Jessy – Die Treppe in den Tod (1974) – Review
Black Christmas ist einer der frühesten Slasher-Filme, hatte maßgeblichen Einfluss auf das Genre und macht doch vieles ganz anders als Carpenter oder Craven nach ihm. Beachtung fand er erst einige Jahre später, im Zuge des Erfolgs von Halloween und Freitag, der 13, die nach wie vor weitaus bekannter sind – und das vollkommen zu Unrecht.
Originaltitel: |
Black Christmas Kanada 98 Minuten Bob Clark Roy Moore Olivia Hussey, Keir Dullea, Margot Kidder, John Saxon u.a. |
Hintergründe & Inhalt
Ein Film, viele Titel: Black Christmas, der ursprünglich Stop Me heißen sollte, wurde von US-Distributor Warner Bros. anfangs unter Silent Night, Evil Night vermarktet. Dadurch sollte vermieden werden, dass die Zuschauer Black Christmas für einen Blaxploitation-Film halten. Für eine TV-Ausstrahlung wurde dieser Titel nochmals zu Stranger in the House geändert, bis man schließlich zum Original zurückkehrte. Der deutsche Titel, Jessy – Die Treppe in den Tod, kann dabei wie gewohnt als kreativer Tiefpunkt glänzen.
Die Weihnachtsfeiertage stehen kurz bevor und im Haus der Studentinnenverbindung von Jessica (Olivia Hussey, Psycho IV – The Beginning), Barb (Margot Kidder, Halloween II) und ihren Freundinnen herrscht ausgelassene Stimmung. Seit einiger Zeit erhalten die Frauen zwar obszöne Anrufe von einem Unbekannten, denken sich jedoch nicht viel dabei. Ohnehin hat Jessica eigene Sorgen, denn eine ungewollte Schwangerschaft führt zum Streit mit ihrem temperamentvollen Freund Peter (Keir Dullea, 2001: Odyssee im Weltraum), der eine Abtreibung keinesfalls zulassen und sie stattdessen heiraten will. Viel Zeit zum Überlegen bleibt ihr nicht, denn die Anrufe werden immer bedrohlicher und als eine der Freundinnen spurlos verschwindet, schalten die Frauen die Polizei ein. Die bleibt solange untätig, bis die Leiche eines kleinen Mädchens aufgefunden wird. Als die Ermittler endlich eine Fangschaltung installieren, ist es schon fast zu spät, denn der Killer ist längst im Haus …
Black Christmas und der Slasher-Film
Viele Motive und Archetypen, die Regisseur Bob Clark in Black Christmas aufgegriffen hat, gehören inzwischen längst zum festen Repertoire des Slasher-Genres und prägten nachfolgende Filmemacher. Was heute als Genremoment gilt – wurde mitunter damals geprägt. Dazu gehören der Grundplot eines psychopathischen Killers mit unbekannter Identität, der reihenweise junge Mädchen tötet, ebenso, wie der gezielte Einsatz von Stilmitteln wie dem Point-of-View-Shot aus der Perspektive des Täters. Auch die Wahl eines konkreten Feiertags, um den die Handlung sich rankt, sowie vor allem die Figur des Final Girls gehören zu den Standards, die Black Christmas 1974 setzte. Dabei war vor allem die Kombination all dieser Elemente in einem Film ausschlaggebend für die Wirkmacht, die bis heute von Bob Clarks bitterböser Weihnachtsgeschichte ausgeht.
Der Schrecken des Verborgenen
Black Christmas greift ein Grundelement des Horrorfilms auf, nämlich den Blick, und spielt damit. Die Frage ist dabei nicht, was man sieht, sondern was – und wen – man gerade nicht sieht. Der Killer beobachtet die Frauen, schleicht im Haus umher, doch keine von ihnen bemerkt die drohende Gefahr. Und so unsichtbar der Killer für sie bleibt, so wenig sieht auch der Zuschauer von ihm. Eine Hand, ein Auge oder ein Schatten, mehr wird nicht enthüllt: Er bleibt ein Phantom. Die Telefonanrufe verstärken diesen Eindruck eher noch, denn während seine Stimme zwischen der eines hilflosen Kindes oder eines erwachsenen Wüstlings, Tierlauten und schrillem Kreischen wechselt, verliert sich die konkrete Person dahinter mehr und mehr. Auch psychologisch ist der Killer nicht fassbar, denn die wenigen Hinweise auf eine düstere Familiengeschichte, die sich ergeben, führen zu keinem Profil, ergo zu keinem Motiv.
