mixt sie in ihrem ersten Spielfilm laute Live-Auftritte mit Body Horror sowie grotesken Missverständnissen zwischen Menschen und den Geschöpfen der Ozeane. Das Ergebnis bezaubert in seinen ruhigeren Momenten und verlockt zum Weiterträumen wie der Gesang der Schwestern, deren Bandname „The Lure“ lautet. Die eher zarter Besaiteten verführt das düstere Geschehen gewiss zum Knöchelkneten ob seiner garstigen Gewaltspitzen.

Horror-Musicals gibt es wie Sand am Meer, solche aber, die gleichzeitig mittels unsüßlichem Anti-Pop unterhalten als auch inhaltlich ernstlich verstören können, leider viel zu wenige. Dieser flossenfunkelnde Exportschlager aus Polen funktioniert auf sämtlichen Ebenen bestens und hallt lange nach wie das Meeresrauschen in einer gestrandeten Muschel.

Diabel (1972)
R: Andrzej Żuławski

Wer ist der Teufel – und wenn ja wie viele? Das rebellische Genie Andrzej Żuławski (PossessionMeine Nächte sind schöner als deine Tage) darf auf dieser Liste natürlich keinesfalls zu kurz kommen. Im deutschsprachigen Raum ist der zweite Film für die große Leinwand unter seinem Originaltitel bekannt, weitaus seltener begegnet uns die Übersetzung: Teufel.

Wenn der Krieg tobt und die Preußen meucheln, gerät eine Befreiungsreise Richtung Warschau nur allzu leicht zur Fahrt ins Verderben. Żuławski zieht uns direkt in die Invasion Polens in den 1790er Jahren. Ein schwarz gewandeter Mann (bedrohlich funkelnd: Wojciech Pszoniak) betritt die klösterlichen Räumlichkeiten, in denen der adelige Jakub (Leszek Teleszyński) als politischer Gefangener festsitzt. Der Fremdling fragt nach der Liste der Mitverschwörer, entführt schnurstracks eine hübsche Nonne als schmucke Reisebegleitung, und alsbald trifft Jakub auf seine Liebsten, die entweder halbwahnsinnig, aufs übelste misshandelt, beides oder tot sind. Dass die verlassene Freundin etwas mit seinem besten Freund angefangen hat, ist dabei wenig hilfreich. O tempora, o mores! Die dekadenten Tänze vor dem Hintergrund der Kandelaber tragenden Diener sehen fantastisch aus, wenn Jakub endgültig rot sieht …

Pfeilschnell schickte sich die kommunistischen Regierung in Polen an, den Film zu verbieten. Anti-Mainstream-Meister Żuławski fackelte nicht lange, sondern packte die Koffer, als gnadenlosen Freigeist zog es ihn nach Frankreich, wo er bald darauf mit Nachtblende einen veritablen Erfolg verzeichnete. Der Vorgänger Diabeł zählt zu den Historienfilmen, gleichzeitig kommt der Gore-Faktor beachtlich, viel Haut und Sex inklusive. Aufgeschnittene Kehlen gibt es en masse, von Blutspuren verzierte, nackte Leiber sind voller Inbrunst in Szene gesetzt, Gemälden gleichend, auf dass sie sich tief ins Gedächtnis einbrennen. Zwar handelt es sich hier um eine etwas sperrige Perle der Filmgeschichte, die manch eine:r als weitgehend sinnbefreite und chaotische Reise in den Abgrund des Wahnsinns empfinden dürfte. Gerade diese Unberechenbarkeit hat für die Aufgeschlossenen aber einen hohen Reiz. Diabeł ist nichts weniger als ein gewagter Wurf und in seiner Essenz sicherlich das blanke Entsetzen.

Der Dybbuk (1937)
R: Michał Waszyński

In einem polnischen Schtetl schmieden zwei eng verbundene, chassidische Gelehrte einen Pakt, damit ihre noch ungeborenen Kinder heiraten. Die Warnung folgt auf dem Fuße in Form eines mysteriösen Wanderers, dem eine solche Verpfändung zukünftiger Generationen als Unrecht gilt. Freilich geben die beiden Freunde wenig auf die Worte eines Fremden, allzu selbstgefällig verfolgen sie ihren Plan. Daraufhin segnet der eine Chassid das Zeitliche, die Frau des anderen stirbt im Kindbett. Gleichwohl ihre Kinder entfernt voneinander aufwachsen, kreuzen sich ihre Wege kraft des Schwures. Töchterchen Leah ist inzwischen zu einer wahren Schönheit herangereift. Einen kleinen Haken gibt es aber, denn sie ist bereits einem anderen versprochen. Der junge Channon, dessen Vater zuvor verstarb, ist jedoch Anhänger des Mystizismus und wild entschlossen, die Braut für sich zu gewinnen. Dazu ist ihm jedes Mittel recht – auch Magie und Zauberei …

