Kritik

Die Farbe aus dem All (2019) – Review

Siebzehn Jahre nach seinem esoterischen Kultstreifen Dust Devil feiert Richard Stanley sein langersehntes Comeback. H.P. Lovecraft begleitet Stanley seit Kindesbeinen und dessen Verfilmung ist für den Südafrikaner sehr persönlich. Doch was Lovecraft im Kern ausmache und wie man ihn werkgetreu adaptiere ist bis heute umstritten – wir haben uns einmal angeschaut, wie stimmig Stanleys Umsetzung der „Farbe aus dem All“ geworden ist.

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:
VÖ:

Color Out of Space
USA
111 Minuten
Richard Stanley
Richard Stanley, Scarlett Amaris
Nicolas Cage, Joely Richardson, Tommy Chong u.a.
Ab 05.03.2020 im Kino / ab 26.03.2020 im Handel

Inhalt

Nach der krebsbedingten Brustentfernung bei seiner Frau Theresa (Joely Richardson, Event Horizon) zieht Nathan Gardner (Nicolas Cage, Mandy) mit ihr in die einsame Peripherie New Englands, um der Hektik städtischen Lebens zu entfliehen. Während sie versucht, sich trotz schlechter Internetanbindung weiterhin als Finanzberaterin zu verdingen, betätigt er sich begeistert als Gemüsefarmer und hält Alpakas – die „Nutztiere der Zukunft“. Ihre drei Kinder nehmen das Aussteigerleben unterschiedlich auf: Heavy-Metal-Fan Lavinia (Madeleine Arthur, Big Eyes) fühlt sich zunehmend zu esoterischen Traditionen hingezogen, Ältester Benny (Brendan Meyer, iZombie) vernachlässigt die Farmarbeit, um heimlich Joints zu rauchen, und Nesthäkchen Jack (Julian Hilliard, Spuk in Hill House) wird immer introvertierter. Als eines nachts – ausgerechnet als Nathan und Theresa nach langer Zeit wieder einmal miteinander schlafen – ein merkwürdiger Meteorit vor der Farm einschlägt, wird nicht nur der Erdboden, sondern auch das ohnehin schon sonderliche Familienleben der Gardners erschüttert…

Hintergrund und Kritik

Darf man die Schauergeschichten H.P. Lovecrafts modernisieren? – „Muss man!“, sagt Richard Stanley. Der unvermittelte Einbruch völlig fremder, überwältigender Kräfte in das Leben der ahnungslosen Menschen entfalte seine volle Wirkung beim Lesenden bzw. Zuschauenden nur dann, wenn er in der eigenen Gegenwart und Lebenswelt erfolge. Stanley nimmt hier eine radikale Gegenposition zu jenen ein, die Lovecrafts kosmischen Schrecken eng an dessen Wirkzeit, das frühe zwanzigste Jahrhundert, rückbinden. Verständlicherweise war die Sorge groß, als Elijah Woods Produktionsstudio SpectreVision Die Farbe aus dem All ankündigte – als in die Gegenwart transportierte Adaption mit vielen Freiheiten und Trivialfilm-Ikone Nicolas Cage in der Hauptrolle.

Den Fokus auf die Gardners, bei Lovecraft nur als Teil einer Binnenerzählung angelegt, die dem namenlosen Ich-Erzähler vorgetragen wird, zu legen, ist eine Verschiebung, die weit größeren Wert auf deren individuelle Gedanken- und Gefühlswelt legt. Dies ist wohl Stanleys erstes „Darf man das?“, dienen bei Lovecraft die Protagonisten doch mehrheitlich nur als „Sinnesorgane auf zwei Beinen“, die den Lesenden das Miterleben ermöglichen, deren Persönlichkeit jedoch zweitrangig ist. Lovecraftscher Horror steht damit jenem von Filmen wie Hereditary oder Der Leuchtturm, die maßgeblich am Seelenleben ihrer Figuren interessiert sind und ihren Schrecken vor allem daraus beziehen, diametral gegenüber. Erfolgreich inszeniert wurde dieser Umstand bislang vor allem in Andrew Lemans (The Call of Cthulhu) Produktionen und Huan Vus Die Farbe, die in ihrer allgemeinen Reduziertheit einen wohltuenden Back-to-the-roots-Ansatz in Sachen Lovecraft verfolgen.

