Kritik

The Devil All The Time (2020) – Review

In der ärmlichen Peripherie des Mittleren Westens lässt The Devil All The Time einen beeindruckenden Ensemblecast leben, leiden, hassen und sterben. Trotz aller Gottesfurcht scheint es, als seien im neuen Netflix-Thriller alle in ihrer eigenen, persönlichen Hölle gefangen – und doch vernetzen sich ihre Schicksale auf tückische Weise. Wir haben uns für euch dem Teufel gestellt.

Originaltitel: The Devil All The Time
Land: USA
Laufzeit: 138 Minuten
Regie: Antonio Campos
Drehbuch: Antonio Campos, Paulo Campos, Donald Ray Pollock (Roman)
Cast: Bill Skarsgård, Riley Keough, Tom Holland, Robert Pattinson u.a.
VÖ: Seit 16.09.2020 auf Netflix

Inhalt

Die verwinkelten Verhängnisse, welche die Figuren in The Devil All The Time eher früh als spät ereilen, entspannen sich Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre zwischen den Kleinstädten Coal River (West Virginia), Knockemstiff und Mead (beide Ohio). Der traumatisierte Weltkriegsveteran Willard Russell (Bill Skarsgård, Es) glaubt, mit der jungen Kellnerin Charlotte (Haley Bennett, The Hole) in Mead sein Glück gefunden zu haben, doch das Schicksal scheint andere Pläne zu haben. Gleichzeitig kommt es im selben Diner zur folgenschweren Begegnung zwischen dem späteren Ehepaar Sandy und Carl Henderson (Riley Keough, The Lodge & Jason Clarke, Pet Sematary), die einen jahrelangen Irrsinn aus Sex und Gewalt nach sich zieht.

In Coal River heiratet die gläubige Helen (Mia Wasikowska, Crimson Peak) den leidenschaftlichen Prediger Roy Laferty (Harry Melling, Harry-Potter-Reihe), dessen Zerrissenheit zwischen Gottvertrauen und Versagensängsten jedoch eine unausweichliche Tragödie vorzeichnet. Schließlich bringt das Schicksal Arvid (Tom Holland, Spider-Man: Homecoming) und Lenora (Eliza Scanlen), den Sohn der Russells und die Tochter der Lafertys, als Stiefgeschwister zusammen. Waisentum und Armut lasten schwer auf ihnen, doch ihr Los ergrimmt noch weiter, als der durchtriebene Reverend Teagardin (Robert Pattinson, Der Leuchtturm) die Kirche Coal Rivers bezieht…