In jüngster Zeit entdecken gerade israelische Filmschaffende das Potential ihrer ureigenen Mythen und Glaubensgeschichte, um das Okkult-Kino jenseits medioker geschminkter (christlicher) Nonnen kraftvoll neu zu beleben. Ein ersprießlicher Trend, der Genre-Trüffel der Paz-Brüder beinhaltet oder auch Dibbuk  Eine Hochzeit in Polen (2015) des viel zu früh verstorbenen polnischen Regisseurs Marcin Wrona. Bei den Dibbukim handelt es sich um Totengeister, die in die Körper der Lebenden einfahren und irrationales Verhalten hervorrufen, so auch in Michał Waszyńskis Fantasydrama Der Dybbuk. Dieses sorgt mittels expressionistischer Schattenspiele für unheimliche Stimmung, gibt aber vor allem einen faszinierenden Einblick in eine längst versunkene Welt voller jiddischer Bräuche, Riten, Tanz und Musik. Beeindrucken werden jedenfalls die Feierlichkeiten, die der eigentlichen Hochzeit voran gehen. Neben dem Tanz der Armen, der Reichen sowie der Bettler erstaunt der Totentanz, wobei die Umarmung des Todes rührt und von Grund auf erschaudern lässt.

Mich selbst hat Der Dybbuk bereits anfangs begeistert, als sich die Gestalt des mahnenden Wandersmanns unversehens in Luft auflöst. Ein großes Glück für kulturell interessierte Cinephile, dass dieses Stück jüdisch-polnischer Geschichte heutzutage existiert.


Florians Empfehlungen

Ein Drittel der Nacht (1971)
R: Andrzej Żuławski

Zehn Jahre bevor Andrzej Żuławski sein Meisterwerk Possession auf die Menschheit losließ, feierte er mit Ein Drittel der Nacht sein Kinodebüt und es ist beachtlich, mit welcher Souveränität er schon dieses Arthaus-Horror-Kriegsdrama inszeniert.

In Ein Drittel der Nacht folgen wir Michal (Leszek Teleszynski, Diabel) während der Nazi-Besetzung Polens. Während deutsche Soldaten sein Landhaus stürmen, muss er mitansehen, wie seine Familie brutal ermordet wird. Michal kann fliehen und entschließt sich, sich dem Widerstand gegen die Besatzung anzuschließen. Immer auf der Flucht vor der Geheimpolizei warten auf Michal Doppelgänger*innen und mysteriöse Zufälle, die ihn und das Publikum direkt in einen surrealen Albtraum führen …

Im ständigen Wechsel zwischen Zeitebenen sowie Wahn und Wirklichkeit gelingt Żuławski ein wahrer Fiebertraum auf Zelluloid gebannt. Gerade die frenetische Kameraarbeit betont dies noch einmal stark und lässt zudem erahnen, was einen in seinen späteren Werken noch erwarten wird. Unter Einsatz dieser Mittel wird die Nazi-Besetzung Polens zu einem wahren apokalyptischen Albtraum, der sich wie viele seiner anderen Werke den Zuseher*innen auf einer rein narrativen Ebene verschließt.

Sperrig, schaurig, surreal – Żuławski legte die Messlatte schon zu Beginn erstaunlich hoch.

Dibbuk – Eine Hochzeit in Polen (2015)
R: Marcin Wrona

Piotr (Itay Tiran, Homeland) hat die letzten Jahre in England verbracht, doch nun kehrt er in seine Heimat Polen zurück, um Zaneta (Agnieszka Zulewska, Serie Im Sumpf) zu heiraten. Zunächst läuft die Hochzeit auch sehr harmonisch ab, doch Piotr beginnt, sich immer seltsamer zu verhalten. Zunächst vermuten die Angehörigen noch, dass ihm der Alkohol zu Kopf gestiegen sei, doch schon bald wird klar, dass die Ursache nicht von dieser Welt ist …

Mit Dibbuk – Eine Hochzeit in Polen ist Marcin Wrona ein sehr eindrücklicher Film rund um Totengeister, polnische Erinnerungen, den Menschen und die Gesellschaft gelungen. Der Dibbuk ist dabei der jüdischen Mythologie entlehnt; ein böser Geist, der sich vom Irdischen nicht trennen konnte und nun einen neuen Körper sucht, den er besetzen kann.
Wrona inszeniert seine Geistergeschichte getaucht in Regen und Sepia-Farben und untermalt von atonalen Klängen, was für eine unheilverkündende, bedrückende Atmosphäre sorgt – die auch der größte Pluspunkt des Streifens darstellt. So verknüpft der Pole sehr geschickt Besessenheits-Horror mit Familien-Drama und erinnert damit an eine Mischung aus Der Exorzist und Das Fest.

Eine polnische Hochzeit, auf der es sich jedenfalls zu tanzen lohnt.

