Freaks
Kritik

Freaks (1932) – Review

Freaks wurde seinerzeit vom Publikum verschmäht und von der Kritik verrissen. Heutzutage gilt der Film von Tod Browning als Meisterwerk. Wir haben uns für euch unters Zirkusvolk gemischt, um dem auf den Grund zu gehen.

Originaltitel: Freaks
Land: USA
Laufzeit: 64 Minuten
Regie: Tod Browning
Drehbuch: Willis Goldbeck, Leon Gordon
Cast: Harry Earles, Daisy Earles, Olga Baclanova u.a.
Vorlage: Kurzgeschichte „Spurs“ von Tod Robbins

Die Geschichte nimmt ihren Lauf…

Freaks entführt uns in die Welt eines fahrenden Kuriositätenkabinetts. Das alltägliche Treiben der Freaks und Artisten wird aufgewühlt, als der kleinwüchsige Hans (Harry Earles, Die unheimlichen Drei), trotz aller Warnungen seiner Freunde, beschließt die Trapez-Artistin Cleopatra (Olga Baclanova, Der Mann, der lacht) zu ehelichen. Doch schon bei der großen Hochzeitsfeier, bei der die Braut in den Kreis der Freaks aufgenommen werden soll, zeigt diese ihr hässliches Gesicht. Cleopatra, die nur auf Hans Vermögen aus ist, glaubt mit ihrem Gemahl und den anderen Freaks leichtes Spiel zu haben, doch diese gedenken nicht die Machenschaften einfach so hinzunehmen…

Die Geburt eines Phänomens

Für Regisseur Tod Browning war die Welt des Zirkus, der Kuriositätenkabinette und Wanderjahrmärkte keineswegs eine fremde. Denn obwohl er in einer wohlhabenden Familie in den Südstaaten aufwuchs, riss er mit 16 von zuhause aus und schloss sich einem Zirkus an, wo er unter anderem als Clown arbeitete. In den 1910ern verschlug es Browning dann zum Film, wo er Horrorfilm-Ikone und „den Mann mit den 1000 Gesichtern“ Lon Chaney (Das Phantom der Oper, 1925) kennenlernte. Mit Chaney drehte er unter anderem Die unheimlichen Drei (1925) und Der Unbekannte (1927), die beide im Zirkus-Milieu angesiedelt sind und denen Brownings Vorerfahrung sehr zu Gute kam. Schon diese beiden Filme konnten durch ihre mitfühlende Darstellung der Zirkusartisten glänzen und Browning zeigte seine Vorliebe für Außenseiter und düstere Stoffe. Einige Jahre später wurde Browning verpflichtet Bram Stokers „Dracula“ zu verfilmen, wofür zunächst Lon Chaney die Rolle des Grafen übernehmen sollte. Doch dieser verstarb leider kurz vor den Dreharbeiten, wodurch der ungarische Schauspieler Bela Lugosi zum Zuge kam. Universals Dracula war ein riesiger Erfolg und trat in den USA eine wahre Welle an Horrorfilmen los.

Metro-Goldwyn-Mayer wollte natürlich auch etwas vom Kuchen abhaben und verpflichtete Browning den schrecklichsten Horrorfilm aller Zeiten zu drehen, wofür Browning nach dem immensen Erfolg mit Dracula ziemlich freie Hand hatte. Doch die Verantwortlichen bei MGM hatten keine Ahnung, auf was sie sich da eingelassen hatten. Die ersten Testvorführungen fielen katastrophal aus. Menschen rannten in Scharen aus den Kinos, wodurch das Studio die Notbremse zog und Freaks radikal kürzen ließ. Gerade die Gewaltspitzen im Finale wurden komplett gestrichen wie auch einige Szenen aus dem Epilog, die zu gewagt erschienen. Von den ursprünglichen 90 Minuten blieben somit nur noch 64, und das geschnittene Material gilt leider als verloren.
In dieser gekürzten Version wurde Freaks auf das Publikum losgelassen und das Ergebnis war ein reines Desaster. Nicht nur blieb das Publikum aus, auch ein Großteil der Stimmen der Kritiker war verheerend und attestierte Hollywood einen neuen moralischen Tiefpunkt. Der Film wanderte für 30 Jahre in den Giftschrank, bevor er in den 60er Jahren rehabilitiert wurde und heute zu den großen Meisterwerken der Filmgeschichte zählt.

Die Besonderheit von Freaks

Es gibt viele Punkte, die Freaks zu einem außergewöhnlichen Seherlebnis machen und diesen Status in meinen Augen mehr als rechtfertigen. Zum einen gibt der Film einen beachtlich authentischen Einblick in den Alltag eines Kuriositätenkabinetts beziehungsweise Jahrmarkts vor rund hundert Jahren und das wirklich Beachtliche dabei ist, mit welch humanistischem und empathischem Auge Tod Browning hier auf das Leben der Ausgestoßenen schaut. Natürlich ist Freaks keine Dokumentation und in seiner Darstellung dramaturgisch überzeichnet, jedoch merkt man dem Film deutlich an, dass Browning Erfahrung mit dem Sujet hat.
Dies zeigt sich vor allem beim wundervollen Jahrmarkt-Flair, das der Film erzeugt, und dem grundsätzlich sehr einnehmenden Setting. Gerade die Beschränkung auf einige Wägen und ein Zirkuszelt nimmt dem Film auch die Künstlichkeit einer Studiobühne und lässt ihn noch einmal zusätzlich authentischer wirken. Es ist daher auch eine wahre Freude sich in den ganzen Details des Sets zu verlieren.

