Alison Peirse
Interview

Interview mit Filmwissenschaftlerin Alison Peirse (Teil 2 von 3)

Wir hatten im Zuge des letzten /slash Filmfestivals in Wien das Vergnügen ein Interview mit der britischen Horrorexpertin Alison Peirse zu führen, die beim Festival die Female-Terror-Schiene kuratierte. Dementsprechend drehte sich unser Gespräch auch in erster Linie um Frauen im Horrorgenre.

Peirse ist Dozentin für Film und Medien an der University of Leeds mit dem Schwerpunkt Horror. Sie hat bislang vier Bücher geschrieben, die Veröffentlichung des Neuesten folgt im September diesen Jahres und trägt den Titel „Women Make Horror: Filmmaking, Feminism, Genre“.

Hier gelangt ihr zum ersten Teil des Interviews.

Im zweiten Teil unseres Interviews haben wir mit Alison Peirse über die Zunahme an Filmemacherinnen im Horrorgenre, ihr neues Buch und Rape-Revenge-Filme gesprochen. Wir wünschen viel Spaß!


In den letzten Jahren gab es immer mehr Frauen, die Regie führten. Zum Beispiel Jennifer Kent (Der Babadook, The Nightingale), Veronika Franz (The Lodge), Coralie Fargeat (Revenge), Julia Ducournau (Raw) oder Lisa Brühlmann (Blue My Mind). Dazu noch die von Regisseurinnen gedrehte Horror-Anthologie XX und das Final Girl Filmfest in Berlin. Ich denke, es passiert gerade sehr viel. Siehst du eine Verbesserung zurzeit, gibt es eine Entwicklung zu mehr Frauen im Horrorfilm?

Ich denke, wir leben in einer Zeit, die besser ist als alles zuvor, was Filmemacherinnen im Horror betrifft. Das ist historisch definitiv die beste Zeitperiode allein was die Anzahl an Frauen betrifft, die ihren Durchbruch feiern, und die Anzahl an Filmen von Frauen mit internationaler Aufmerksamkeit und internationalem Vertrieb. Es ist auch großartig zu sehen, wie viele Festivals, das /slash eingeschlossen und auch das Final Girls Berlin, viele Kurzfilme im Programm haben, denn die meisten Filmschaffenden beginnen mit diesen. Die Aufmerksamkeit, die Filmschaffende wie Prano Bailey-Bond, eine britische Filmemacherin, international durch solche Kurzfilm-Schienen auf Festivals bekommen, ist wirklich wunderbar. Wir sind heute in der besten Position, in der wir je waren. Doch es sei gesagt, dass viele der Filme über die wir sprechen, mit keinem bis wenig Budget oder sehr unabhängig entstanden sind. Die Finanzierung wurde von unzähligen verschiedenen Quellen zusammengekratzt. In Bezug auf die großen Hollywood-Studios sind Frauen jedoch nach wie vor ziemlich rar. Da gibt es Menschen wie Ana Lily Amipour, die A Girl Walks Home Alone at Night für die Produktionsfirma von Elijah Woods (Anm.: SpectreVision) gedreht hat. Das ist kein großes Studio, es ist noch immer recht klein, aber da hängen wichtige Leute aus dem Business dran. Der amerikanische Film Quija – Spiel nicht mit dem Teufel ist von einer Frau mitgeschrieben worden, aber an das große Geld wie bei Blumhouse Produktionen kommen wir noch immer nicht heran – im Sinne von, dass Frauen in den für mich interessantesten, kreativen Rollen wie Regie, Drehbuch oder Produktion zum Zug kommen. Das sind die Positionen, die mich interessieren. Und diese sehen wir bei den großen Studios kaum weiblich besetzt. Man kann nur hoffen, dass die schiere Anzahl an Frauen, die aktuell international erfolgreiche und auf großen Festivals Preise abräumende Indie-Spielfilme drehen, dass diese genug Gewicht haben, um zu den großen Hollywood-Produktionen durchzudringen. Aber ich denke nicht, dass wir bereits dort sind. Ich hoffe es. Ich denke nicht, dass Hollywood diesen Trend viel länger ignorieren kann.

Alison Peirse
Szene aus Ana Lily Amirpours A Girl Walks Home Alone at Night © Kino Lorbeer

Ich denke, dass sich auch nach der #metoo-Bewegung weibliche Netzwerke stärker entwickeln werden. Glaubst du, es gibt ausreichend gegenseitige Unterstützung von Frauen im Filmgeschäft?

