Kritik

The Reckoning (2020) – Review

Im mittelalterlichen Hexen-Horror The Reckoning wird eine junge Witwe der Hexerei angeklagt, nachdem sie die Avancen ihres Verpächters zurückweist. Ein Kampf ums Überleben beginnt, in den sich auch der Teufel höchstpersönlich einmischt.

Originaltitel: The Reckoning
Land: Großbritannien
Laufzeit: 110 Minuten
Regie: Neil Marshall
Drehbuch: Neil Marshall, Charlotte Kirk, Edward Evers-Swindell
Cast: Charlotte Kirk, Sean Pertwee, Steven Waddington u.a.
VÖ: Ab 21.05.2021 digital und ab 28.05.2021 als DVD, Blu-ray und Mediabook

Inhalt

Die Große Pest sucht 1665 England heim und pflastert die Straßen mit Leichen. Bei einem Besuch in der Stadt infiziert sich auch Farmer Joseph (Joe Anderson, The Grey – Unter Wölfen) mit der tödlichen Krankheit. Um seine Frau Grace (Charlotte Kirk, The Depths) und das gemeinsame Baby zu schützen, erhängt er sich. Doch der jungen Witwe bleibt keine Zeit zum Trauern, denn der Gutsherr Pendleton (Steven Waddington, Sleepy Hollow) fordert neben der ausstehenden Pacht  auch sexuelle Gefälligkeiten von ihr ein. Zwar weist sie ihn mit einem Schürhaken in seine Schranken, doch im Gegenzug verleumdet Pendleton sie als Hexe. Mithilfe des berüchtigten Hexenjägers John Moorcraft (Sean Pertwee, Event Horizon) will er Grace dazu bringen zu gestehen – doch sie haben nicht mit ihrer Widerstandskraft gerechnet.

Kritik

Im Jahr 1781 erscheint Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“ und sorgt in intellektuellen Zirkeln für eifrige Diskussionen über die Ratio als universelle Urteilsinstanz. Nur ein Jahr später wird die Magd Anna Göldi in einem Hexenprozess zum Tod durch das Schwert verurteilt. Als eine der letzten Frauen in Europa fällt sie einem System zum Opfer, das auf Denunziation und Folter beruht und die (patriarchalen) Machtverhältnisse weiter festigt. Diese erschreckende Gleichzeitigkeit von zivilisatorischem Fortschritt und Barbarei macht das Thema der Hexenverfolgung auch für die heutige Zeit aktuell – ebenso wie das Prinzip der Ausgrenzung von sozial ungeschützten Personen(-gruppen) aus der Gesellschaft.

Im Gegensatz zu Klassikern wie Der Hexenjäger oder auch jüngeren Beispielen wie Hagazussa, die jene Motive aufgreifen und variieren, erinnert The Reckoning allerdings mehr an eine filmgewordene Freizeitpark-Attraktion. Möglicherweise hat sich Regisseur Neil Marshall, der einst mit Genre-Beiträgen wie Dog Soldiers oder The Descent auf sich aufmerksam machte, von seiner Zeit am Set von Game of Thrones inspirieren lassen, seine Version einer düsteren Feudalzeit gleicht jedoch eher dem letzten Besuch auf dem Mittelaltermarkt. Das liegt vor allem an den recht kulissenhaft wirkenden Drehorten – von denen es ohnehin nicht allzu viele gibt – die noch dazu durchweg unpassend ausgeleuchtet sind. Das scheint im Nachgang auch den Produzierenden selbst aufgefallen zu sein, anders ist der penetrante Digitalfilter eigentlich nicht zu rechtfertigen. Auch bei Kostüm und Make-Up der Figuren war man offenbar bemüht, allzu viel Authentizität zu vermeiden, was seinen Höhepunkt in Grace findet, deren Mascara selbst der größten Folter standhält und die auch nach tagelangem Schmoren im Kerker noch aussieht, als käme sie gerade vom Laufsteg.

