Abgründe

Der Hammer ist gefallen: Der koreanische Serienkiller Yoo Young-chul im Rampenlicht – Kimchi & Kadaver

Heute dreht sich in meiner Kolumne alles um einen etwas anderen Hallyu-Star, dessen Verbrechen längst ihren Weg in die südkoreanische Popkultur gefunden haben: Serienmörder Yoo Young-chul.

K-Pop, Kimchi, Taekwondo – Südkoreas kulturelle Exporte sind vielseitig und inzwischen überall auf der Welt bekannt. Insbesondere die schillernde Metropole Seoul verkörpert wie keine andere Stadt das Lebensgefühl des Landes. Aber die Hauptstadt am Hangang hat auch ihre Schattenseiten. Neben Prostitution, Korruption und Gewaltverbrechen wird Seoul immer wieder Schauplatz grausamer Mordserien, die in den 2000er-Jahren ihren bisherigen Höhepunkt fanden.

Insgesamt acht Serienmörder trieben Anfang der 2000er-Jahre in Südkorea ihr Unwesen. Im internationalen Vergleich mag das eher zum Durchschnitt gehören, allerdings kam es in dem ostasiatischen Land erst seit den 1990er-Jahren vermehrt zu Morden ohne eindeutiges Tatmotiv. Über die Ursachen lässt sich nur spekulieren, aber Kriminolog*innen gehen davon aus, dass es etwas mit den großen Veränderungen zu tun hatte, die auf der Halbinsel innerhalb eines kurzen Zeitraums stattfanden. Viele Bürger*innen verfügten nach einer schweren Wirtschaftskrise in den 1990er-Jahren über kein funktionierendes Auffangnetz und rutschten schnell in die Arbeits- und Obdachlosigkeit. Schnell kam es zu Ausgrenzung und Isolation, die wiederum in Apathie gegenüber Gewalttätigkeit mündeten.

CCTV vom Tatort. Bildquelle: Der Regenmantel-Killer: Mörderjagd in Korea @ Netflix

Prototyp eines Serienmörders
Eine von diesen Personen war der bereits kriminell auffällige Yoo Young-chul, der im Alter von 33 Jahren seinen ersten Mord beging. Und es sollte nicht der Letzte sein. Aber niemand kommt als Serienmörder auf die Welt. Man könnte Yoo eventuell eine narzisstische oder dissoziale Persönlichkeitsstörung unterstellen, aber theoretisch können wir nur spekulieren, in welche „Kategorie“ Yoo eingeordnet gehört. Aber es ist bekannt, dass er in gewalttätigen Familienverhältnissen aufwuchs.

Oder, um es mit den Worten Kwon Il-young, dem ersten Fallanalytiker des Landes, zu formulieren: „Jeder reagiert in jeder Situation anders. Ein Monster wird geboren, wenn die genetischen Faktoren einer Person auf eine schlechte Umgebung treffen. […] Serienmörder haben eine verzerrte Selbstachtung und ein Gefühl der Überlegenheit, wenn sie Menschen das Leben nehmen.“

Nach mehreren Haftstrafen, der Scheidung seiner Frau und einer unerwiderte Liebe schien er an einem Wendepunkt angelangt. Zunächst hatte er geplant, seine Frau und seinen Sohn zu töten, entschied sich aber dann doch dazu, andere Personen als Surrogat umzubringen. Innerhalb weniger Monate zwischen 2003 und 2004 tötete er mindestens 20 Menschen. Nach seiner ersten Mordserie, die insbesondere wohlhabende Personen betraf, in dessen Häuser er einbrach und sie ermordete, folgten nach einer kurzen Pause schließlich seine Morde an Prostituierten im Seouler Bezirk Mapo-gu. Brutal ermordete er seine Opfer, indem er ihnen mit einem selbstgebauten Hammer den Schädel einschlug. Bei den Prostituierten ging er ähnlich vor, zerstückelte und verstümmelte jedoch deren Körper, die er in gereiften Kimchi lagerte und anschließend irgendwo im Nirgendwo verscharrte. Yoo setzte sich sogar gewissenhaft mit Anatomie auseinander und entwarf detaillierte „Schlachtpläne“. Allgemein würde ich Yoo als Prototyp des Serienmörders beschreiben: lernfähig, organisiert, triebhaft, redselig, arrogant. Dazu kommen eine kurze Abkühlphase und unnötige Übertötungen, die man auch beispielsweise bei Ted Bundy oder Richard Ramirez beobachten kann, die er nach eigenen Angaben fleißig studiert hat.

Yoos Apartment in einem Officetel in Nogosan-dong. Bildquelle: Der Regenmantel-Killer: Mörderjagd in Korea @Netflix

Es ist einzig und allein Kommissar Zufall zu verdanken, dass „Korea’s most notorious serial killer“ gefasst werden konnte, denn vor allem das Verschwinden der Frauen aus dem Rotlichtviertel wurde nicht angezeigt – weder von Kolleginnen noch von Bordellbetreibern. Nach der letzten verschwundenen Frau in Hwagok-dong gingen die ermittelnden Beamten noch von einem Entführungsfall aus, in den Yoo verstrickt war, allerdings gestand er von sich aus die Morde. Minutiös berichtete über seine Verbrechen und verheimlichte auch nicht das grausamste Detail.