Auch insgesamt setzt Black Christmas verstärkt auf psychologischen Horror und weniger auf die blutrünstige Inszenierung der Morde. Es verwundert also kaum, wenn Bob Clark zugibt, dass er sich vor allem von Hitchcocks Psycho hat inspirieren lassen. Dabei beweist er ein Gespür für nostalgische Genremomente – etwa die Szenen auf dem staubigen, spinnwebenverhangenen Dachboden voller Antiquitäten und altem Kinderspielzeug – ebenso wie für klaustrophobischen Nervenkitzel, denn der Killer ist praktisch von der ersten Sekunde an im Haus. Wohldosiert verteilt Clark die Höhepunkte über die gesamte Laufzeit, führt den Zuschauer mit falschen Fährten und aufkeimenden Verdachtsmomenten in die Irre und hält die Spannung bis zum Schluss. Statt alles preiszugeben, setzt Black Christmas konsequent auf eine Strategie der Verhüllung – und das kann durchaus bösartig sein, wie man am Beispiel von Clare, dem ersten Opfer, erkennt, deren Leiche bis zum Schluss des Films unbemerkt auf dem Dachboden sitzt, in einem Schaukelstuhl am Fenster. Schrecklicher als alles, was man sieht, ist in Black Christmas gerade das, was verborgen bleibt.
Stilmittel des Schreckens
Geradezu mustergültig zeigt Black Christmas, wie man die Atmosphäre durch einen passenden Score unterstützen kann, denn hier gehen Bild und Ton eine zuweilen schreckliche Allianz ein. Der Mord an einer der Studentinnen wirkt umso grausamer, als er von einem glockenhellen Kinderchor übertönt wird, der zur gleichen Zeit vor der Pforte des Verbindungshauses steht. Umgekehrt ist die Atmosphäre irgendwann derart angespannt, dass schon ein gewöhnliches Telefonklingeln in der Stille bedrohlich wirkt und das entfernte Miauen einer Katze genügt, dass sich die Nackenhaare aufstellen. Auch das Ratespiel um die Identität des Killers heizt der Score zusätzlich an, wenn etwa die Morde mit den schaurigen Klavierkompositionen von Carl Zittrer (Prom Night – Die Nacht des Schlächters) unterlegt werden, just als der angehende Konzertpianist Peter ins Fadenkreuz der Ermittler gerät.
Neben der musikalischen Untermalung, leistet Black Christmas auch dramaturgisch einiges, um die gemeine Grundstimmung aufrechtzuerhalten. Das gelingt Clark vor allem durch harte Kontraste, indem der bereits erwähnte Kinderchor beispielsweise auch mit einem der äußerst expliziten Anrufe gegengeschnitten wird. Unschuld und Schuld kollidieren miteinander. Dieses Stilmittel zeigt sich auch im Grundsetting, denn die Weihnachtszeit ist verbunden mit Liebe, Harmonie und Besinnlichkeit – und macht es dem Film darum besonders einfach, diese heile Atmosphäre zu brechen. Spannend sind in dem Kontext vor allem die komischen Elemente des Films, denn Black Christmas lädt durchaus auch zum Lachen ein. Die Hausmutter Mrs. Mac etwa, eine Schnapsdrossel mit Janis-Joplin-Stimme und lockerem Mundwerk, hat selbst im Spülkasten der Toilette einen alkoholischen Notfalltropfen versteckt. Solche Szenen bringen den Zuschauer näher an die Charaktere, die überwiegend glaubwürdig gestaltet sind. Und genau das macht der Film sich zunutze, wenn er kurz darauf Mrs. Mac an einem Haken von der Decke baumeln lässt.
Fazit
Black Christmas ist eine stimmige Horrorkomposition mit zeitlosem Charme. Obwohl einige der Motive inzwischen nicht mehr ganz so innovativ sind, wie noch 1974, wirkt nichts davon wie ein Klischee. Mit psychologischem Geschick reizt Clark die Nerven seiner Zuschauer und setzt mit Musik, Kameraführung und Schnitt großartige Akzente. Auch mehr als vierzig Jahre nach seinem Erscheinen, garantiert Black Christmas besinnliche Unterhaltung auf hohem Niveau.
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Gewalt | |
Ekel | |
Story |
Bildquelle: Jessy – Die Treppe in den Tod © Capelight Pictures