Werewolf (2018)
R: Adrian Panek

Polen im Sommer 1945. Das Konzentrationslager Groß-Rosen wurde gerade befreit und acht Kinder kommen in einem leerstehenden, heruntergekommenen, abgelegenen Palast unter, der vorübergehend als Waisenhaus fungieren soll. Betreut werden sie von Hanka (Sonia Mietielica, Teatroteka: Beauty), die ebenfalls aus dem KZ befreit wurde. Nach der schrecklichen Traumatisierung soll hier wieder Normalität in das Leben der Kinder zurückkehren. Doch nicht nur wird schon bald das Essen und Trinken in dem schlossartigen Gebäude knapp, zudem sind auch Schäferhunde aus dem KZ Groß-Rosen entkommen und zerfleischen alle, die ihnen zu nahe kommen …

Adrian Paneks Werewolf ist irgendwo zwischen Herr der Fliegen und Cujo angesiedelt und muss dabei noch seine historische Kontextualisierung stemmen – beileibe keine einfache Aufgabe. So wundert es wenig, dass der Streifen doch hie und da ins Straucheln gerät. Das Bedrohungspotential der Hunde bleibt durchgehend gering und die Bearbeitung des historischen Kontextes wirkt zuweilen etwas zu beliebig. Was Werewolf dennoch zu einem überaus sehenswerten Film macht, ist seine nach wie vor spannende Prämisse, die märchenhafte wunderschöne Inszenierung und insbesondere das Zusammenspiel des starken Ensembles. Denn die Jungschauspieler wissen hier wirklich zu überzeugen. Es ist vor allem spannend zu beobachten, wie die unterschiedlichen Charaktere mit der neuen Situation, aber auch mit der Bedrohung umgehen.

Werewolf ist ein bewegender polnischer Genrebeitrag, auch wenn er ohne übernatürlichen Werwolf auskommen muss.

Smile Guide (2013-2017)
R: Wiktor Stribog

Agatha finds out how to successfully apple, Maggie the Squirrel helps her and also. Agatha’s mom though she has no idea.

Agatha with Maggie the squirrel, when she wants from paper. Fortunately cow. Agatha’s Mom is troubled in current situation. Agatha goes back.

Das sind die Beschreibungen für Episode eins und zwei der polnischen Webserie Poradnik Usmiechu auf dem Youtube-Kanal KrainaGrzybowTV. Dahinter steckt der polnische Künstler Wiktor Stribog, dem mit Smile Guide, so die Übersetzung und der internationale Titel, nicht nur gelang, sein Publikum nachhaltig zu verstören, sondern auch ein Internetphänomen zu kreieren, das weit über die Landesgrenzen bekannt wurde und noch heute zu vielfältigen Interpretationen einlädt.

Angelehnt ist die sechsteilige (wobei zur dritten Episode nur ein Teaser existiert) Serie an alte Kindersendungen aus den 80ern und 90ern und imitiert zudem den Look einer abgenutzten VHS. Durch die Sendung führt eine junge Frau namens Agatha (Diana Klimowicz), die dem jungen Publikum zum Beispiel erklärt, wie man erfolgreich apfel. Begleitet wird sie dabei von dem Eichhörnchen Maggie, das nach allem ausschaut, nur nicht nach einem Eichhörnchen und möglicherweise auch der/ein Teufel ist. Wie es der Slogan der Serie so schön beschreibt, nehmen sie uns mit auf eine wundervolle Reise und Sorgen.

Wie schon aus den Episodenbeschreibungen und dem Slogan ersichtlich ist, geht es Stribog in erster Linie darum zu irritieren und mit Erwartungen zu brechen, sodass auch einfach aus einem Nomen ein Verb wird. Was Smile Guide jedoch von vielen anderen verstörenden Youtube-Produktionen unterscheidet, ist die Mythologie rund um ein ominöses Pilzland, die Stribog skizziert. Dadurch wirken die Episoden wesentlich weniger arbiträr und alles scheint ein Teil eines großen Ganzen zu sein, das nur darauf wartet entschlüsselt zu werden. Darüber hinaus lebt die Serie davon, mit Agatha und Maggie zwei überaus sympathische Figuren geschaffen zu haben, deren Abenteuer ich gerne verfolge.

Für alle Freund*innen dunkler Youtube-Abgründe auf jeden Fall eine große Empfehlung – aber im Grunde allein schon wegen des nostalgischen und hypnotischen Scores einen Klick wert.


Das waren auch schon die Empfehlungen von unserer Seite. Wir hoffen es ist etwas für euch dabei!

Seid gegrüßt, Ich habe unzählige Namen und erscheine in vielen Gestalten. Hier kennt man mich als Dark Forest und ich bin euer Gastgeber. Ich führe euch durch die verwinkelten Bauten, düsteren Wälder und verfallenen Ruinen. Immer mir nach!

...und was meinst du?