Eine Schwelle zwischen Leben und Tod – so beschrieb Yoo Young-chul sein Badezimmer, in dem er die Morde begang. Bildquelle: Der Regenmantel-Killer: Mörderjagd in Korea @Netflix

Die Aufklärung endet wo die Sensationslust beginnt

Am 13. Oktober 2004 wurde Yoo Young-chul wegen 20-fachen Mordes zum Tode verurteilt und sitzt bis heute in einem Seouler Gefängnis. Während der Urteilsverkündung sagte Yoo, dass er Mitleid mit seinen Opfern habe, aber Hundert weitere töten würde, sollte man ihn jemals freilassen. Sein Urteil entfachte eine erneute Debatte über die Todesstrafe, da diese in Südkorea de facto gesetzlich noch zulässig ist, aber seit 1997 nicht mehr vollstreckt wurde. Die Zustimmung zur Todesstrafe innerhalb der Bevölkerung hatte nach der Aufdeckung seiner Verbrechen signifikant zugenommen.

Die Presse veröffentlichte – ähnlich wie Yoo selbst –alle Einzelheiten. Yoo gehörte damals zu den Top News. Es gab Sendungen und Zeitungsberichte über Ermittlungen am Tatort, Angehörige der Opfer wurden verfolgt und zu Interviews gedrängt und es gab viele Spekulationen über die Person Yoo Young-chul – einen durchschnittlichen, vertrauenswürdigen Mann, der plötzlich zum Serienmörder wurde. In einem Medieninterview nach seiner Ergreifung sagte er, er hoffe, dass sein Fall Frauen und wohlhabende Personen eine Lehre sein würde.

„Frauen sollten keine Schlampen sein und die Reichen sollten wissen, was sie getan haben.“

Das Erbe des Killers

Solche Morde enden nicht mit der Tat selbst, sondern betreffen Freunde und Familie des Opfers und sogar die Bewohner*innen der Gebiete, in denen sich der Vorfall ereignet hat und im weiteren Sinne sogar die Gesellschaft als Ganzes.

Aber was stimmt in Bezug auf Yoo Young-chul und was ist nur eine urbane Legende? Denn seien wir doch ehrlich, Erzählungen über Serienmörder*innen enthalten neben den bekannten Fakten auch immer ein bisschen fiktionalen Nervenkitzel sowie Spekulationen über die mentale Verfassung der Mörder*innen – egal ob im popkulturellen oder akademischen Bereich.

Crime Scene
Ermittlungen am Tatort. Bildquelle: Der Regenmantel-Killer: Mörderjagd in Korea @Netflix

Eine der bekanntesten dieser Legenden dreht sich darum, ob Yoo Young-chul denn nun Menschenfleisch verspeist hat oder nicht? Yoo gibt an, die Leber einiger seiner Opfer gegessen, was nach alter Folklore Epilepsie heilt und den Geist reinigt, und Hirnflüssigkeit getrunken zu haben, wofür es aber bis heute keine expliziten Beweise gibt.

Damit erinnert der Fall auch an die Mitglieder der Jijon Familie, die Anfang der 1990er-Jahre Körperteile aßen, um ihren Mut zu stärken. Bei Yoo Young-chul ist es hingegen fraglich, ob die Geschichten über den Kannibalismus so stimmen, wie er sie behauptet. Er kann gelogen haben, um eine Legende um sich herum zu schaffen. Das wäre nicht die erste Lüge, denn bei seiner Vernehmung gestand er den Mord an einer jungen Frau in Imun-Dong, die jedoch von Serienmörder Jeong Nam-gyu getötet wurde.

Wie üblich geht von solcherlei Abgründe auch eine gewisse Faszination aus und es dauerte nicht lange bis Yoo seine ersten Fans hatte. So eröffnete beispielsweise eine Woche nach Bekanntgabe des Täters ein Internetcafé mit dem Titel „Coolest Murderer Yoo Young-chul Café“ und der Besitzer des Cafés hoffe „[…] das wird ein cooler Fanclub von Yoo Young-chul“ und wünschte allen Anwesenden eine gute Zeit.

Darüber hinaus forderte er die Besucher*innen des Cafés auf, sich einen guten Namen für Yoo auszudenken, den die Öffentlichkeit, aber insbesondere die Presse verwenden konnte. Allerdings verschwand das Internetcafé so schnell, wie es gekommen war.

Tatort in Sinsa-dong. Bildquelle: Der Regenmantel-Killer: Mörderjagd in Korea @Netflix

Natürlich ist es medial inzwischen ruhiger geworden um den berühmten Serienmörder, allerdings erscheinen immer noch Artikel, Podcasts und Fernsehsendungen, die sich mit seinen Verbrechen auseinandersetzen. Erst im Oktober vorigen Jahres veröffentlichte Netflix die Dokumentation Der Regenmantel-Killer: Mörderjagd in Korea. Wer von euch sich für Serienmörder*innen, Polizeiarbeit oder Fallanalytik interessieren, denen kann ich die Dokumentation nur wärmstens empfehlen. Und für die, die ihre Serienmörder*innen lieber mit ein bisschen mehr Nervenkitzel genießen, sollten dann doch besser zum K-Drama Through the Darkness oder dem Thriller The Chaser von Na Hong-jin greifen. Der Film von 2008 nennt das Kind zwar nicht direkt beim Namen, aber es ist unübersehbar, dass Yoo Young-chul als Inspiration des Regisseurs diente.

Bildquelle: Der Regenmantel-Killer: Mörderjagd in Korea @Netflix

Horrorfilme… sind für mich eine Möglichkeit, Angstsituationen zu erleben, ohne die Kontrolle zu verlieren. Es ist eine positive Art der Angst, da sich ein Glücksgefühl einstellt, sobald man die Situation durchgestanden hat. Es ist nicht real – könnte es aber sein. Das ist furtchteinflößend und gleichzeitig faszinierend.

...und was meinst du?