Swallow
Kritik

Swallow (2019) – Review

Carlo Mirabella-Davis‘ Spielfilmdebüt Swallow ist ein erschütterndes Horror-Drama über die Selbstfindung einer Frau zwischen ihrer unglücklichen Ehe und der quälenden Vergangenheit. Wir haben Sie auf ihrer Reise begleitet!

Originaltitel: Swallow
Land: Frankreich/ USA
Laufzeit: 94 Minuten
Regie: Carlo Mirabella-Davis
Drehbuch: Carlo Mirabella-Davis
Cast: Haley Bennett, Elizabeth Marvel, Laith Nakli u.a.
VÖ: ab 26.11.2020 auf Blu-ray und DVD

Inhalt

Die aus einfachen Verhältnissen stammende Hunter (Haley Bennett, The Hole) scheint alles zu besitzen, was sie sich nur wünschen kann: einen gutaussehenden Ehemann, ein luxuriöses Heim und finanzielle Sicherheit. Doch diese glatte Oberfläche bekommt schnell Risse, denn die endlosen Tage, die Hunter zu Hause sitzt, das Haus in Ordnung hält und Abendessen für ihren Ehemann vorbereitet, sind einsam. Umgeben von materiellem Komfort sehnt sich Hunter nach menschlicher Zuwendung. Unter dem steigenden Druck, die hohen Erwartungen ihrer neuen Familie zu erfüllen und einer unerwarteten Schwangerschaft, sieht sich Hunter mit neuen Herausforderungen konfrontiert und entwickelt schließlich eine gefährliche Vorliebe für den Verzehr kleiner Gegenstände.

Kritik

In seinem ersten Spielfilm inszeniert Carlo Mirabella-Davis eine aufwühlende Charakterstudie über toxische Beziehungen, Isolation und gesellschaftlichen Druck, was sich schließlich in Depressionen und Essstörungen verdichtet. Dabei agiert Swallow immer auch auf einer persönlichen Ebene und bietet nicht nur einen realistischen Blick auf psychische Krankheiten, sondern auch auf individuelle Selbstfindung und Selbstbestimmung. Wie auch in Marina de Vans In my Skin bewegt sich Mirabella-Davis im Genre des Body-Horrors und thematisiert gleichzeitig explizit weibliche Körperlichkeit, ohne sich vom Genre einschränken zu lassen. Dabei wird weibliche Perfektion mit selbstzerstörerischem Verhalten in Verbindung gebracht und Hunters Schönheit und ihr Gehorsam mit selbstlosen Opfern verbunden. Für alle, die Hunter umgeben, ist es entscheidend, dass die Arbeit ihrer Perfektion verborgen bleibt, da sie ihren Körper für das Vergnügen und die Bedürfnisse anderer opfert. Wenn sie aufhört, sich auf diese soziale Norm einzulassen, beginnt der wahre Horror. Der Prozess des Verschluckens kleiner und größerer Objekte ist hier insbesondere eine Allegorie auf den Versuch, die Kontrolle über Körper und Gefühle zurückzugewinnen.

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Hunters spezielle Form der Essstörung wird auch als Pica-Syndrom bezeichnet, bei dem Menschen Objekte zu sich nehmen, die allgemein als ungenießbar oder ekelerregend angesehen werden. Die genaue Ursache ist noch unbekannt, da die Krankheit nicht zweifelsfrei rein psychisch begründet ist, sondern auch körperliche Ursachen haben kann. Bei schwangeren Frauen scheint die Inzidenz jedoch höher zu sein, was auch Swallow aufgreift. Unabhängig von der Ursache handelt es sich um eine Essstörung, die ernsthafte viszerale Auswirkungen haben kann und Mirabella-Davis zeigt deutlich die Schärfe und Ernsthaftigkeit von Hunters Erkrankung.

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Dabei geht er langsam und behutsam vor. Anstatt, dass Hunter plötzlich anfängt, Dinge zu schlucken, nachdem sie ihre problematische Lage festgestellt hat, zeigt der Film, wie sie weniger offen versucht, die Kontrolle über ihr Leben zurückzugewinnen. Visuell geschieht dies über die Parallelen zwischen Essen und Essstörung – Nahaufnahmen von Essen und Zähnen, die den Betrachter auf das Kommende vorbereiten. Hunter beginnt damit, Eis aus einem Glas zu essen und in einem Moment des Trotzes knirscht sie dieses und stoppt ein Gespräch zwischen ihrem Ehemann und den Schwiegereltern. Ein erstes befreiendes Gefühl von Ermächtigung und Selbstbestimmung, das aber nur flüchtig ist, sodass sie schließlich zu Murmeln, Reißzwecken und Batterien übergeht. Dabei werden die Gegenstände abgefilmt, wie dies bei normalen Aufnahmen von Mahlzeiten der Fall ist, was die Idee unterstreicht, dass Hunters Körper auf beide gleichermaßen reagiert. Am Ende stößt sie die Gegenstände aus, säubert alles und präsentiert sie auf den Kosmetikspiegel im Schlafzimmer.

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Auch hier konzentriert sich der Film vielmehr auf den mentalen Zustand der Figur als auf die blutigen Konsequenzen ihrer obsessiven Handlungen. Tatsächlich überlässt der Film viele der grausameren Aspekte des Pica der Fantasie des Publikums. Mirabella-Davis geht es vielmehr um die fehlende Kontrolle über Leben, Körper und Gefühle der Protagonistin und den Versuch, diese wiederzuerlangen. Die Entscheidung darüber, was sie essen will, gibt ihr emotionale Befriedigung und verbindet Körper und Geist – wenn auch nur für eine gewisse Zeit. Swallow ist keine Geschichte einer wahnhaften oder gar „verrückten“ Frau, sondern bietet signifikante Authentizität.

