Horror 2020
Toplisten

Horrorfilme aus 2020, die ihr gesehen haben solltet (Teil 1/2)

2020 ist fast vorbei und wir haben die Gelegenheit genutzt, um das Jahr Revue passieren zu lassen. Hier sind unsere Horror-Highlights 2020. Viel Spaß!

In dieser Liste findet ihr die persönlichen Highlights und auch die Enttäuschungen unserer Autor:innen.
Wir haben uns nach den internationalen oder deutschen Premieren orientiert, aber auch am regulären (Heim-)Kinorelease. Ihr werdet hier also durchaus auch Filme finden, die schon 2019 ihre Weltpremiere feierten, aber in Deutschland erst 2020 erschienen sind.
In Klammer findet ihr die Person, die Regie geführt hat.


Robert

– Empfehlungen –

The Lodge (R: Veronika Franz/Severin Fiala)

Wie schon in ihrem gemeinsamen Regie-Debüt Ich seh Ich seh verhandelt das Filmemacher-Duo Veronica Franz/Severin Fiala auch in The Lodge die gefährlichen Auswirkungen von kindlichen Traumata und deren zersetzender Wirkung auf familiäre Verhältnisse und die eigenen Seele. Das Figuren-Ensemble ist erneut denkbar klein gehalten – mehr als eine junge Frau und ihre beiden Stiefkinder brauchen die Österreicher nicht, um einen Schrecken von der Leine zu lassen, der einer Dampfwalze gleicht.

Mit symbolträchtiger Bildsprache und Bildkompositionen beschwören sie eine verhängnisvolle Ahnung von übernatürlichen Präsenzen herauf, die sich in einer der schwermütigsten Atmosphären seit Hereditary über die Figuren ergießt. The Lodge ist gekennzeichnet von der unglaublichen Furcht davor, was aus Menschen herausbrechen kann, wenn die falschen Schalter der Psyche getriggert werden. Eingeschneit und zugefroren kratzt das Regie-Duo unter dem Eis die abscheulichsten Mechanismen gescheiterter menschlicher Traumabewältigung hervor und lässt diese in der einsamen Hütte im Wald durch die Köpfe der Figuren tanzen.

Der Unsichtbare (R: Leigh Whannell)

Nach dem furchtbar misslungenen Wiederbelebungsversuch der klassischen Universal-Monster mit Die Mumie von 2017 sollte sich Leigh Whannells Der Unsichtbare als wahrer Volltreffer herausstellen. Es ist wahrlich beeindruckend, wie viel Spannung man beinahe ausschließlich durch Bildkompositionen und Kameraeinstellungen kreieren kann. Die Kamera verhält sich in scheinbar leeren Räumen und Fluren immer genau so, wie sie es in anderen Filmen tun würde, wenn dort jemand stehen würde. Dabei ist der jeweilige Raum/Flur aber immer leer. Oder doch nicht? Die daraus entstehende Spannung ist teilweise so unangenehm mitreißend, dass man eine vermeintliche Präsenz beinahe selbst neben sich spüren kann.

Der Unsichtbare ist ein Twist-reicher Horror-Thriller, der nicht nur mit beißender Spannung, seiner Undurchsichtigkeit und seinem feministischen Subtext überzeugen kann, sondern der gleichzeitig den Weg für viele weitere hoffentlich ebenso kreative Wiederbelebungen alter Universal-Monster ebnet, die man nach dem beachtlichen Erfolg von Der Unsichtbare in den nächsten Jahren definitiv mit Vorfreude erwarten kann.

– Größte Enttäuschung –

Die Besessenen (R: Floria Sigismondi)

Ursprünglich von uns noch als eine der vielversprechendsten Neustarts des Jahres gehandelt, ist die Vorfreude auf die neuste Verfilmung des berühmten Schauerromans „Das Durchdrehen der Schraube“ schnell riesiger Enttäuschung gewichen. Die Besessenen ist eine furchtbar uninspirierte Adaption der fulminanten Vorlage, verfängt sich in selbstzweckhaftem Geisterbahn-Horror und scheitert an seinem hohen Selbstanspruch. Das ist gerade deswegen besonders ärgerlich, weil Die Besessenen seine Geschichte den Zuschauenden am Ende als clever konstruierten „Mindfuck“ aufzwingen will, der Weg dorthin jedoch nichts weiter als furchtbar generischen Grusel aus der Mottenkiste zu bieten hat. Es scheint so, als seien seit Anbeginn der Konzeption und des Drehs jegliche Stellschrauben für einen funktionierenden und in sich schlüssigen Film falsch gestellt worden. Selten wurde vollkommene Inhalts- und Belanglosigkeit so prätentiös verkauft wie in Die Besessenen.


