Kritik

The Unkindness of Ravens (2016) – Review

Mit The Unkindness of Ravens wagt sich Regisseur Lawrie Brewster in die Psyche des traumatisierten Kriegsveteranen Andrew, der in der Abgeschiedenheit des schottischen Hochlands seine Erlebnisse zu verarbeiten sucht. Wir haben ihn begleitet und herausgefunden, wie unfreundlich Raben wirklich sein können.

Originaltitel: The Unkindness of Ravens
Land: Großbritannien
Laufzeit: 85 Minuten
Regie: Lawrie Brewster
Drehbuch: Sarah Daly
Cast: Jamie Scott Gordon, Michael Brewster, Lain Mitchell Leslie u.a.

Inhalt

Seit Andrew (Jamie Scott Gordon, Lord of Tears) aus dem Afghanistankrieg zurückgekehrt ist, wird er Tag für Tag von Raben verfolgt; die schwarzgefiederten Unglücksboten sind seine ständigen Begleiter. Um seine traumatischen Erlebnisse als Soldat zu verarbeiten, zieht er sich in eine einsame Hütte in den schottischen Highlands zurück. Durch Poesie und Wanderungen in der majestätischen Landschaft versucht er sich Linderung zu verschaffen. Doch wohin er auch geht, empfängt ihn hämisches Krächzen. Und so kommt es zur Konfrontation mit den Dämonen, die Andrew aus dem fernen Krieg mit in die Heimat gebracht hat.

Kritik

Mit The Unkindness of Ravens hat Lawrie Brewster uns 2016 nicht nur ein ausgefuchstes Wortspiel beschert – „Unkindness“ bezeichnet neben Unfreundlichkeit im Englischen auch eine Gruppe von Raben – sondern dazu noch einen ausgesprochen eindrucksvollen Independent-Film. Die Prämisse ist dabei nicht sonderlich spektakulär:Ein Veteran kehrt aus dem Krieg heim und wird von seinen Erlebnissen und Taten geplagt. Doch The Unkindness of Ravens schafft es, das bewährte Muster in eine ganz eigene Form zu überführen.

Alles beginnt mit Protagonist Andrew. Hautnah erleben wir seine Verrichtungen vor der Abreise in die Highlands. Auch dort angekommen sind wir durchgehend bei ihm, begleiten Andrew beim Wandern, sehen ihn Gedichte schreiben und nicht zuletzt immer wieder in Tagträume abdriften, die ihn zurück in den Krieg führen. Zu Beginn noch sehr vage, fügt sich im Verlauf des Films ein Muster zusammen, das den Schlüssel zu seinem Trauma ergibt. Bemerkenswert ist die Nähe, die hier zwischen uns und der Figur entsteht. Wir erleben Andrew in seinen guten Momenten, meist wenn er in der Wildnis unterwegs ist, sowie nahe am Zusammenbruch. Die Kamera beobachtet nicht nur, sondern spiegelt in ihrer Arbeit Andrews Psyche. In den stabilen Phasen ist auch die Kamera meist ruhig und statisch, während lange Panoramaaufnahmen ein Gefühl von Ruhe vermitteln. Wenn sich hingegen die Fragilität von Andrews Contenance bemerkbar macht, weist auch die Kamera oft ein leichtes Zittern auf, die Einstellungen sind näher, die Schnitte rascher. In diesem Wechselspiel entsteht eine Intimität, die uns eindringlich an die Hauptfigur bindet.

Dieser Screentime wird Jamie Gordon Scott mehr als gerecht. Nie wirkt er auf der Leinwand verloren. Immer scheint irgendetwas in ihm vorzugehen, selbst, wenn er nicht spricht, sind seine Mimik, seine Körpersprache voll von Kommunikation und Gefühl. Dabei bleibt alles im richtigen Maß, nichts wirkt gekünstelt oder übertrieben. So trägt Gordons Schauspiel einen guten Teil zur Intensität des Films bei.