Interpretation und Kritik

„Hoffnung: sie ist in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert“, schrieb Friedrich Nietzsche 1878. Für den Philosophen, der an anderer Stelle den „Tod Gottes“ proklamierte, war die Hoffnung Triebfeder wiederkehrenden Ungemachs: Anstatt das Leben einfach aufzugeben, brächte sie die Menschen dazu, sich immer wieder aufzuraffen, um ihr Glück zu suchen in einer Welt, die sie lediglich wieder und wieder breche. Dies kann auch als Programm von Donald Ray Pollocks Roman „Das Handwerk des Teufels“ gelten: Rastlos schinden sich Pollocks Figuren durch das, was ihnen als Leben gegeben ist, während ihnen wiederholt Steine, nacktes Grauen und bohrende Trostlosigeit vor die Füße geworfen werden.
In Antonio Campos‘ (Simon Killer) Adaption ist es ein ausgesucht hinreißender Ensemblecast, der in dieses Martyrium geworfen wird. Erbarmungslos treibt Pollock, der im Film selbst die Erzählerstimme übernimmt, die schönen Menschen Hollywoods durch Kulissen hochwertigster, oft sonnendurchfluteter Optik. The Devil All The Time ist fragmentarisch-schlaglichthaft erzählt, für Nebensächlichkeiten wie ausgiebige Charakterportraits oder -entwicklungen findet er selbst in zweieinhalb Stunden keinen Platz. So schneidet Campos vom ersten Treffen Willards und Charlottes unmittelbar auf die Veranda des gemeinsamen Hauses, Baby Arvid bereits auf dem Schoß der Mutter. Und so begegnen wir Sandy und Carl, nachdem ihr Funke zeitgleich mit dem der Russells überspringt, erst wieder, als ihre blut- und sexhungrige Tour de Force bereits jahrelang im Gange ist.
Über allem in The Devil All The Time thronen die bedeutungsschwangeren Schimären christlichen Heilsversprechens und innerweltlichen Glücks. Während manche einfach nur eine Familie gründen wollen, trachten andere wie besessen danach, sich der Relevanz des eigenen Daseins durch Rücksprache mit den Himmeln versichern zu müssen. Wieder andere finden Erlösung nur im Grauen der absoluten Grenzerfahrung. Die Verheißung führt die ungleichen Figuren gleich ahnungslosen Marionetten zueinander, voneinander fort – und schneidet oft genug ihre Fäden ganz durch, nicht jedoch, ohne vorher eine trügerische Posse mit ihnen aufgeführt zu haben.
Um ein zeit- und weltumspannendes, grausames Bühnenstück, vom Asien des zweiten Weltkrieges bis in den mittleren Westen der 1960er Jahre, zu inszenieren, opfert Campos stringente Erzählweise und komplex dimensionierte Figuren. Das mag manchen Zuschauern sauer aufstoßen, entspringt jedoch keiner Beliebigkeit, sondern einem klaren Fokus. The Devil All The Time spürt nach dem tiefsten Kern des Lebens und Handelns, dem inneren Antrieb, der die Menschen dazu bringt, immer weiter zu machen, was auch geschieht – und dafür sind genannte Details gar nicht notwendig.

Verführung ist das zentrale Thema, das The Devil All The Time beständig umkreist. Sandy dient als todbringender Köder sexueller Versprechen, Teagardin nutzt das Vertrauen, das ihm als Reverend entgegengebracht wird, abscheulich aus. Der feste Glaube an Gott verführt manche zu unaussprechlichen Taten, während andere sich von den rosigen Vorstellungen zukünftigen Glücks, einer Familie und/oder besseren Zukunft an der Nase herumführen lassen – und in ihrer Naivität untergehen. Der titelgebende Teufel, der große Verführer, ist schlussendlich die aussichtslose Hoffnung selbst, und ihm mit den abstrusesten Verzweiflungs- und Wahnsinnstaten zu antworten erscheint leider – hier sind wir wieder bei Nietzsche – allzu menschlich. Immerhin einen kleinen Moment des Friedens gönnt uns The Devil All The Time dann doch – den, in dem es nichts mehr zu gewinnen oder verlieren gibt, und in dem zum ersten Mal, mit dem Verlassen des trostlosen Mittleren Westens, der tumbe Kreislauf der Verdammung durchbrochen zu werden scheint.

Fazit

The Devil All The Time ist eine grimmige Erzählung über zerschmetterte Träume, falsche Hoffnung und erfolglose Sinnsuche, die allesamt im sumpfigen Bodensatz menschlicher Existenz verschwinden. Der hervorragende Ensemblecast kann nicht darüber hinweg täuschen, dass wir uns hier ganz weit abseits der üblichen Hollywoodgefilde befinden. Vielmehr untermalt es die Trostlosigkeit der Produktion noch, dass Campos ihre wohlbekannten, mit Schönheit und Erfolg assoziierten Gesichter nach und nach einschlägt. Der Film ist trotz aller seiner Grauen nicht antireligiös, vielmehr spinnt er Religion, Sex und Gewalt gleichermaßen in ein viel größeres Netz aus Verführung und Unterwerfung ein.

Bewertung

Grauen Rating: 4 von 5
Spannung Rating: 4 von 5
Härte  Rating: 3 von 5
Unterhaltung  Rating: 3 von 5
Anspruch  Rating: 4 von 5
Gesamtwertung Rating: 4 von 5

Bildquelle: The Devil All The Time © Netflix

Horrorfilme… sind die audiovisuelle Adaption des gesellschaftlich Abgestoßenen, Verdrängten und/oder Unerwünschten, das in der einen oder anderen Gestalt immer wieder einen Weg zurückfindet.

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