Kritik

Bad Hair (2020) – Review

Kleider machen Leute oder wie in Bad Hair: Haare machen Leute. Glatt und glänzend ist das neue Ideal und ein Garant für den beruflichen Aufstieg. Doch Vorsicht ist angesagt, wenn ebendiese Haare ein Eigenleben entwickeln und im wahrsten Sinne des Wortes über Leben und Tod entscheiden.

Originaltitel: Bad Hair
Land: USA
Laufzeit: 102 Minuten
Regie: Justin Simien
Drehbuch: Justin Simien
Cast: Elle Lorraine, Vanessa Williams, Lena Waithe, Blair Underwood, Laverne Cox u.a.
VÖ: Ab 25.06.2021 auf Blu-ray und DVD

Inhalt

Nach einem missglückten Haarglättungsversuch in ihrer Kindheit, der ihr eine bleibende Narbe bescherte, lässt Anna (Elle Lorraine, Insecure) niemanden mehr an ihren Kopf und trägt ihren natürlichen Afro. Diese Weigerung sich einer unausgesprochenen Norm glatter Haare zu unterwerfen, prägt ihr Dasein anno 1989: ihre beruflichen Möglichkeiten sind begrenzt, aufgrund von Gentrifizierung droht ihr die Wohnungsräumung und ihr langjähriger Lover und Kollege verlässt sie für eine andere. Zu alledem kommt es zu Einschnitten in ihrem beruflichen Alltag als persönliche Assistentin, als ihre direkte Vorgesetzte Edna beim Musik-Fernsehsender entlassen und durch das ehemalige Model Zora (Vanessa Williams, Desperate Housewives) ersetzt wird: hellere Haut, helle Augen, wallende Haare. Mit der neuen Programmdirektorin erfolgt eine komplette Umgestaltung des Senders und alle bisherigen Positionen müssen sich neu beweisen. Als Anna mit ihren Ideen um Zoras Gunst wirbt, stößt sie auf inhaltliche Zustimmung – und die Aufforderung sich für deren Umsetzung dem neuen Image des Senders anzupassen.Dazu empfiehlt ihr Zora die Top-Friseurin Virgie (Laverne Cox, Orange Is the New Black) für spezielle eingewebte Haare. Nach einigem Ringen mit sich selbst und der Aussicht auf einen großen Karrieresprung überwindet sich Anna zu der langwierigen und äußerst schmerzhaften Prozedur. Kaum erwacht Anna aus ihrem Schmerzdelirium, wird sie mit einer besonderen Pflegelotion und einem Ratschlag hinaus in die Welt entlassen: Lass die Haare nie nass werden! Sie verlässt den Salon und die Welt scheint wie ausgewechselt. Ihre neue Frisur bringt ihr die langersehnte Aufmerksamkeit, Anerkennung im Beruf und auch ihr ehemaliger Liebhaber zeigt frisch erwachtes Interesse. Leider ist ihr Glück nicht von Dauer, denn die Kunst andere um den Finger zu wickeln, kostet ihren Preis und um an diesen zu kommen, scheinen Annas Haare ein blutrünstiges Eigenleben zu entwickeln.

Hintergründe & Kritik

Regisseur Justin Simien (Dear White People) kreiert mit Bad Hair einen satirischen Horrorfilm, der auf genuin schwarzen Erfahrungen aufbaut. Die Erfahrung sich gewissen Schönheitsidealen zu unterwerfen, um sozial aufzusteigen, ist eine universelle, aber wenigen Weißen ist bewusst, wie tief und unausweichlich die gesellschaftlichen Ideale afroamerikanische oder andere dunkel pigmentierte Menschen kulturell prägen. Allein das Vorhandensein eines natürlichen Afros gilt vielerorts noch heute als unhygienisch und unzivilisiert. Und auch Frisuren wie Locs, Cornrows oder Braids werden abwertend betrachtet. Schwarze Menschen standen allein aufgrund ihrer Haare stets im Zwiespalt zwischen der Aufrechterhaltung einer eigenen kulturellen Identität und der Anpassung oder Assimilation in eine auf Weißen Erfolg ausgelegten Welt, die im wahrsten Sinne des Wortes zwischen einer Berufsmöglichkeit oder dem Hungertod stehen konnte. Dies ist so sehr verankert, dass bereits Kinder von ihren Erziehungsberechtigten an die hochaggressiven, oft unbekannten Chemikalien in Entspannungs-, Glättungs- oder Hautaufhellungscremes herangeführt werden. Es erfordert viel Mut oder in diesem Fall traumatische Ereignisse, sich dem gesellschaftlichen Druck zu widersetzen und natürliche Afrofrisuren zu tragen. Es ist in den letzten Jahren etwas besser geworden, aber nach wie vor sind vor allem im Showbiz auf allen Ebenen hauptsächlich glatte oder nur leichter gelockte Menschen zu sehen und ein mit Stolz getragener natürlicher Afro eine Schlagzeile wert.