Browning lässt sich glücklicherweise in seiner Exposition viel Zeit das facettenreiche Leben der Freaks in all ihren Eigenheiten darzustellen, sodass wir das Glück haben, einen Großteil der Performer näher kennenlernen zu dürfen. Sobald der Film jedoch seine Einführungsrunden beendet hat und den Hauptplot anstößt, nimmt er ordentlich Fahrt auf. Die im Grunde sehr simple Geschichte rund um Liebe und Verrat ist äußerst straff erzählt und erlaubt sich keinerlei Leerlauf. Sobald der Konflikt erst einmal angestoßen wurde, rast der Film auf seine Klimax und damit auf sein schockierendes Ende zu, das es auch heute noch in sich hat.
Ein absoluter Höhepunkt in der Inszenierung ist dabei zweifelsfrei die Heiratsszene, die von Browning, einem Stummfilm gleich, mit kaum Dialogen und ausdrucksstarken Bildern arrangiert wurde. Das wenige Gesagte hat sich dafür umso mehr in den Gehörgängen der Popkultur eingenistet – und das nicht nur durch einen Song der Punk-Urgesteine Ramones.

Gerade für Freaks ist die Besetzung ein wichtiger Knackpunkt und diese könnte charmanter und niederträchtiger kaum sein. Olga Baclanova als Antagonistin Cleopatra ist wundervoll hassenswert. Vier Jahre zuvor konnte diese schon als Herzogin Josiana in Paul Lenis Der Mann, der lacht überzeugen, was wohl auch einer der Hauptgründe war, sie für diese Rolle zu engagieren. Aber auch die anderen Schauspieler können durchaus überzeugen. Vor allem Wallace Ford ist die Rolle als charmanter Clown Phroso wie auf den Leib geschrieben.
Im Mittelpunkt stehen aber natürlich die Freaks, die zu einem großen Teil keine Schauspielerfahrung hatten, sondern direkt aus den Kuriositätenkabinetten des Landes kamen. Daher mögen vielleicht so manche Dialoge etwas gestelzt wirken, aber dafür entsteht auch eine gewisse Natürlichkeit, die dem Film sehr gut tut. Dies kommt vor allem der Exposition zu Gute und lässt das gemeinsame Zirkusleben sehr ungezwungen erscheinen. Die Entscheidung Brownings hier auf Make-Up zu verzichten und auf Menschen mit Behinderung zu setzen, machte den Film seinerzeit zu einem Skandal.

Denn anders noch als heutzutage wurden Menschen mit Behinderungen damals möglichst fernab von allen anderen weggesperrt – sofern sie denn überhaupt überlebten – oder als Freaks vorgeführt. Diese Menschen fernab von Freakshows in dieser Form ins Rampenlicht zu stellen, war unerhört. Was Freaks so besonders macht, ist, dass er nicht nur diese Menschen ins Licht holt, sondern sich zudem ernsthaft mit dem Leben und der Gefühlswelt dieser Menschen auseinandersetzt und sie nicht nur als Vehikel, um die Story voranzutreiben, oder für billige Lacher benutzt. Freaks gelingt es, die Menschen hinter ihren Auffälligkeiten sichtbar zu machen und hat damit auch vielen Produktionen heutzutage so einiges voraus.
Der Streifen behandelt seine Freaks mit Respekt und zeigt, dass es einen Ort der Akzeptanz gibt für Menschen, die von der Gesellschaft ausgestoßen wurden. Gerade diese hinreißende Darstellung dieser Ersatzfamilie macht Freaks zu so einer wundervollen Filmerfahrung.

We accept her. One of us. Gooble-Gobble

Freaks ist ein Film, wie er heute wohl nicht mehr möglich wäre und der für Browning das Ende seiner Karriere bedeutete. Ein humanistischerer Einblick in diese Freakshows ist kaum denkbar und wurde seitdem auch nie wieder erreicht. Und während andere Filme seiner Zeit teilweise äußerst schlecht gealtert sind, brilliert Freaks nach wie vor als überragendes Meisterwerk, dem der Zahn der Zeit nichts anzuhaben vermag. Denn Freaks feiert die völlig zeitlose Idee des Andersseins – und das ist einfach nur schön.

 

Bewertung

Grauen Rating: 3 von 5
Spannung Rating: 3 von 5
Härte  Rating: 1 von 5
Unterhaltung  Rating: 5 von 5
Anspruch  Rating: 3 von 5
Gesamtwertung Rating: 5 von 5

Bildquelle: Freaks © Warner Home Video

Horrorfilme sind für mich ein Tor zu den unheimlichen, verstaubten Dachböden und finsteren, schmutzigen Kellern der menschlichen Seele. Hier trifft man alles von der Gesellschaft abgeschobene, unerwünschte, geächtete, begrabene: Tod, Schmerz, Angst, Verlust, Gewalt, Fetische, Obsession. Es ist eine Entdeckungsreise auf die "Schutthalde der Zivilisation". Auf diese Reise würde ich euch gerne mitnehmen.

...und was meinst du?