Randfilmfest
Filmfestival,  Interview

Interview mit Volker Beller und Christoph Langguth vom Randfilmfest

Seit dem 17. September läuft in Kassel die siebte Ausgabe des Randfilmfests unter dem Motto „Gold der Jugend“. Wir hatten das Vergnügen, mit den beiden Gründungsmitgliedern Volker Beller und Christoph Langguth ein Interview führen zu dürfen.

Drei Tage lang widmet sich das Randfilmfest mit einem breiten Programm aus Film, Performance und Musik wieder all jenem, was im Mainstream keinen Platz findet und unter dem kulturellen Radar fliegt. Trotz Corona wagt das Festival-Team dabei auch in diesem Jahr gemeinsam mit den Besucher*innen eine Entdeckungsreise jenseits des etablierten Genre-Kinos. Alle Informationen zu den Filmen, Spielzeiten und Ticketpreisen findet ihr auf der Homepage des Randfilmfests.

Mit Volker und Christoph haben wir uns über ihre Liebe zu abseitiger Film- und Kinokultur, das Programm des diesjährigen Festivals und einiges mehr unterhalten. Viel Spaß!


Randfilmfest
Volker Beller, Festivalleiter 2020

Hallo Volker, hallo Christoph! Vielen Dank, dass ihr euch kurz vor Festivalbeginn die Zeit für uns nehmt. Inzwischen geht das Randfilmfest bereits in die siebte Runde – was hat euch damals dazu bewogen, es zu gründen?

CL: Volker und ich hatten schon davor einige Veranstaltungen gemeinsam
organisiert. Nach längerer Pause hatten wir Lust auf ein neues Konzept
aus Film, Musik, Kunst und Performance. So auch sah das erste Fest aus:
Drei Tage, drei Filme und jede Menge wilder Ideen.

VB: Ja, wir waren es leid immer nur diese seltsamen Pseudo-Expert*innen-Gespräche über spezielle Genrefilme im kleinen Kreis zu starten und wollten endlich mal was „Richtiges“ organisieren für die ganzen Eckensteher*innen, Videoheinis, Unter-Der-Bettdecke-Schauer*innen und die ganzen unverstandenen Filmsüchtigen dieser Welt.

Randfilmfest
Christoph Langguth, Gründungsmitglied und Co-Organisator

Wenn ihr das Wesen des Randfilmfests mit drei Filmtiteln beschreiben müsstet, welche wären das und warum?

VB: Erstens Adoration von Fabrice du Welz (läuft übrigens auch auf dem Randfilmfest im Wettbewerb um den Rand-Award), weil Randfilm Filme anbetet und das Kino und die magische schwarze Leinwand über alles liebt. Zweitens Melancholia von Lars von Trier, weil es immer diese Portion Schwarzgalligkeit ist, die die Grundstimmung von Randfilmfest-Filmen kennzeichnet und drittens Angst essen Seele auf von Rainer Werner Fassbinder, weil die Erkenntnisse über unsere alltäglichen Dämonen und die Auseinandersetzung damit alle Filme des Festes prägt.

CL: Ich mag Filmlisten nicht, sorry.

Wie würdet ihr eure Programmausrichtung beschreiben?

CL: Alles dreht sich um den Rand, den abseitigen Film. Dieser findet sich auf ganz unterschiedlichen Feldern: inhaltlich kontrovers, verschollen und Filme, die aktuell durchs Programmraster fallen.

VB: Die Frage, was einen Randfilm definiert, überlasse ich gerne den Anderen. Wir suchen aber immer kontroverses Zeug raus oder aber Filme, die keiner sehen will. Allerdings habe ich mich in letzter Zeit etwas vom sogenannten Genrekino abgewandt und dem unschaubaren Film zugewandt, wie der auch immer aussehen mag.

The Nightingale
Eines der diesjährigen Highlights: der kontroverse Rachethriller The Nightingale © Koch Films

Wie kommt es zur Filmauswahl und wie schwer ist es, die gewünschten Filme auch zu bekommen?