Oh, das ist schwierig. Das ist eine recht aufgeladene Frage, denn das wäre, als würde man sagen, Frauen müssen einander helfen oder sie sind gemein, bekämpfen einander und andere Arten von Stereotypen. Und manchmal haben Frauen in Führungspositionen alle möglichen Diskriminierungen ertragen und mussten einfach irgendwie damit klar kommen und dann haben sie es in Führungspositionen geschafft und sind vielleicht an diesem Punkt so angefressen, dass sie nicht unbedingt viel von Girl Power halten. Sie sind der Ansicht „Ich habe es alleine bis hierher geschafft, andere schaffen es auch aus eigenem Antrieb.“ Darum denke ich ist die Annahme gefährlich. Denn nur weil eine Frau einen gewissen Erfolg erreicht hat, bedeutet das nicht, dass sie eine große Feministin sein muss. Also ich persönlich würde es ja, ich tue das jetzt schon in meinem akademischen Bereich. Ich versuche jungen Frauen zu helfen Fuß zu fassen. Für mich hat das eine große Bedeutung, aber das heißt nicht, dass es für alle so sein muss. Jeder und jede geht ihren eigenen Weg. Ich denke #metoo war in vielen Bereichen fantastisch. Es hat einige wirklich heimtückische Praktiken im Filmgeschäft aufgedeckt und wurde wahrgenommen bis zu dem Grad, dass Studios ernsthaft mehr über Gender nachdenken müssen. Es war wichtig, aber es war allein nicht genug, es kann nicht genug sein, um all die Ungerechtigkeit auszugleichen. Und bisher ist die Geschichte von Frauen und Horror sowie Frauen in der Filmindustrie hauptsächlich die Geschichte weißer, eher privilegierter Frauen. Das was wir jetzt beginnen zu sehen, ist, dass dunkelhäutige Frauen eine zusätzliche Form der Unterstützung brauchen. Oder queere Frauen, Frauen mit Behinderungen… es wird gerade erst angefangen wahrzunehmen, dass diese Frauen auch Filme machen und etwas zu sagen haben. Eine weiße heterosexuelle Schauspielerin ist also sehr viel weiter in diesem Prozess als jemand, der mehrfach marginalisiert wird. Es gibt sehr viel mehr zu tun, meiner Meinung nach.

Letztes Jahr kam ein spannender Film aus Deutschland raus, Endzeit, der mit einer fast ausschließlich weiblichen Crew gedreht wurde. Er basierte auf einer Graphic Novel, die von einer Frau aus Berlin illustriert wurde, eine Frau führte Regie, die Autorin hat ihre Graphic Novel für den Film adaptiert, es gab eine Kamerafrau, eine Cutterin, alle Charaktere waren weiblich. Es waren quasi keine Männer in die Produktion eingebunden. Es ist eine Art apokalyptischer Zombie Film, in dem es auch kaum Zombies gibt. Alles fokussiert sich auf die zwei Hauptdarstellerinnen und wie sie miteinander interagieren. Er ist eher märchenhaft – ein wirklich faszinierender Film.

Ich denke Frauen sind inzwischen an dem Punkt angekommen, an dem sie es Leid sind, darauf zu warten, dass die Gatekeepers der Filmindustrie sie hinein lassen. Sie machen einfach ihre eigenen Filme. Nimm zum Beispiel XX. Jovanka Vuckovic sagt, einer der Gründe warum sie XX gemacht hat, ist, dass Frauen historisch gesehen auf der Leinwand unterrepräsentiert waren und ihre Rolle hinter der Kamera erst Recht keine Rolle gespielt hat. Und wenn Menschen wie Jovanka Vuckovic das sagen und Menschen wie Julia Ducorneau ihr Ding machen, dann – hoffentlich – müssen die Gatekeeper mit der Zeit nachgeben.

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Jovanka Vuckovic bei einem Interview zu ihrem Kurzfilm The Captured Bird © Ernesto Di Stefano

Das erinnert mich an einen der letzten Dialoge in Bit [Anm.: der am Tag zuvor gezeigt wurde]: „Gut, was machen wir nun? – „Wir tun, was alle Mächtigen tun sollten, die Macht teilen.“ Ich fand das großartig.
Der Film wurde von einem Mann geschrieben und inszeniert, aber ich denke, sie haben es sehr gut hinbekommen und auch wichtige feministische, queere Themen angesprochen.

