Kritik

Suicide Tourist – Es gibt kein Entkommen (2019) – Review

Der unheilbar kranke Max unternimmt eine letzte Reise, denn inmitten der eisigen Polarlandschaft liegt das luxuriöse Aurora Hotel, das für seine Gäste eine ganz besondere Dienstleistung bereithält: geplante und begleitete Suizide. In seinem zweiten Spielfilm Suicide Tourist nimmt Regisseur Jonas Alexander Arnby uns mit zu einem rätselhaften Nicht-Ort zwischen Leben und Tod und bewegt sich dabei wie schon bei seinem Debüt When Animals Dream leichtfüßig über Genre-Grenzen hinweg.

Originaltitel: Selvmordsturisten
Land: Dänemark/Norwegen/Deutschland
Laufzeit: 90 Minuten
Regie: Jonas Alexander Arnby
Drehbuch: Rasmus Birch
Cast: Nikolaj Coster-Waldau, Tuva Novotny, Kate Ashfield u.a.
VÖ: Seit dem 02.07.2020 im Kino

Inhalt

Bei der Suche nach einem verschwundenen Klienten stößt der Versicherungsagent Max (Nikolaj Coster-Waldau, Nightwatch – Nachtwache) auf die Spur des mysteriösen Aurora Hotels. Interessierte können Kontakt mit dem Hotel aufnehmen und werden nach einem Auswahlprozess in das an einem geheimen Ort gelegene Luxus-Ressort gebracht, um dort geplant und betreut ihrem Leben ein Ende zu setzen. Max, der unter einem inoperablen Hirntumor leidet und bereits mehrere halbherzige Suizidversuche hinter sich hat, entschließt sich, das Hotel aufzusuchen – halb aus Neugierde, halb aus Lebensüberdruss. Doch wer einmal im Aurora Hotel eingecheckt hat, verlässt es nicht mehr lebend.

Von der Schönheit des industrialisierten Sterbens

Wie würdevoll kann der letzte Gang eines Menschen sein? Und wer entscheidet darüber, wann es Zeit ist, ihn anzutreten? Das Thema Sterbehilfe sorgt auch hierzulande immer wieder für hitzig geführte Debatten. Es sind existenzielle und vor allem kontroverse Fragen, die Regisseur Jonas Alexander Arnby (When Animals Dream) in Suicide Tourist verhandelt, ohne dabei den moralischen Zeigefinger zu heben oder allzu viel Pathos zu bemühen.

Der Geist des Hauptcharakters wandelt auf zunehmend verschlungenen Pfaden, wobei unklar bleibt, inwieweit sein Verhalten und seine Entscheidungen bereits vom Hirntumor beeinflusst werden – und ob man seinen Sinnen noch trauen kann. Zeitsprünge, Auslassungen und Halluzinationen sorgen dafür, dass die fragmentierte Wahrnehmung sich auch auf die Zuschauenden überträgt und es eine Weile braucht, bis die Bruchstücke sich zu einem verständlichen Bild zusammensetzen lassen. Suicide Tourist behält zwar scheinbar eine Außenperspektive bei, doch färbt die Welt um Max herum sich zunehmend subjektiv ein, so dass letztlich die gesamte Ästhetik des Films seiner emotionalen Gedankenwelt verpflichtet ist.

Neben der achronologischen Erzählweise spiegeln auch entsättigte Farben, gedämpfte Akustik und die beinahe lähmend ruhige Inszenierung das bedrückende Innenleben des Protagonisten wider: wie in Watte gepackt, fühlt Max sich von der Außenwelt abgeschnitten, so dass selbst seine Partnerin Lærke (Tuva Novotny) nicht zu ihm durchdringen kann. Das Aurora Hotel erscheint ihm, nach zwei ebenso grotesk anmutenden wie klar zum Scheitern verurteilten Selbstmordversuchen, als eine paradiesische Verheißung.