Stanley jedoch sieht den „Geiste Lovecrafts“ primär darin, den Schrecken des vollständig Fremden ins Eigene zu tragen – und dieses Eigene müsse für den Zuschauer nachvollziehbar sein. Seine Gardners sind daher echte Bewohner des einundzwanzigsten Jahrhunderts, mit allzu menschlichen Hoffnungen und Ängsten. Der namenlose Ich-Erzähler der Kurzgeschichte kommt in Form der Nebenfigur Ward (Elliot Knight, American Gothic) vor, die als fachkundiger Hydrologe zwar der Entfaltung des Plots hilfreich zur Seite steht, jedoch keinesfalls zentral ist. Dreh- und Angelpunkt des Films ist vielmehr Tochter Lavinia, in der Richard Stanley mit seiner Vorliebe für Esoterik und exzentrische Rockmusik mehr als einen seiner eigenen Charakterzüge verewigt hat. Überhaupt erscheint das Figurenensemble als typische Konstellation amerikanischer Archetypen: die unangepasste Jugendliche, der introvertierte, junge Träumer und ein Familienvater, der trotz allem versucht, die Ordnung aufrecht zu halten. Dazu gesellt sich neben Ward noch der alte Ezra, allerliebst verkörpert von Tommy Chong (Leo aus Die Wilden Siebziger), ein wirrer Althippie, der seine ganz eigenen Theorien zu den sich ankündigenden Geschehnissen hat.

Über diese Anordnung lässt Stanley das außerirdische Unheil hereinbrechen, und was für eines. Sieht man den Computereffekten ihre günstige Machart zwar in ein, zwei Momenten durchaus an, besticht die Optik des Films dennoch durch einen ausgesprochenen Mut zur Künstlichkeit und einem überzeugenden Creature Design, das einen nicht nur bei den bedauernswerten Alpakas erschaudern lässt. Dabei bleibt Die Farbe aus dem All – hatte man doch entweder mit einer Katastrophe oder mit einem Spektakel sondergleichen gerechnet – überraschend bodenständig. Stanley erzählt seine Version der Lovecraft-Geschichte, ohne sich in große Psychologisierungen zu vertiefen oder seiner Monsteraction allzu viel Screentime zu geben. Stattdessen wirkt der Film überraschend ausgewogen – und gerade darin liegt seine große Stärke.

Im Grunde ist Die Farbe aus dem All klassisches Erzählkino rund um eine Familie, die sich mit dem wandelbaren Grauen unbekannter Mächte konfrontiert sieht – dem vielfach mit ihm in Verbindung gebrachten Mandy könnte er daher unähnlicher kaum sein. Nicolas Cage, wenngleich er seine ikonischen Ausrastmomente selbstverständlich bekommt, steht trotz aller Bewerbung auf Postern und Filmverpackungen nicht viel mehr im Vordergrund als die übrigen Gardners. Stanleys Perspektive auf das außerirdische Grauen ist somit eine kaleidoskopische: Unterschiedliche Menschen gehen unterschiedlich damit um, suchen nach verschiedenen Bewältigungsstrategien und setzen das Übel mit ihrer individuellen Situation in Verbindung.