Catherin

– Empfehlungen –

Pelikanblut (R: Katrin Gebbe)

Schon in ihrem Debütfilm Tore tanzt bewegte sich Katrin Gebbe fernab ausgetretener Pfade und zeigte, wie kraftvoll, mitreißend und provokant deutschsprachiges Kino sein kann. Der Nachfolger Pelikanblut ist ein Horror-Drama, das es locker mit internationalen Genre-Erfolgen wie Der Babadook oder It Follows aufnehmen kann. Wie im deutschen Erfolgsfilm Systemsprenger steht auch in Pelikanblut ein stark traumatisiertes Kind im Mittelpunkt, das die ihm widerfahrene Aggression an Andere weitergibt, keinerlei emotionale Bindung aufbauen kann und sein Umfeld wie sich selbst in Gefahr bringt. Doch wer muss geschützt werden und um welchen Preis? Der Film kreist um Fragen von Schuld und Opfer, ohne den Anspruch, diese beantworten zu können – was auch daran liegen mag, dass sie schlichtweg nicht beantwortbar sind.

Pelikanblut entzieht sich der Realität des Systems der Kinder- und Jugendhilfe, dessen Grenzen Nora Fingscheidts Systemsprenger aufzeigt, und treibt die Passion der Hauptfiguren stattdessen ins Fantastische. Es sind existenzielle Fragen um Mutterschaft, Verantwortung, Schuld und Opferbereitschaft, mit denen Gebbe die Zuschauer:innen konfrontiert und die selten in dieser Drastik verhandelt worden sind. Mit viel Fingerspitzengefühl und einem großartigen Cast verwebt die Regisseurin abermals extreme Grenzüberschreitungen und psychologische Ausnahmesituationen zu aufwühlendem Genre-Kino.

Fellwechselzeit (R: Sabrina Mertens)

In ihrem Spielfilmdebüt zeigt Sabrina Mertens ein Martyrium, das gerade aus dem Verzicht auf große Worte und spektakuläre Bilder seine verstörende Kraft bezieht. Fellwechselzeit polarisierte bereits auf dem diesjährigen Max-Ophüls-Festival und zeigte, wie innovativ deutsches Kino sein kann. Mit winzigem Budget realisiert Mertens eine düstere Familiengeschichte, die trotz – oder gerade wegen – ihrer leisen Töne zu einer intensiven Seherfahrung gerät. Als „Stillleben einer Familie in 57 Bildern“ konzipiert, fängt Fellwechselzeit in nur 57 Aufnahmen das triste Leben der jungen Stephanie und ihrer Eltern ein. Keine Schnitte, keine Close-Ups oder Kameraschwenks beleben diese Szenen, die wie altertümliche Tableaux vivants anmuten und deren statischer Aufbau den psychischen Zustand der Familie widerspiegelt. Regelrecht belastend wirkt die Monotonie, vor der es kein Entkommen zu geben scheint.

Doch nicht nur der experimentelle Aufbau, sondern auch der unausgesprochene Rekurs auf die deutsche Vergangenheit zeugen vom Mut der Filmemacherin. Obwohl Mertens‘ Psychodrama vage bleibt, lässt die Verortung im Nachkriegsdeutschland der 1970er-Jahre Vermutungen darüber zu, welche Traumata hier verhandelt werden – oder gerade nicht. Die Verdrängung hat jedoch ihren Preis, denn das Verschwiegene bleibt präsent: als unsichtbare Last auf den Schultern der Protagonist:innen, die an die nächste Generation weitergegeben wird.

Possessor (R: Brandon Cronenberg)

Die Begeisterung für das Innere fremder Körper hat Filmemacher Brandon Cronenberg wohl von seinem Vater geerbt, beweist mit Possessor aber zugleich, dass er seine ganz eigene Handschrift hat. Hochstilisierter Body Horror trifft auf einen transhumanistischen Albtraum, der die Selbstgewissheiten des Subjekts radikal in Frage stellt. Körper und Geist scheinen beide ein unheimliches Eigenleben zu führen, driften unablässig auseinander und zeigen die Fragilität dessen auf, was wir für unsere Identität halten. Hinter der bildgewaltigen Orgie aus Blut und Materie lauert in Possessor ein Schrecken, der weitaus tiefer dringt, als Messer und Kugeln es je könnten.

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Seid gegrüßt, Ich habe unzählige Namen und erscheine in vielen Gestalten. Hier kennt man mich als Dark Forest und ich bin euer Gastgeber. Ich führe euch durch die verwinkelten Bauten, düsteren Wälder und verfallenen Ruinen. Immer mir nach!

...und was meinst du?