Kimchi & Kadaver
Abgründe

Extravagant und angriffslustig: Der Fluch der Kayako Saeki – Kimchi & Kadaver

Heute dreht sich bei Kimchi & Kadaver nicht nur alles um das Horror-Highlight Ju-on: The Grudge und dessen rachsüchtigen Geist Kayako Saeki, sondern auch um meine ersten Erfahrungen mit dem japanischen Horrorfilm.

Die späten 1990er- und frühen 2000er-Jahre waren eine großartige Zeit für Fans des japanischen Horrorkinos. In den 1980er-Jahren kam es zu einer deutlichen Abkehr von blutigen Filmen im Slasher-Stil hin zum psychologischen, atmosphärischen, zumeist auch übernatürlichem Horror. Nori Tsurutas Scary-True-Stories-Reihe leitete diese thematische Verschiebung ein, die heute allgemeinhin als „J-Horror“ bekannt ist und seit Anfang der 2000er-Jahre auch in unseren Gefilden fürs (Heim-)Kino verfügbar. Maßgeblich hierfür war das Horror-Highlight Ring – Das Original, das 1998 erschien. Dieser verfolgte einen weitaus zurückhaltenderen Umgang mit dem Genre und überließ einen Großteil des Schreckens der Vorstellungskraft des Publikums. Der Film löste ein weltweites Interesse am asiatischen Kino im Allgemeinen und am japanischen Horrorkino im Besonderen aus.

Rie Inō als Sadako Yamamura in Ring - Das Original (1998)
Rie Inō als Sadako Yamamura in Ring – Das Original (1998)

Meine erste Begegnung mit dem japanischen Horrorfilm war Halloween 2003: Ein paar Freund*innen und ich hatten den Tag zusammen verbracht und waren durch unser kleines, aber feines thüringisches Heimatdorf gezogen, um Süßigkeiten abzugreifen. Leider weiß ich heute nicht mehr, welches Kostüm ich getragen habe, allerdings kommt es mir wie gestern vor, dass wir in der Schule noch zusammenstanden und über das Fernsehprogramm des 31. Oktobers sprachen. Damals war die Auswahl nicht besonders groß, aber ich durfte mir mit der Erlaubnis meiner Eltern ein paar Filme in der Mediathek ausleihen. Nach reiflicher Überlegung entschieden wir uns für Ju-on: The Grudge von Takashi Shimizu (Marebito). Long story short: wir blieben nicht einmal die Hälfte der Laufzeit sitzen, bevor wir ein klein wenig ängstlich, doch lieber auf Detektiv Conan umstiegen. Allerdings hatte ich den Film dann ein paar Monate später bei Tageslicht noch einmal geschaut und kann mit gutem Gewissen sagen, dass Ju-on: The Grudge wie kein anderer Film meine Liebe zum ostasiatischen Kino beeinflusst hat – abgesehen von Bittersweet Life, den ich allerdings erst ein oder zwei Jahre später zum ersten Mal sah. Aus Erzählungen anderer Filmliebhaber*innen weiß ich mittlerweile, dass neben Ring – Das Original oder Dark Water auch Ju-on: The Grudge zu den ersten Berührungspunkten mit J-Horror gehören. Und immer, wenn mich jemand fragt, welche Filme sich am besten für den Einstieg in das ostasiatische oder japanische Kino eignen, empfehle ich Ju-on: The Grudge und betone zusätzlich seine Außergewöhnlichkeit

Megumi Okina als Rika Nishina
Megumi Okina als Rika Nishina in Ju-on: The Grudge (2002)

Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird

Eine Liste der bisher veröffentlichungen Filme, die das Franchise umfassen:

Japanische Filme

Kurzfilme

Katasumi (Takashi Shimizu, 1998)

4444444444 (Takashi Shimizu, 1998)

Originalfilme

Juon: The Curse (Takashi Shimizu, 2000)

Ju-on – The Curse 2 (Takashi Shimizu, 2000)

Ju-on: The Grudge (Takashi Shimizu, 2002)

Ju-On: The Grudge 2 (Takashi Shimizu, 2003)

Ju-On: Black Ghost (Mari Asato, 2009)

Ju-On: White Ghost (Ryuta Miyake, 2009)

Reboots

Ju-On: The Beginning of the End (Masayuki Ochiai, 2014)

Ju-On: The Final Curse (Masayuki Ochiai, 2015)

Crossover

Sadako vs. Kayako (Kōji Shiraishi, 2016)

US-amerikanische Filme

The Grudge (Takashi Shimizu, 2004)

The Grudge 2 (Takashi Shimizu, 2006)

The Grudge 3 (Toby Wilkins, 2009)

The Grudge (Nicolas Pesce, 2020)

Ähnlich wie Ring – Das Original war und ist auch Ju-on: The Grudge eine wichtige Inspirationsquelle für alle nachfolgenden Filme des japanischen Geisterhorror, die unterschiedliche Elemente, visuelle Aspekte und Motive übernommen haben. Insbesondere die Figur der rachsüchtigen Onryō Kayako Saeki ist – ohne zu übertreiben – neben ihrer „Schwester“ Sadako Yamamura zu einer Ikone des J-Horrors avanciert. Diejenigen, die die Filme gesehen haben, werden niemals das gutturale Röcheln und Atmen vergessen.