Wieder einmal deutlich wird Stanleys Liebe für Außenseiterfiguren, bauen doch Wunderling Ezra und Träumer Jack sowohl den ersten als auch intimsten, fast freundschaftliche Kontakt zum schaurigen Unbekannten auf. Während Lavinia hingegen Schutz in ihren okkultistischen Ritualen sucht, versucht Vater Nathan die Normalität im Hause so lange aufrecht zu halten, bis es ihn geistig bricht. Getragen vom hypnotischen Score Colin Stetsons erinnert Die Farbe aus dem All gelegentlich an eine leichtfüßigere Version von Hereditary, die auf dessen tiefgreifende Charakterzeichnung verzichtet, um sich voll und ganz dem Skizzieren intensiver werdender, unheilvoller Omen zu widmen – ein „klassischer Lovecraft“. In anderen Momenten ähnelt er optisch wie erzählerisch dem großartigen The Endless, in dem ebenfalls persönliche Einzelschicksale auf lovecraftartiges Grauen prallen. Mit diesem teilt er auch ein fast schon versöhnliches Ende – in beiden Filmen ist niemand mit sich selbst im Reinen, niemand scheint so wirklich zu wissen was er will oder wo er hingehört, und in beiden Fällen positioniert die Konfrontation mit dem gänzlich Unbekannten die Bedeutung menschlichen Daseins gänzlich neu.

Auf den ersten Blick haut Die Farbe aus dem All also inszenatorisch weit weniger auf den Putz, als man erwartet – oder gar befürchtet – hätte. Einen permanent aufgedrehten Cage wie in Mandy sucht man vergebens. Und auch in punkto surrealer Optik vermag er zwar durchaus zu punkten, doch an die programmatische Bildgewalt von Annihilation kommt er nicht heran. Wie schon Daniel Haller mit The Dunwich Horror, erweckt der Südafrikaner stattdessen die Stoffe Lovecrafts dadurch zum Leben, dass er ihre Schnittstellen mit seiner eigenen Lebenswelt auslotet. Wie aus einem Baukasten popkultureller, genretypischer und sehr persönlicher Elemente konstruiert Stanley den Rahmen, auf den er den Lovecraftschen Horror loslässt – so detailreich ausdifferenziert wie für die Geschichte nötig, dem Surrealen so viel Raum lassend wie möglich. Und obwohl auf den ersten Blick sehr frei interpretiert wirkend, bleibt sein Film damit H.P. Lovecraft durchaus treu.

Fazit

Die Farbe aus dem All spielt mit offenen Karten. Stanley, von Kindesbeinen an ein großer Lovecraft-Verehrer, versucht nicht, den Kultautor für ein eigenes Opus Magnum zu instrumentalisieren. Weder trachtet er danach, sich durch eine besonders authentische Adaption hervorzutun, noch glaubt er, irgendetwas besser schreiben zu können als der Altmeister selbst. Seine Veränderungen an der Vorlage stehen ganz im Zeichen des Wunsches, all den Wahnsinn und die existenzialistischen Fragen, die Lovecrafts Werk kennzeichnen, so aufzubereiten, dass das Publikum der Gegenwart sie erfährt.

Im Digitalzeitalter scheint der brausende Mahlstrom der Popkultur jeden literarischen Stoff längst vereinnahmt zu haben. Lovecraft ist in der einen oder anderen Form überall – von Videospielen und Plüschtieren bis hin zu South Park und Superheldencomics. Eine kunterbunte Marke unter vielen, die mit teils großer Begeisterung konsumiert wird. Und ein bisschen ist es so, als versuche Stanley, dieses Prinzip umzukehren: Die Gegenwartskultur „durch die Brille Lovecrafts zu lesen“ statt umgekehrt. Eine gelungenere Würdigung kann es im einundzwanzigsten Jahrhundert wohl kaum geben.

Bewertung

Grauen Rating: 4 von 5
Spannung Rating: 3 von 5
Härte  Rating: 3 von 5
Unterhaltung  Rating: 4 von 5
Anspruch  Rating: 3 von 5
Gesamtwertung Rating: 4 von 5

Ab 26.03.2020 im Handel:

Die Farbe aus dem All Die Farbe aus dem All

Bildquelle: Die Farbe aus dem All © Koch Media

 

Horrorfilme… sind die audiovisuelle Adaption des gesellschaftlich Abgestoßenen, Verdrängten und/oder Unerwünschten, das in der einen oder anderen Gestalt immer wieder einen Weg zurückfindet.

One Comment

...und was meinst du?