Bad Hair setzt an dieser Erfahrung an. Bereits in den ersten Szenen sehen wir eine junge Anna, deren etwas hellere Cousine mit geglätteten Haaren versucht, Annas Haare zu relaxen, und hören sie davon schwärmen, dass sie und Anna sich dann endlich ähnlicher sehen würden und vielleicht sogar als Schwestern durchgingen. Glatte(re) Haare scheinen der Weg zu Annas Zugehörigkeit. Doch wie wir schnell erfahren, ist mit solchen Chemikalien nicht zu spaßen. Etwas später sieht sich eine erwachsene Anna mit einer Jobabsage konfrontiert, die mit ihrem „urbanen“ Aussehen begründet wird. Wir sehen die Menschen um Anna herum, speziell den aktuellen Superstar Sandra (Kelly Rowland), die neben ihrem Gesangstalent insbesondere mit ihrem wallenden Haar die gesamte Musikszene zu betören scheint. Glattes und welliges Haar steht in Annas Welt für sozialen Aufstieg und Anerkennung und genau dies erfährt sie auch, sobald sie sich auf die Prozedur einlässt. Und hier zeigt sich Bad Hair von seiner real-gruseligen Seite, denn der Prozess des Einnähens wird nur wenig überspitzt dargestellt. Dabei wirken die Torturen diverser Schönheitsprozedere besonders grausam, da diese nicht unbedingt selbstbestimmt durchgeführt werden. Gelitten wird, weil sonst im extremsten Fall die eigene Existenz auf dem Spiel steht. Doch ist dies nur das vermeintlich kleinere Übel im Angesicht der vollständigen Selbstentfremdung durch Assimilation.

Die hochkarätige Besetzung, die Simien für den Film auftreiben konnte, spricht für die Brisanz der Thematik. Themen, die in einem weißen Universum wahrscheinlich nicht einmal eine kleine Randnotiz wert wären. Von Vanessa Williams als Zora über Kelly Rowland als Sandra oder Laverne Cox als Star-Horror-Friseurin steckt der Cast voller bekannter schwarzer Gesichter. Sogar Usher bekommt eine kleine Nebenrolle. Als einer der wenigen relevanten weißen Charaktere findet sich James van der Beek (Dawsons Creek) in der Rolle als Annas Oberfirmenboss Grant Madison – und es ist sicher kein Zufall, dass an der Spitze der Hierarchie in der Story ein weißer Mann steht. Die bislang eher unbekannte Elle Lorraine kämpft in ihrer Hauptrolle als Anna damit, uns wirklich für sich zu gewinnen. Leider sind die Charaktere einen Tick zu oberflächlich und klischeeartig geschrieben. Das mag gut gemeint sein, um die satirische Überspitzung entsprechend transportieren zu können, erschwert aber unglücklicherweise, insbesondere ab dem letzten Drittel des Films, das Mitfiebern. Dazu kommt, dass die zunächst präzise und gekonnt aufgebaute Dramaturgie und die wunderbar ausgearbeitete gesellschaftskritische Prämisse immer mehr verloren gehen.

Dafür entschädigt Bad Hair mit einem überaus charmanten Zeitkolorit der 1980er, denn Simien hat nicht nur die Story in die späten 80er verlegt, sondern versucht den Film auch so wirken zu lassen, als wäre er in diesem Jahrzehnt gedreht worden. Von der Kulisse über die Kostüme und die Musik versetzt Bad Hair die Zuschauer*innen leicht um 35 Jahre zurück. Doch die 4K-gewohnten Filmaugen benötigen eine Weile, sich an die leicht verschwommenen Bilder, die frontalen Kameraeinstellungen und die eher mittelmäßigen CGI-Effekte zu gewöhnen, selbst wenn diese beabsichtigt sind.

Bad Hair

Fazit

Mit Bad Hair schuf Justin Simien einen satirischen Horrorfilm über schwarze Identität. Er hat sich für seine wenig subtile Gesellschaftskritik einen Haufen bekannter Gesichter zur Seite geholt und auch wenn dem Streifen auf den letzten Metern etwas die Luft ausgeht, so macht es doch Spaß, sich auf diese Zeitreise in die 80er zu begeben und die üblichen entspannten Kopfmassagen im Friseursalon aus einem neuen Blickwinkel zu beleuchten.

Bewertung

Grauen Rating: 2 von 5
Spannung Rating: 3 von 5
Härte  Rating: 2 von 5
Unterhaltung  rating3_5
Anspruch  Rating: 3 von 5
Gesamtwertung Rating: 3 von 5

Ab 25.06.2021 im Handel:

Bildquelle: Bad Hair © LEONINE

Horrorfilme… sind die Spannung und das Spiel mit menschlichen Abgründen, ein Spiegel der Gesellschaft, Zeugnis namentlicher Grauslichkeiten und Erkundung grauslicher Namenslosigkeiten. Mal tief und schwer und dann gern auch mal ein bisschen Zombie-Musical oder Blutbad dazwischen. Denn Horror und Lachflash schließen sich nicht zwingend aus.

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