Szene aus Ju-on: The Grudge (2002)

Aber die Geschichte von Ju-on und Kayako beginnt weitaus früher als das eigentliche Erscheinungsdatum der ersten Verfilmung. Ihre Ursprünge lassen sich bis in das japanische Mittelalter der Edo-Zeit zurückverfolgen. Es ist nicht unüblich, Elemente alter Volksmärchen, Legenden und Erzählungen in Filme und Fernsehserien einzubauen, insbesondere wenn es sich um spirituelle Themen handelt. Dazu gehören sowohl verfluchte Gebrauchsgegenstände und Häuser als auch die permanente Heimsuchung durch einen rachsüchtigen, zumeist weiblichen Geist. Dieser existierte bereits im Kabuki- sowie Nō-Theater, die Kriegs- und Liebesdramen auch japanische Gottheiten und andere übernatürliche Kreaturen präsentierten. Dazu gehören neben den Yōkai vor allem die Yūrei. Das sind einfach gesagt, japanische Gespenster, denen wegen bestimmter Ereignisse ein friedliches Leben nach dem Tod verwehrt bleibt. Klassisch sind Yūrei Frauen mit langen schwarzen Haaren, blasser Haut und weißem Kimono, ferner sind sie auf traditionellen Holzschnitten und Gemälden ohne Beine dargestellt. Passend also, dass auch Kayako ebenfalls nicht laufen kann, sondern auf ihren Händen gestützt auf ihre Opfer zu krabbelt. Innerhalb der Yūrei gehört Kayako – wie auch beispielsweise Sadako Yamamura oder Mitsuko Kawai – zu den bösartigen Onryō. Dabei handelt es sich um die Seelen der Verstorbenen, die einen besonders qualvollen oder gewaltsamen Tod starben. Da im Augenblick ihres Todes das Gefühl der Ungerechtigkeit und der daraus resultierende Drang nach Rache so stark ist, befinden sie sich in einem aussichtlosen Teufelskreis von Wut und Ruhelosigkeit. Allerdings sprechen die Texte des Shintō von aufwendigen Zeremonien und der Errichtung eines Schreins, um einen Onryō zu besänftigen. Diese verwandeln sich in sogenannte Goryō, die nun eine abgestufte Form des Onryō darstellen und nach ihrer Läuterung in die Gruppe der Kami erhoben werden. Übrigens geht Ju-on hier andere Wege, denn im gesamten Franchise gibt es keinen Film, in dem der Fluch jemals gebrochen wird, was den Horror noch größer macht. Es gibt keinen Ausweg, keine Lösung und kein magisches Ritual, dass Kayako aufhalten könnte. Niemand kann ihr entkommen. Kayako und ihr Sohn Toshio bleiben das, was sie sind, grauenvolle Visionen eines Lebens nach dem Tod, das keinen Frieden bringt. Dieser Umstand markiert auch einen der größten Unterschiede zum ewigen Konkurrenten der Ringu-Filmreihe, in der wenigstens noch versucht wird, den von Sadako auferlegten Fluch aufzuhalten.

Szene aus Ju-on: The Grudge (2002)

Neue Wege & alte Pfade

Aber nicht nur seine weibliche Antagonistin macht Ju-on: The Grudge zu einem Must-see für Horrorfans, auch die japanische Filmästhetik bietet den Zuschauer*innen ein famoses Filmerlebnis. Zugegeben genau dieser Stil des J-Horror ist ein extremer Einschnitt in die herkömmlichen Sehgewohnheiten eines westlichen Publikums. Die von den japanischen Filmschaffenden benutzte Motivik besitzt einen vollkommen anderen Hintergrund als den der US-amerikanischen oder europäischen Produktionen.

