The Neon Demon
Kritik

The Neon Demon (2016) – Review

oder: Narziss als Horrorfabel.

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:

The Neon Demon
Frankreich, Dänemark, USA
118 min
Nicolas Winding Refn
Mary Laws, Polly Stenham, NRW

Inhalt

The Neon Demon handelt von der 16-jährigen Jesse, die aus einem kleinen Ort in Georgia in die Metropole Los Angeles zieht, um dort als Model durchzustarten. In der von Schönheit besessenen Modebranche wird allerdings ohne Rücksicht auf Verluste um den Platz an der Sonne gekämpft, was auch die unbedarfte Jesse sehr schnell lernt.

 

Hintergründe

Nicolas Winding Refn
Nicolas Winding Refn

In der 20-jährigen Karriere des Regisseurs Nicolas Winding Refn wandelte dieser immer schon zwischen Arthaus und Genrefilm und schuf dabei Filme wie Pusher, Bronson, Valhalla Rising, Driver und Only God Forgives, die beim Publikum oft gemischte Gefühle provozierten.

Dabei ist ihm, wie er oft betont, seine künstlerische Freiheit sehr wichtig, wodurch seine Budgets tendenziell auch immer eher klein sind. Entsprechend sagte er einmal in einem Interview:

Ich liebe meine Freiheit. Kein Geld der Welt könnte die Befriedigung etwas genau so zu tun, wie man will ausgleichen.

 

Kritik

Refns ausgelebte künstlerische Freiheit bringt uns wieder einmal ganz, ganz viel Schauwerte. Optisch ist The Neon Demon über jeden Zweifel erhaben.

Was Refn und Kamerafrau Natasha Braier hier an Einstellungen auf die Leinwand zaubern, ist oftmals einfach nur atemberaubend. Ich konnte mich an den vielfach an geometrischen Figuren orientierten und detailverliebten Bildern nicht satt sehen.

Wobei sich diese hochstilisierte Ästhetik hin und wieder selbst als künstlich entlarvt und die glattpolierte Oberfläche abfällt und den Blick frei gibt auf… ja auf was eigentlich? Denn hinter der Maske wartet nur wieder die Maske wartet nur wieder die nächste Maske. In der Welt von The Neon Demon gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Schein und Sein. Aber dazu später mehr.

Elle Fanning
Elle Fanning

Denn bevor ich mich hier den Deutungsspielereien hingebe, möchte ich noch zwei Punkte hervorheben. Einerseits der Soundtrack von Haus- und Hofkomponist Cliff Martinez, welcher wieder einmal einen unfassbar guten Job macht. Die satten Elektro-Klänge passen perfekt zur Atmosphäre, mal unterstreichen sie subtil die Bildsprache und dann geben sie wieder brachial, treibend den Takt vor.
Andererseits den hervorragend ausgewählten Cast. Elle Fanning spielt die Hauptrolle beeindruckend nuanciert, aber vor allem auch die weiteren drei Hauptdarstellerinnen (Jenna Malone, Bella Heathcote und Abbey Lee), sowie die Nebendarsteller holen unglaublich viel aus ihren Rollen heraus, vor allem wenn man bedenkt, dass das Drehbuch nicht besonders viel Interesse an ihnen zu haben scheint.

Hier komme ich dann auch zu einem Punkte, der Refn recht oft angekreidet wird: fehlende Substanz.
Und ja ich kann die negativen Stimmen durchaus nachvollziehen. Die Story ist nichts besonderes, der Film hat nichts neues über die Modebranche zu erzählen, die Charaktere sind kaum mehr als Stereotype und Stichwortgeber und viele schockierende Szenen wirken losgelöst von der Geschichte und selbstzweckhaft.

Ist The Neon Demon nun also doch nur Hochglanz-Trash?

Natürlich, wer den Film als die 100ste unnötige Satire auf die Modebranche abtun will, wird wohl unweigerlich zu dem Schluss kommen. Aber ich glaube damit tut man dem Film unrecht.

Narziss, Ölgemälde von Caravaggio
Narziss, Ölgemälde von Caravaggio

Das zentrale Thema des Films ist in meinen Augen nicht die Ach-so-böse-Mode-Welt, sondern der Narzissmus, d.h. die Selbstverliebtheit. Ich empfehle an dieser Stelle sich den Mythos um Narziss bzw. Narkissos durchzulesen. Ich stelle mal die kühne Behauptung auf: Nicolas Winding Refn hat das auch gemacht.

In der Schlüsselszene des Films als Jesse eine Modenschau beenden soll, wird in einem atemberaubenden audiovisuellen Rausch Jesses Selbsterkenntnis visualisiert in der sie sich schlussendlich selbst küsst. Wer meinen obigen Lesetipp befolgt hat (oder dies jetzt schnell noch nachholt), weiß: dies hat nichts Gutes zu bedeuten.

Fortan gibt es für Jesse nichts anderes mehr als ihre Schönheit, sie ist der einzige Maßstab der Welt. Ein stereotyper Modedesigner fasst dies mit den Worten zusammen „Schönheit ist nicht alles. Es ist das Einzige.“ Jesse selbst steht nun gottähnlich über allem, was in meiner absoluten Lieblingseinstellung visualisiert wird. Wo wir es gerade schon von griechischer Mythologie hatten, könnte man hier auch noch an Ikarus denken.

Diese moderne Interpretation von Narkissos finde ich an sich schon recht spannend, aber wirklich hochinteressant wird es, wenn man sich überlegt wie die Sympathien verteilt sind.

Selbstverliebt, eitel, egoistisch, egozentrisch – nicht unbedingt Begriffe, die im Normalfall positiv besetzt sind. In The Neon Demon trifft jedoch all dies auf unsere Protagonistin zu und trotzdem ist sie jene Person mit der wir sympathisieren, mit der wir mitfiebern.

Refn sagte in einem Interview zum Film, dass er es bewundere wie ungezwungen die heutige „Selfie-Generation“ mit Schönheit und Selbstverliebtheit umgehe. Ob dem wirklich so ist, sei dahingestellt. Auf jeden Fall gilt: pics or it didn’t happen. Die Selbstinszenierung ist schlussendlich alles was zählt, denn um den Kreis wieder zu schließen: Schein und Sein sind ein und dasselbe.

Dies ist jedoch nur eine von vielen Interpretationsebenen, die sich auftun und ich habe noch mit keinem Wort Wildkatzen, Nekrophilie und Kannibalismus erwähnt. Klingt interessant? Ist es durchaus. Unterm Strich bleibt für mich ein optisch berauschendes Filmerlebnis, das zum Mitdenken anregt und zumindest bei mir noch ordentlich nachgewirkt hat. Sicher kein Film für die breite Masse, aber wer sich darauf einlassen kann, wird belohnt.

 

Bewertung

Spannung Rating: 3 von 5
Atmosphäre Rating: 5 von 5
Splatter Rating: 1 von 5
Ekel Rating: 1 von 5
Story Rating: 3 von 5

Bildquelle: The Neon Demon © Koch Media

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Horrorfilme sind für mich ein Tor zu den unheimlichen, verstaubten Dachböden und finsteren, schmutzigen Kellern der menschlichen Seele. Hier trifft man alles von der Gesellschaft abgeschobene, unerwünschte, geächtete, begrabene: Tod, Schmerz, Angst, Verlust, Gewalt, Fetische, Obsession. Es ist eine Entdeckungsreise auf die "Schutthalde der Zivilisation". Auf diese Reise würde ich euch gerne mitnehmen.

...und was meinst du?