Dabei ist The Reckoning ganz offensichtlich darauf aus, seine Heldin als eine Identifikationsfigur weiblicher Emanzipation und Selbstbestimmung zu präsentieren, die sich furchtlos mit all jenen anlegt, die ihr Unrecht tun. Dafür wäre es allerdings ratsam gewesen, die Szenen weniger daraufhin zu schreiben, wie man möglichst häufig den prallen Po der Hauptfigur zeigen kann, sondern stattdessen ein wenig Energie ins Charakterdesign oder die Handlungsentwicklung zu investieren. Marshall und seine Ko-Autor:innen rühren in ihrem Hexenkessel ein Potpourri von Motiven zusammen, die nicht nur uninspiriert wirken, sondern auch in zig verschiedene Richtungen weisen.

Unterbrochen von einem nicht enden wollenden Strom aus Rückblenden und Traumvisionen, die als Stilmittel deutlich überstrapaziert werden, darbt Grace daher die meiste Zeit im Verlies vor sich hin. Zwischendurch liefert sie erstaunliche Darbietungen ihrer Willensstärke auf der Folterbank, wenn sie nicht gerade vom Satan in Versuchung geführt wird, und schmiedet auch noch ein raffiniertes Komplott mit dem Lakaien des Kerkermeisters. Der schmierige Teufelsverschnitt gibt einen Hinweis darauf, wie die Geschichte mit ein wenig mehr Mut zur Exploitation ausgesehen haben könnte, steht allerdings in merkwürdigem Kontrast zum ansonsten bemüht ernsthaften Film.

Die Geschichte ist dermaßen an den Haaren herbeigezogen, dass es schon beim bloßen Zusehen schmerzt. Marshall bemüht den Deus ex Machina dermaßen obsessiv, dass der Gott aus der Maschine nach Beendigung des Films an akutem Burnout gelitten haben muss. Spannung kommt infolge der unentschlossenen dramaturgischen Gestaltung wie auch der schablonenartigen Figuren nicht auf und auch wenn das Sounddesign hörbar bemüht ist, den ansteigenden Nervenkitzel wenigstens akustisch vorzugaukeln –  einlösen können die Bilder dieses Versprechen nicht. Der starke Fokus auf Charlotte Kirk als Grace ändert daran nichts, ganz im Gegenteil. Spätestens nach The Reckoning ist klar, dass Neil Marshall sich nicht aufgrund ihres Schauspieltalents in sie verliebt hat; vielleicht hat Kirk es aber auch nur bei dem Versuch aufgebraucht, ihrem Ehemann vorzugaukeln, er sei noch immer ein guter Regisseur.

Fazit

Manche Geschichten sind es wert, erzählt zu werden. Die von The Reckoning zählt nicht dazu. Neil Marshalls Hexen-Horror klammert sich an eine nichtssagende Protagonistin, die zwischen Verlies und Folterbank vor sich hin schmachtet und stets fantastisch aussieht, während die Antagonisten ihre toxische Männlichkeit zur Schau stellen und den unterentwickelten Mittelalter-Kosmos abrunden dürfen. Ein gelungener Film ist dabei nicht herausgekommen, ein effizientes Folterwerkzeug womöglich schon.

 

Bewertung

Grauen Rating: 2 von 5
Spannung Rating: 1 von 5
Härte  Rating: 3 von 5
Unterhaltung  Rating: 2 von 5
Anspruch  Rating: 1 von 5
Gesamtwertung Rating: 1 von 5

Ab 21.05.2021 im Handel:

Bildquelle: The Reckoning © Capelight Pictures

Horrorfilme… sind die Suche nach Erfahrungen, die man im echten Leben nicht machen möchte. Sie bilden individuelle wie kollektive Ängste ab, zwingen uns zur Auseinandersetzung mit Verdrängtem und kulturell Unerwünschtem – und werden dennoch zur Quelle eines unheimlichen Vergnügens.

...und was meinst du?