Ein ebenso wichtiger Baustein ist jedoch die Bildsprache, mit der Brewster uns in den Verstand eines PTBS-geplagten Kriegsveteranen führt. Ein gewagtes Unterfangen, denn wie bearbeitet man einen derart sensiblen Zustand? Tatsächlich ist die Nähe zur Figur auch hier wichtig und wir lernen uns in Andrew hineinzufühlen. Die Passagen, in denen er aus dem Off seine Gedichte rezitiert erhalten so eine beinahe gespenstische Schönheit, spiegeln sie doch die Zerbrechlichkeit seiner Fassung. Und wenn diese Fassung immer mehr Sprünge bekommt, wird sein Hinabsinken in den Strudel der Erinnerungen, die er mit sich herumträgt, auch für uns immer schmerzlicher. Auslöser für diese Episoden sind meist die Raben, die seine Hütte Tag und Nacht belagern und ihn selbst auf seinen Wanderungen begleiten. Raben gelten über kulturelle Grenzen hinaus als Boten von Unglück und Tod. In dieser Eigenschaften brechen sie auch über Andrew herein, und manifestieren sich zum Ende hin als maskentragende Dämonengestalten, die ihn in seinem eigenen Purgatorium bis in alle Ewigkeit zu quälen trachten. Doch liegt mehr in diesen Vögeln als die bloße Folklore. Immer wieder wird Andrew in eine Episode während des Krieges zurückversetzt in der er Zeuge wird, wie ein Schwarm von Raben sich über seine gefallenen Gefährten hermacht. Sie sind die einzigen Profiteure des Geschehens, die keine Seite, keine Loyalitäten kennen, in ihrem eigensinnigen Lauern auf den nächsten Happen Fleisch der sich von bleichen Knochen picken lässt. In ihnen offenbart sich die ganze Sinnlosigkeit des Krieges, des Leides, des Tötens und Sterbens. Langfristig ist niemandem gedient außer den finsteren Aasfressern, die sich am Sterben bereichern.

Doch die Raben sind letztlich nicht der Feind. Der Feind ist Andrew selbst. Dies zeigt sich schon recht früh, wenn er seinem Double, seinem „bösen Zwilling“, wie er ihn nennt, begegnet. Dieses in Militäruniform gekleidete, verzerrte Spiegelbild seiner selbst setzt sich zusammen aus seiner Wut, dem Genuss, den er im Krieg gespürt hat, genauso wie seiner Angst. Nicht nur vor dem, was passiert ist, sondern auch und vielleicht gerade, vor der Verantwortung für die Taten die er begangen hat. Andrews Double will nichts außer Sterben und Vergessen. Doch Andrew selbst muss erkennen, dass es kein Vergessen gibt, und dass er sich mit dem, was er erlebt hat, auseinander setzten muss. So werden die Tagträume immer weitschweifiger, immer surrealer, verschmelzen immer weiter mit der Realität, sodass auch wir uns irgendwann außerstande sehen zu bestimmen, was wirklich ist und was dem gebrochener Geist eines müden Soldaten entspringt. In diesem Verschwimmen von Realität und Traum löst sich jeder Halt auf. alles spitzt sich auf einen einzigen katharischen Moment hin zu, der aufgrund der von uns genommenen Last wirkt, als würde sich ein Schleier lüften.

All das setzt Brewster mit beeindruckender Stilsicherheit um. Die Kulissen sind schlicht, aber ausgesprochen wirkungsvoll; gerade die Außenaufnahmen der kahlen, trostlosen Highlands können sich sehen lassen und schaffen einen passenden Rahmen. Die Farben sind überwiegend eher blass gehalten, was die Tristesse des Settings unterstützt. In den PTBS-geschwängerten Wahnvorstellungen wiederum herrschen grelles Licht und schrille Gelbnuancen vor. Diese erinnern an öde Felswüsten, gleichzeitig wirkt die Landschaft hier lebensfern und steril. Auch die Effekte sind ausgesprochen wirkungsvoll. Merklich wird das gerade zum Ende hin, wenn Brewster den Goreregler überraschend hochstellt und The Unkindness of Ravens noch einmal eine besondere Dichte und Intensität verleiht, welche die Befreiung die man am Ende verspürt, noch umfassender machen.

Fazit

The Unkindness of Ravens ist, was man zurecht als Perle des Undergrounds bezeichnet. Ein wahnsinniger Ritt von den schottischen Highlands durch die Wüsten Afghanistans bis tief in die menschliche Psyche. Präsentiert in filigraner Detailarbeit und getragen von einem herausragenden Hauptdarsteller, bietet Lawrie Brewster uns eine Mixtur aus den Schrecken des Krieges und denen der Seele: Gewaltspitzen treffen auf Atmosphäre und nachdenklichen Tiefgang.

 

Bewertung

Grauen Rating: 5 von 5
Spannung Rating: 5 von 5
Härte Rating: 4 von 5
Unterhaltung Rating: 4 von 5
Anspruch Rating: 4 von 5
Gesamtwertung Rating: 5 von 5

Bildquelle: The Unkindness of Ravens © Hex Media

Horrorfilme… sind für mich das Erkennen, Überschreiten und Herausfordern von gesellschaftlichen Grenzen durch abgründige Ästhetik und damit Kunst in ihrer reinsten Form. Vor allen Dingen machen sie aber einfach unfassbar Spaß.

...und was meinst du?