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Swallow schafft es, Protagonistin Hunter zum Leben zu erwecken, ohne sie flach oder schrullig zu machen. Neben Drehbuch und Regie ist das insbesondere der Leistung Haley Bennetts zu verdanken, die ihrer Rolle eine ruhige Würde verleiht und niemals in Extreme abrutscht. Bennetts Darstellung einer Hausfrau, die den Würgegriff des Familienlebens spürt, ist nuanciert und wandelt zwischen erlernter Gleichgültigkeit und völliger Verzweiflung. Sie überspielt niemals ihre Figur und hält ihre Gefühle in Schach, bis diese unerwartet herausplatzen. Es liegt ein klares Gefühl emotionaler Ehrlichkeit in ihrer Rolle. Hier wird auch die Zweideutigkeit des Filmtitels sichtbar – in Bezug auf die Krankheit und Hunter selbst, die alles „schluckt“, während sie hartnäckig versucht, andere Menschen glücklich zu machen. Ein selbstsüchtiger Ehemann und übergriffe Schwiegereltern machen Hunters Motivation auch ohne großartige Dialoge greifbar. Ihr Gesicht wird zu einem Kanal ihres gesamten emotionalen Zustands und die Kamera verbringt viel Zeit damit, auch die kleinsten mimischen Veränderungen einzufangen. Dies gilt nicht nur für die verletzlichen, sondern auch für starke Momente, in denen Hunter langsam ihre Macht zurückerobert. Denn Swallow ist letztendlich ein Film über Macht, aber was noch wichtiger ist, es geht um die Wahrnehmung von Macht – wie es sich anfühlt, sie zu haben, wie es sich anfühlt, sie nicht zu haben und wie es sich anfühlt, sie zu nehmen. Es ist kein Zufall, dass das Design von Hunters Kleidung und Frisur an den Stil der 1950/60er Jahre erinnert und sie sich wie ein Anachronismus in einer modernen Welt fühlt. Eine Szene, in der sie staubsaugt, fühlt sich an, wie aus einer Retro-Werbung herausgerissen, in der Frauen auf häusliche Rollen beschränkt sind.

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Passend dazu legt Mirabella-Davis die düstere Handlung auf eine reichhaltige Farbpalette, die dem mentalen Zustand der Protagonistin gegenübersteht. Zusammen mit dem auffälligen Klang ziehen die Bilder des Films harte Linien zwischen den angespannten, starren Formen des modernen Hauses und den weichen, zerbrechlichen Linien von Hunters Gesicht und Körper – verstärkt durch das kontrastierende Farbschema mit dem rosafarbenen, gebärmutterähnlichen Leuchten und der kälteren, antiseptischen Tönen der bedrückenden Außenwelt.

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Diese wird durch die Schwiegereltern charakterisiert, die mit ihrer blasierten Haltung der Respektlosigkeit auf Hunter herabschauen. Schwiegermutter Katherine (Elizabeth Marvel, House of Cards) strahlt Verachtung und Skepsis gegenüber Hunter aus, während Schwiegervater Michael (David Rasche, Men in Black 3) mit eisiger Gleichgültigkeit als patriarchalisches Oberhaupt auftritt. Ehemann Richard ist ebenfalls keine Unterstützung, sondern repräsentiert eine bestimmte Art von Mann, der unfähig ist, sich von seinen Eltern zu lösen, und bei dem sich dieser emotionale Stillstand auf seine romantische Beziehungen überträgt. Wenn Hunter seine Erwartungen nicht erfüllt, probiert er es mit Manipulation, emotionalen Druck und gegen Ende mit expliziten Drohungen. Für ihn ist Hunter der Inkubator seines ungeborenen Kindes. Alle drei sehen Hunter grundsätzlich vielmehr als Belastung.

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Abgesehen von Haley Bennet als Hauptdarstellerin, deren Emotionen und Ängste sich furchtbar echt anfühlen, scheinen die Handlungen der anderen immer ein wenig gestellt. Obwohl sich einige Momente in diesem Sinne zu gezwungen fühlen, vermittelt es zielgerichtet eine Umgebung voller Lügen, falschem Verhalten und erzwungenen Interaktionen. Durch die Konstruktion dieser Welt um sie herum, die noch bizarrer wirkt als die Handlungen Hunters selbst, bindet Mirabella-Davis den Betrachter noch stärker an die Figur. Einzig Laith Nakli als syrischer Kriegsflüchtling und Krankenpfleger Luay bieten der jungen Frau Mitgefühl und Empathie.

Fazit

Swallow ist ein ehrgeiziges und spannendes Spielfilmdebüt von Carlo Mirabella-Davis mit einer beeindruckenden Vorstellung von Haley Bennett, einem soliden Drehbuch und exzellenter, visueller Arbeit. Das intelligente, ruhige Horror-Drama über Geschlechterrollen, Identität und psychische Gesundheit bietet eine menschliche Beobachtung, die die individuellen Entscheidungen von Frauen nicht beurteilt und gleichzeitig Erlösung statt Rache bietet.

Bewertung

Grauen Rating: 3 von 5
Spannung rating4_5
Härte  Rating: 2 von 5
Unterhaltung rating4_5
Anspruch rating4_5
Gesamtwertung rating4_5

Ab 26.11.2020 im Handel:

Swallow Swallow

Bildquelle: Swallow © Koch Media

Horrorfilme… sind für mich eine Möglichkeit, Angstsituationen zu erleben, ohne die Kontrolle zu verlieren. Es ist eine positive Art der Angst, da sich ein Glücksgefühl einstellt, sobald man die Situation durchgestanden hat. Es ist nicht real – könnte es aber sein. Das ist furtchteinflößend und gleichzeitig faszinierend.

...und was meinst du?