Männer können feministische Filme machen. Sie sind vollkommen fähig dazu, wie auch Frauen garantiert nichtfeministische Horrorfilme drehen können. Es kommt auf die Person an, nicht?

Auf jeden Fall. Ich hatte auf den Film bezogen einige Kommentare gelesen, die in etwa besagten „Ja, aber ein Mann hat den Film gemacht und all die Dialoge geschrieben und so reden Frauen einfach nicht miteinander.“

Ich hätte Bit wirklich gern gesehen, aber ich war zeitgleich in dem anderen Kino und habe zu einem der Filme eine Einführung gegeben. Aber es scheint, er hätte mir sehr gefallen. Ich mochte ja Der Hexenclub von 1999. Den fand ich richtig gut und er hat für mich weibliche Teenager richtig gut eingefangen. Und ich dachte mir „Da muss sicher eine Frau eingebunden gewesen sein“ aber nein, das waren alles Männer. Es waren ausschließlich Männer. Es ist also nicht so, dass Männer nicht in der Lage wären, weibliche Erfahrungen einzufangen.

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Szene aus Der Hexenclub © Columbia Pictures

Oder auch Buffy von Joss Whedon…

Genau. Wir müssen über diese Vorannahmen hinweg kommen. Man kann nicht sagen, dass es schlechter Horror sei oder nicht feministisch, nur weil ein Mann ihn gemacht hat. Es gibt so viele gute Beispiele für das Gegenteil.

Feminismus ist eine Entscheidung, es ist-

-nicht an Gender gebunden. Es ist eine politische Haltung. Es ist nicht ans Geschlecht gebunden oder davon bestimmt.

In Bezug zur Wahrnehmung weiblicher Filmschaffenden, scheint es eine Lücke in der Forschung über diese zu geben. War das vielleicht einer der Gründe für dein Buch „Women Make Horror: Filmaking, Feminism, Gender“, das 2020 erscheinen soll?

Ja. Es ist nun fertig und liegt bei den Herausgebern, aber das Prozedere bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist sehr langsam. Es geht raus an LeserInnen und das Lektorat, die Korrektur und es wird wahrscheinlich Juni oder Juli nächstes Jahr soweit sein, dass es tatsächlich in den Läden erhältlich ist. Aber das war der Hauptgrund für das Buch. Ich habe mir nicht gedacht „Ich muss unbedingt ein Buch über weibliche Filmschaffende im Horror schreiben“, es war eher „Wo ist das Buch über weibliche Filmschaffende im Horror“? Wie ich bereits gesagt habe, war 2016 die Zeit in der man sehen konnte und behaupten konnte „das ist das goldene Zeitalter für Frauen im Horror“. Das war als Prevenge rauskam, als XX rauskam und das war die Zeit für Frauen im Horror. Und ich habe mich gefragt, großartig aber wo – denn ich bin eine geschichtsbewusste Person – ist die Geschichte, die Historie? Und es hat noch niemand dazu etwas gemacht. Ich habe gesucht und geschaut und hin und wieder haben Menschen erzählt „Weißt du, Mary Lambert hat Friedhof der Kuscheltiere gedreht und in den 60ern und 70ern hat Stephanie Rothman einiges gemacht“ und das war’s. Also kam ich zu dem Schluss, dass ich die Geschichte (auf)schreiben muss, weil es da draußen einfach nichts gab.

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Szene aus Prevenge von und mit Alice Lowe © Gennaker/Western Edge Pictures

Du hast in deinem Vortrag beim Filmfestival in Ljubljana darüber gesprochen, dass es ein 800 Seiten starkes Buch über Filmgeschichte gibt, in dem lediglich eine Frau erwähnt wird. Ich habe mich da echt gefragt „Was zur Hölle ist da los?!“