CL: Die Kuration hat ihren Ursprung immer im Thema – gesellschaftlich Relevantes oder Dinge, die uns auf der Seele brennen. Mit dem Blick nach vorn und zurück, sammeln wir dann Filme dazu – durch Recherche, bei Festivalbesuchen, durch Einreichungen. Der Stargast und die Retrospektive runden dann alles ab.

VB: Unsere thematische Ausrichtung, die jedes Fest kennzeichnet, geschieht nie nach einem gewissen Plan oder einer Strategie, aber uns interessieren leider manchmal zu viele Dinge in der Welt, als das wir jetzt schon sagen können, nächstes Jahr sind aber mal Filme über Migration dran oder Filme über Vegetarier. Allerdings haben wir in den letzten Jahren gelernt mit der Filmrecherche schon frühzeitig anzufangen, denn da gab es schon wirklich böse Überraschungen mit gierigen Rechteinhabern, zweifelhaften Verleihern und plötzlich verschollenen Kopien.

Was waren für euch die größten Herausforderungen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie?

CL: Erstmal, den Mut aufzubringen, ein Festival während der Pandemie durchzuziehen.

VB: Dass wir das jetzt durchziehen in Zeiten von Corona und einer weltweiten Seuche, hätte ich nie gedacht, besonders wenn ich an meine ureigenen Dämonen denken. Aber wir werden es tun.

Adoration
Auf der Suche nach dem „Gold der Jugend“ mit Adoration © Panique/Savage Film/The Jokers Films

Das diesjährige Festival steht unter dem Motto „Gold der Jugend“. Was steckt dahinter und worauf dürfen wir uns freuen?

CL: Die Jugend ist aus unserer Sicht schon eine Weile her und mit Sehnsucht verbunden. Gleichzeitig verstehen wir vieles nicht, was die Jugend heute ausmacht, was sie uns sagen will. Da wir immer noch nicht wie unsere Eltern sein wollen, wollen wir diesem Schatz durch das Programm auf die Spur kommen.

VB: Eigentlich sollte das diesjährige Fest pssst ! „Jugend ohne Sinn“ heißen, aber das war uns dann doch etwas zu dick aufgetragen und zu düster-pessimistisch in einer Zeit, in der Kids aufwachsen um ihre Jugend zu leben und eventuell zu genießen, während sie nicht wissen oder ahnen können, wie sich ihre Zukunft in Zeiten von Klimawandel, Seuche und Rechtspopulismus entwickeln wird. So haben wir uns dann in einem langen Diskurs auf eine Abwandlung von Schmidts Gold der Liebe geeinigt, der im Anfang sogar auf dem Fest laufen sollte. Wir haben uns dann für den Antagonismus des Goldes entschieden. Auf der einen Seite das Bling-Blang, der Reichtum, die Erlesenheit, ewiges Glück und Leben, Wohlstand und gesellschaftlicher Status und auf der anderen Seite die Chimäre, das Unerreichbare, der kurze Glanz und die schöne Leich. So möchten wir Jugend in ihren sehr unterschiedlichen Stimmungslagen und Zeitabschnitten filmisch abbilden, obwohl wir ja nicht aus unserer eher düsteren oder existenzialistischen Sichtweise von Gesellschaft und Sozialisation heraus kommen können und daher keine shiny happy kids zeigen werden.

The Trouble with Being Born
Frisch von der Berlinale 2020 aufs Randfilmfest: The Trouble With Being Born © Panama Film

Welche Filme im diesjährigen Programm würdet ihr unserer Leserschaft besonders ans Herz legen?

VB: Ich freue mich natürlich Filme aus meiner Jugend endlich mal wieder auf 35 mm zu sehen. Wir haben die großen Klassiker der Teenage-Angst mit dabei: Kids, Gummo, Christiane F.. Zeigen Dennis Hoppers zu Unrecht verfemtes Punk-Nihilismus-Denkmal Out Of The Blue zum allerersten Mal in blinkender 4k-Restauration. Verleihen den Rand-Award für den besten Langfilm diesmal natürlich auch an Filme, die Jugendliche abbilden und haben mit Andreas Dorau einen der besten und wichtigsten Entertainer aus dem deutschsprachigen Raum eingeladen, der neben einer Live-Performance auch noch sein filmisches Werk vorstellen wird.