Inmitten der übernatürlich wirkenden Polarlandschaft, ebenso lebensfeindlich wie atemberaubend schön eingefangen, wirkt das abgelegene Wellness-Ressort entrückt wie in einem Traum. Ein Schwellen-Ort zwischen Leben und Tod. Die surreale Atmosphäre und die vielen Leerstellen innerhalb der Erzählung wecken starke Assoziationen mit David Lynch, während die Dialoge der Gäste untereinander, aber auch mit dem Servicepersonal direkt aus der Feder eines Yorgos Lanthimos (The Lobster) stammen könnten.

Die exklusive Produktpalette des Aurora Hotels garantiert jedem Gast sein individuelles Sterbeerlebnis, noch dazu „umweltfreundlich und nachhaltig“, wie eine der Abschiedsberaterinnen betont. Der eigene Tod als Designerware, maßgeschneiderter Suizid im unpersönlichen Skandi-Chic. Meditative Yogastunden, Whirlpool-Entspannung unterm Sternenhimmel und ein pyjama-lastiger Dresscode lassen das Hotel zunächst idyllisch erscheinen, doch der bürokratische Apparat im Hintergrund – „Welche Urne wünschen Sie? Die biologisch abbaubare?“ – sorgt rasch für Unbehagen. Als Max mit ansehen muss, was den Gästen widerfährt, die wider Erwarten doch noch nicht bereit für den finalen Schritt waren, begreift er, dass seine Ankunft im Aurora Hotel endgültig ist.

Hektik kommt dennoch nicht auf, obwohl der etwas reißerische deutsche Titel Suicide Tourist – Es gibt kein Entkommen etwas anderes suggeriert. Die Action liegt tief begraben unter einer meterdicken Schneedecke, während Arnby sich vielmehr für die bizarre Parallelwelt des stylischen Hotels interessiert und die katastrophale Gefühlslage des Hauptcharakters erlebbar macht. Das distanzierte Spiel von Nikolaj Coster-Waldau tendiert nicht übermäßig dazu, Mitleid zu erwecken, dennoch wird Max‘ Verzweiflung – und auch die der anderen Gäste – gerade durch diese Reduktion spürbar.

An die Stelle melodramatischer Überfrachtung treten Irritationen und Brüche, die nicht zur sentimentalen Einfühlung einladen, sondern zum Nachdenken provozieren. Am Ende entscheidet Arnby sich allerdings unverhofft, der Handlung doch noch eine eindeutige Thriller-Wendung zu geben und der poetischen Reflexion über Leben und Tod einen waghalsigen Mystery-Twist aufzupfropfen, der freilich nicht ganz überzeugen kann. Optisch kann der Film hier zwar noch mit einigen Höhepunkten auftrumpfen, inhaltlich verschenkt er leider viel Potenzial.

Fazit

In seinem zweiten Spielfilm Suicide Tourist wagt Jonas Alexander Arnby einen surrealen Genre-Mix, der nicht auf kurzfristige Effekte, sondern auf einen langen Nachhall setzt. Die Inszenierung ist ähnlich kühl wie die Außentemperaturen des Aurora Hotels und fordert die Zuschauenden durch ihre radikale Behäbigkeit ebenso heraus wie durch ihre surreale Erzählweise, die mehr zu verschweigen als zu enthüllen scheint. So bleibt das ein oder andere Geheimnis des Luxus-Ressorts leider im Dunkeln. Dafür besticht Suicide Tourist mit visueller Virtuosität und beklemmender Atmosphäre, die eine Reflexion über das Sterben jenseits sentimentaler Klischees erlauben und viel Stoff zum Nachdenken liefern.

 

Bewertung

Grauen Rating: 3 von 5
Spannung Rating: 2 von 5
Härte  Rating: 1 von 5
Unterhaltung  Rating: 4 von 5
Anspruch  Rating: 4 von 5
Gesamtwertung Rating: 4 von 5

Bildquelle: Suicide Tourist – Es gibt kein Entkommen © DCM Distribution

Horrorfilme… sind die Suche nach Erfahrungen, die man im echten Leben nicht machen möchte. Sie bilden individuelle wie kollektive Ängste ab, zwingen uns zur Auseinandersetzung mit Verdrängtem und kulturell Unerwünschtem – und werden dennoch zur Quelle eines unheimlichen Vergnügens.

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