Kritik

Archive (2020) – Review

Gavin Rothery entwirft mit seinem Spielfilmdebüt Archive ein stilvolles und ruhiges Science-Fiction-Drama über die Bewältigung von Trauer und die Rätselhaftigkeit des Bewusstseins.  

Originaltitel: Archive
Land: Großbritannien
Laufzeit: 109 Minuten
Regie: Gavin Rothery
Drehbuch: Gavin Rothery
Cast: Stacy Martin, Theo James, Toby Jones u.a.
VÖ: ab 05.11.2020 auf Blu-ray und DVD

Inhalt

In der nicht allzu fernen Zukunft ist es der Forschung gelungen, die Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen zu lindern. Die Technologie des „Archive“-Programms ermöglicht die Wiederherstellung des Bewusstseins von Verstorbenen in einem speziellen Rechenzentrum, sodass eine posthume Kommunikation mit den Angehörigen für eine begrenzte Zeit möglich wird.  Auch die mentalen Überreste von Georges (Theo James) Frau Jules (Stacy Martin) wurden nach deren Unfalltod archiviert. Doch George kann den Tod seiner Frau nicht akzeptieren und ist davon besessen, ihr Bewusstsein in einen Roboter zu verpflanzen. Nach zwei mehr oder minder erfolgreichen Prototypen ist George kurz vor einem Durchbruch. Dabei bemerkt er nicht, dass die von ihm entwickelten Roboter bereits ein eigenes Bewusstsein entwickelt haben und mehr wollen als die ihnen zugewiesene Aufgabe.

Kritik

Mit den moralischen Dilemmata, welche die Zukunft und die sich immer weiter entwickelnde Technik für uns bereithalten, beschäftigen sich Schriftsteller und Filmemacher schon seit dem 19. Jahrhundert und bevölkern ihre Geschichten dabei mit Robotern, Androiden und Cyborgs. Auch in Archive wird das Leben weitaus stärker von Technologien und Künstlicher Intelligenz bestimmt, als es in unserem heutigen Alltag der Fall ist, wodurch neue ethische Fragestellungen auf die Menschheit zukommen.

Regisseur Gavin Rothery schöpft in seinem Debüt aus dem buchstäblichen Archiv von Science-Fiction-Filmen und vermittelt dem Zuschauer somit ein angenehm vertrautes Gefühl. So lassen sich visuelle Einflüsse aus Moon und Blade Runner erkennen, wenn sich der Protagonist vor dem Hintergrund eines japanischen Restaurants mit großer Leuchtreklame wiederfindet. Das Design der Roboter ist eine Mischung aus Alarm im Weltall und Fritz Langs Metropolis, während das Narrativ, in dem die Grenzen zwischen menschlichen Spezies und technologischen Existenzformen erweitert und getestet werden, insbesondere durch Ex Machina und Solaris beeinflusst wurde. Diese Geschichten zeigen immer wieder, wie zerbrechlich die Beziehung zwischen Mensch und Maschine sein kann.

Archive

Insbesondere die Dynamik zwischen Robotern und Menschen bildet den erzählerischen Höhepunkt des Films. Ingenieur George ist  bis auf die drei Roboter-Prototypen, die er als Hülle für das Bewusstsein seiner Frau konstruiert und dementsprechend J1, J2 und J3 getauft hat, allein. Der Frage danach, wie menschlich ein digitales Konstrukt sein kann, wird hier also gleich in dreifacher Ausführung vorgespielt und die Roboter dominieren die Leinwand. Während sie ihre eigenen Ambitionen verfolgen und um Georges Bewunderung kämpfen, demonstrieren sie die Stärken und Schwächen menschlicher Emotionen. Dabei befinden sie sich in unterschiedlichen mentalen Reifeprozessen. J1 ist eine schwerfällige, sanfte Riesin – sie kann nicht sprechen, aber mechanisch seufzen oder zwitschern und befindet sich auf dem Level eines Kleinkindes. J2 ähnelt einem ASIMO-Roboter mit der mentalen Stärke eines Teenagers. Mit ihrer liebevollen, humorvollen Art, ihrer ausgeprägten Neugierde und der Faszination für alte schwarz-weiße Cartoons ist sie die Identifikationsfigur für den Zuschauer. Zwischen ihr und George besteht auch gleichzeitig die intensivste Beziehung, durchzogen von herzzerreißenden Momenten aufrichtiger Traurigkeit, wenn sie versucht, den Sinn ihrer Existenz zu begründen. J2s Eifersucht und Unvorhersehbarkeit bestimmen wie die Entwicklung von J3 den Großteil der Handlung.

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Dieser letzte Prototyp besticht durch eine humanoide Form und ist klug genug, um zu wissen, warum sie entworfen wurde. Obwohl die Prototypen nur wenige Interaktionen haben, gibt die zugrunde liegende Spannung zwischen ihnen, als drei Teile desselben menschlichen Bewusstseins, einen erzählerischen Vorteil. In der Rolle von Georges verstorbene Ehefrau und den drei Robotern zeigt die französisch-britische Schauspielerin Stacy Martin eine große emotionale Bandbreite mit subtilen Variationen derselben Person.