CL: Die diesjährigen Beiträge zum „Rand Award Shorts“ haben eine ungeheure Qualität und sind sehr vielfältig. Das wird sehr spannend, wer hier das Rennen macht.

Das Randfilmfest tritt jedes Jahr mit einem beachtlichen Rahmenprogramm auf. Wie wichtig ist es für euch hier nicht einfach nur Filme zu zeigen, sondern eine umfassendere Auseinandersetzung mit Film und Kunst anzustoßen?

VB: Für mich geht nur das eine nur mit dem anderen. Sogenannte Kultur funktioniert für mich immer am Besten, wenn sie alle Disziplinen abbildet und zum Gesamtkunstwerk wird. Mein soft spot für den Barock ist aber nicht jedem bekannt. Ein Filmfest nur mit Filmen, ein Musikfestival nur mit Musik, das finde ich fad.

CL: Ein sehr abwechslungsreiches Programm zu bieten, war immer unser Ziel.

Nekromantik 2
Monika M. bei einer Live-Vertonung von Nekromantik 2 auf dem Randfilmfest

Was sind die größten Herausforderungen bei der Organisation eines Filmfestivals?

CL: Geld, Zeit und Beharrlichkeit!

VB: Das Teamwork, ein permanenter Glaube an die Sache und die Fähigkeit, nicht gleich hinzuschmeißen, wenn es mal so richtig mies läuft, keiner in die Filme gehen will und tiefrote Zahlen geschrieben werden.

Wohin soll sich das Festival noch entwickeln? Wo würdet ihr es gerne in 5, 10 Jahren sehen?

CL: Ich hoffe, wir stehen gesund auf beiden Beinen und uns fallen noch spannende Programme ein.

VB : Auf jeden Fall weitermachen, auch in Krisen, neue Ideen entwickeln, weiterhin viele Filme schauen, Musik hören, Bücher lesen, Kunst schauen. Selbst spannende Konzepte entwerfen und mit interessanten, für die „Sache“ brennenden Leuten kooperieren und etwas zusammen veranstalten.

Auch abseits der Festival-Zeit engagiert ihr euch mit eurem Verein „Randfilm“ in Kassel für abseitige Film- und Kinokultur. Was sind dabei eure Ziele und wie werdet ihr aktiv?

CL: Wir sind das ganze Jahr Kulturarbeiter und Filmarchäologen. Wir stellen Kinoprogramme her, publizieren, machen selbst Filme, betreiben eine Videothek mit Museum und Kino und pflegen Beziehungen und Projekte im Film- und Kulturkosmos.

VB: 24/7 Kulturarbeit und Mission für Randfilm. Kooperation jederzeit erwünscht.

Randfilmfest
Jörg Buttgereit und Marcus Stiglegger zu Gast auf dem Randfilmfest

Ihr betont vor allem das gemeinsame Erlebnis. Was macht das Kino in euren Augen zu einem besonderen Raum und wie steht ihr in dem Zusammenhang zu Streaming-Plattformen?

VB: Kino ist viel mehr als nur Filmschauen. Der dunkle Raum. Die Geräusche und versteckten oder offen vorgetragenen Emotionen der Anderen und natürlich auch die eigenen. Kein Ausweg, nur die pure Zentrierung des Blicks. Nothing else matters.

CL: Film ist multimedial und braucht für das beste Erlebnis einen strengen Raum jenseits der Ablenkung. Kino kann das am besten bieten, aber Home Entertainment ist kein Teufelswerk! Platz hat es schon immer für beides gegeben. Trotzdem muss das Kino als Kulturraum geschützt werden.

Vielen Dank für das Interview! Die letzten Worte gebühren euch: Möchtet ihr unseren Lesern noch etwas mitgeben?

CL: … and disturbance for all!

VB: “I can never read all the books I want; I can never be all the people I want and live all the lives I want.“ (Sylvia Plath)

 

© Randfilm e.V.

Seid gegrüßt, Ich habe unzählige Namen und erscheine in vielen Gestalten. Hier kennt man mich als Dark Forest und ich bin euer Gastgeber. Ich führe euch durch die verwinkelten Bauten, düsteren Wälder und verfallenen Ruinen. Immer mir nach!

...und was meinst du?