Szene aus Kwaidan (1965)

Denn nicht nur die traditionellen Theaterformen sind wichtige Bezugspunkte für den japanischen Horrorfilm, auch das moderne Tanztheater Butoh, das nach dem Zweiten Weltkrieg entstand, war Inspiration. Dort gib es witzigerweise eine spezielle Darbietung, den Tanz der Dunkelheit, der u. a. an die Geisterdarstellung des J-Horrors erinnert, da der Körper als Symbol einer leeren Hülle weiß gefärbt wird. Zwei wegweisende Horrorfilme aus den 1960er-Jahren, die den modernen Film und das klassisches Theater verbinden, sind sicherlich Kaneto Shindōs Onibaba – Die Töterinnen sowie der Episodenfilm Kwaidan von Masaki Kobayashi. Ein weiterer wichtiger Impulsgeber für Takashi Shimizu, dem Regisseur mehrere Ju-on-Filme, war Kiyoshi Kurosawa mit seinem 1989 erschienenen Sweet Home, der den weiblichen Rachegeist salonfähig machte, und man merkt deutlich den Einfluss Kurosawas auf Shimizus Inszenierungen, sowohl inhaltlich auch als handwerklich. Der Auftakt für Ju-on: The Grudge waren neben den Kurzfilmen 4444444444 und Katasumi, vor allem die Veröffentlichungen Juon: The Curse und Ju-on – The Curse 2 – beide 2000 – für das Fernsehen und den Heimkinomarkt. Zwei Jahre später zog dann auch endlich Ju-on: The Grudge auch außerhalb Japans in die Kinos ein und wurde zu einem großen Erfolg. Damals wie heute musste sich der Film allerdings den Vergleich mit Ring – Das Original gefallen lassen, auch wenn dieser 2002 bereits eine Art Kultfilm darstellte und mehrere Fortsetzungen nach sich gezogen hatte. Das US-amerikanische Remake The Ring von Gore Verbinski (A Cure for Wellness) wurde übrigens zeitgleich mit Ju-on: The Grudge veröffentlicht und beide konnten an den Kinokassen punkten. Beide Filme haben, mal abgesehen von der Optik, nicht viel gemeinsam und Ju-on: The Grudge unterscheidet sich doch deutlich von der Geschichte um Sadako und der verfluchten Videokassette. Einer der wichtigsten Unterschiede und zugleich die große stärker von Ju-on: The Grudge liegt in der Erzählweise – während Ring – Das Original mit einer stringenten Story aufwartet, sind die Filme der Ju-on-Filmreihe anachronistisch aufgebaut und erzählen keine fortlaufende Geschichte. Vielmehr thematisieren sie episodenhaft die unterschiedlichen Abschnitte der Geschichte und das auch nicht chronologisch. Außerdem ist Ju-on: The Grudge kein Remake oder Reboot der zurückliegenden TV-Filme, sondern die Geschichte wird mit der gleichen Methode weitererzählt. Neue Bewohner*innen ziehen in das alte Haus der Familie Saeki und diese werden sowohl von Kayako als von Toshio heimgesucht und schließlich getötet.

Szene aus Juon: The Curse (2000)

Fazit

Trotz 20 Jahren auf dem Buckel weiß Ju-on: The Grudge noch immer zu überzeugen und vielleicht sogar ein bisschen mehr zu ängstigen, als mir lieb ist. Das verdankt er insbesondere seiner gruseligen Antagonistin, der etwas antiquiert anmutenden Ästhetik und der außergewöhnlichen Erzählweise. Deswegen auch ein kleiner Tipp von mir: Schaut euch so viele Filme aus dem Franchise wie möglich an, denn wenn in einem Film ein Handlungsstrang offen bleibt, wird dieser in einem der anderen Filme geschlossen. Der nicht-lineare Aufbau der Filme ermöglicht es Shimizu und den anderen Regisseur*innen langsam das Gesamtbild zu vervollständigen. Das erfordert vom Publikum selbstverständlich auch ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit und sogar etwas Vorstellungskraft, da nicht jedes Geheimnis sofort geklärt wird. Dazu gehören auch die Filme von Ryuta Miyake, Mari Asato, Masayuki Ochiai und Kōji Shiraishi, die durchaus solide, stimmungsvolle Filmerlebnisse abliefern.

Szene aus Sadako vs. Kayako (2016)

Da die Immobilienpreise auch in Tokio weiter ansteigen, wird das Saeki-Haus nicht lange unverkauft bleiben. Das Franchise hat immer noch ein enormes Potenzial und es ist sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis Kayako abermals die Kinosäle oder das vertraute Wohnzimmer heimsuchen wird. Ob als Remake, Reboot, Sequel oder Prequel sei einmal dahingestellt, alles ist möglich. Aber bis dahin heißt es für die rachsüchtigen Onryō zurück auf den Dachboden.

Horrorfilme… sind für mich eine Möglichkeit, Angstsituationen zu erleben, ohne die Kontrolle zu verlieren. Es ist eine positive Art der Angst, da sich ein Glücksgefühl einstellt, sobald man die Situation durchgestanden hat. Es ist nicht real – könnte es aber sein. Das ist furtchteinflößend und gleichzeitig faszinierend.

...und was meinst du?