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Rotherys Drehbuch rahmt die Hoffnungen und Ängste gegenüber Künstlichen Intelligenzen mit der Charakterstudie eines Mannes und seines Umgangs mit den eigenen technischen Kreationen. Eine große Anzahl ähnlicher Geschichten betrachten die eigenmächtigen Schöpfungen als Gefahr, angefangen schon bei nicht-technischen künstlichen Menschen wie Frankensteins Kreatur. Hier jedoch wird der Spieß umgedreht und George, der darauf besteht seine Roboter so menschlich wie möglich zu machen, hat seine eigene Menschlichkeit bei diesem Streben quasi aufgegeben. Sein Ziel ist es, seine verstorbene Frau wiederzubeleben und dieser Plan ist zu einer regelrechten Besessenheit geworden, über der er das eigentliche Ziel aus den Augen verloren hat. Stattdessen beobachten wir, wie George seine Maschinen, die für ihn angeblich eine Art Familie sind, benutzt und diese durchaus dazu in der Lage sind, diesen Missbrauch zu verstehen.

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Theo James zeigt mit George einen ethisch zweifelhaften Charakter und wandelt dabei auf der Linie zwischen trauerndem Witwer und verrücktem Wissenschaftler, der vor nichts zurückschreckt, um seine geliebte Frau zurückzubringen. Er kann Jules Tod nicht bewältigen und sich nur vorwärtsbewegen, indem er sich an die Vergangenheit klammert. Dies führt zu emotionalen und mentalen Traumata bei George und seinen älteren KI-Modellen, die er immer mehr vernachlässigt. George ist ein spannender Charakter, denn sein Verlust ist spürbar und seine Motivation bis zu einem gewissen Punkt verständlich, aber gleichzeitig ist er ein egoistischer und wütender Mensch, der nicht loslassen kann. Rothery orientiert sich bei diesem Aspekt stark an Adrian Lynes Jacobs Ladder, der ebenfalls den Prozess des Loslassens behandelt.

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Trotz einiger Konventionen in der Inszenierung mechanischer und menschlicher Zuneigung punktet Rothery durch sein klares Verständnis vom Aufbau einer futuristischen Welt und seiner Kompetenz im Umgang mit visuellen Effekten, so dass das geringe Budget nicht negativ auffällt. Die Bilder in Archive sind großartig, Rothery schafft eine lebendige Welt mit einem ästhetischen Designkonzept. Riesige hydraulische Türen in Form länglicher Achtecke verbinden höhlenartige Korridore in einer fabrikähnlichen Forschungseinrichtung, inmitten abgelegener Wälder lokalisiert. Dabei stehen sich Natur und Forschungseinrichtung gegenüber, ebenso wie triste Isolation und die schillernden, aufdringlichen Farben der Großstadt. Die erdrückende Abgeschiedenheit wird durch die atmosphärische und dichte Musikpartitur von Steven Price betont.

Sicherlich kann man Rothery vorwerfen, sich zu sehr auf das Design zu konzentrieren und dabei von der Geschichte abzulenken. Einige Landschaftsaufnahmen weniger hätten der Laufzeit sicherlich gutgetan. Das gleiche gilt für die Rückblenden einer klischeehaft gestalteten Romanze, die sich zu oft wiederholen und nicht die emotionale Tiefe der Videoaufnahmen und Anrufe von Jules erreichen.

Fazit

Gavin Rotherys Debüt ist kein revolutionärer Film, bietet aber eine solide Geschichte rund um die Thematik von menschlicher und mechanischer Zuneigung. Insbesondere in seiner kühnen Inszenierung, die das emotionale Gewicht auf die Künstlichen Intelligenzen legt, erreicht der Film Momente melancholischer Schönheit. Auch wenn die Erzählung zwischenzeitlich durch das Design verdrängt wird, bietet Archive eine hervorragende Kinematographie und atemberaubende Bilder zwischen Natur und Technologie.

Bewertung

Grauen Rating: 1 von 5
Spannung rating3_5
Härte  Rating: 1 von 5
Unterhaltung  Rating: 4 von 5
Anspruch rating3_5
Gesamtwertung rating3_5

ab 05.11.2020 im Handel:

Archive Archive

Bildquelle: Archive © EuroVideo Medien

Horrorfilme… sind für mich eine Möglichkeit, Angstsituationen zu erleben, ohne die Kontrolle zu verlieren. Es ist eine positive Art der Angst, da sich ein Glücksgefühl einstellt, sobald man die Situation durchgestanden hat. Es ist nicht real – könnte es aber sein. Das ist furtchteinflößend und gleichzeitig faszinierend.

...und was meinst du?