Eben. Und das ist gerade der Punkt. Geschichte ist nicht einfach wahr. Geschichte ist die Sichtweise einer Person darüber, wie etwas passiert ist und im Schreiben über Horror waren die Schreibenden hauptsächlich männlich. Die Schlüsselwerke stammen in etwa alle aus einer Generation männlicher Autoren, die nun in ihren 50ern und 60er sind, die eventuell mit Hammer-Filmen aufgewachsen sind und die es als heterosexuelle Männer wirklich gut fanden, wie Frauen in diesen Filmen dargestellt wurden und so. Man schreibt über das, was man liebt und wofür man sich begeistert. Diese Bücher über Horror spiegeln darum die Begeisterung dieser Art von Männern wider. Und sie haben Filme ganz anders aufgenommen, als ich es persönlich tun würde. Ich bin sicher, es gibt auch genug Frauen, die Hammer-Filme mögen, aber mir geben die nichts. Darum ist es jedenfalls klar, dass diese Geschichten/Historien nichts darüber sagen, dass etwa Beverly Sebastian diese verrückten Filme in den 70ern gemacht hat oder nichts über Stephanie Rothman und warum hat niemand etwas über The Mafu Cage geschrieben? Dieser Film ist unglaublich! Warum sind diese nicht in der Geschichte des Horror erfasst? Und so habe ich mir gesagt, dass Geschichte nicht DIE Realität wiedergibt. Es ist einfach EINE Geschichte und nun ist es an der Zeit, dass eine andere Art der Geschichtsschreibung erzählt wird. Ich habe die Hoffnung, wie ich in Ljubljana bereits gesagt habe, dass, wenn Frauen wissen, dass 2016 nicht erst der Anfang einer Zeit ist, in der Frauen Horrorfilme machen, sondern dass sie seit Jahrzehnten Horrorfilme machen, zurück bis in die 1930er, als Frauen Drehbücher für Hollywood-Horrorfilme geschrieben haben, wenn sie wissen, dass es eine ganze Historie dazu gibt, dann macht ihnen das vielleicht mehr Mut sich zu trauen und ihre eigenen Filmpläne voranzutreiben. Damit sie nicht denken, sie müssen das Rad neu erfinden, was von Frauen gemachter Horror sein kann bzw. ist. Es gibt eine Historie, von der wusste nur niemand.

Es ist eine weibliche Geschichte. Es gibt eine Bezeichnung in den Gender Studies, die in etwa besagt, was wir kennen sei eine HIS-story.

Genau. Und für mein Buch war es auch wirklich hilfreich sich auf die Gender Studies zu berufen und auf die Literaturwissenschaften, die besagen, dass es nicht so war, dass Frauen aus der Geschichte heraus geschrieben worden sind, vielmehr sind sie von vornherein gar nicht erst darin aufgetaucht. Die kritische Literaturwissenschaft hat das etwa in den 70ern begonnen und festgestellt „Oh, wir müssen tatsächlich über Frauen sprechen“. Und in unserer Geschichte waren es auch in etwa die 70er, die Zeit der politischen Bewusstwerdung der 60er und 70er, die stark die Kunstgeschichte geprägt hat in der Frage „Wo waren die Künstlerinnen? Warum schreiben wir nicht über diese?“ Denn es gab sie. Es hat mir also wirklich geholfen auf die Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte zurückzugreifen und deren Argumente aufzunehmen im Hinblick auf die unsichtbare/ungeschriebene Geschichte und in wie weit wir das auf den Film anwenden können.

Ich würde gerne noch einmal auf Coralie Fargeats Film Revenge zurückkommen. Es gab für den Film einen speziellen Trailer, in dem sexistische, misogyne Kommentare über den Film aus dem Internet eingeblendet wurden. Ich weiß nicht, ob du ihn gesehen hast.

Ich habe noch nichts davon gehört, aber es klingt spannend.

Es ist großartig. Großartig und wütend und absolut verrückt.
Es gibt da Aussagen wie „Frauen können das nicht“ oder „Warum können Frauen nicht cool sein“ oder „Geh zurück in die Küche“ und so Zeug, es ist absurd. Die Zitate werden abwechselnd mit Szenen aus dem Film gezeigt und der Trailer endet mit den Worten „Coming for the Haters“ und dem Datum der Veröffentlichung. Ich fand das wirklich gut gemacht. Und vor allem auch gut gemachtes Marketing.

Auf jeden Fall!

Es ist ein Rape-Revenge-Film, von denen viele ein Problem mit Misogynie haben. Denkst du, dass Coralie Fargeat mit Revenge gute Arbeit geleistet hat? Gibt es deiner Meinung nach einen anderen, einen empowernden Weg solche Filme zu machen? Was sind grundsätzlich deine Gedanken zu dem Film?

Das ist schwierig. Ich könnte eher allgemein etwas über Rape/Revenge als Genre sagen, denke ich.


Im dritten Teil unseres Interviews erfahrt ihr, was Alison Peirse zu Rape-Revenge-Filmen zu sagen hat. Darüber hinaus haben wir über den Bechdel-Test, unterschiedliche Zugänge zum Horrorgenre und über Alisons Lieblingshorrorfilme, Empfehlungen an euch und welche Filme sie enttäuscht haben gesprochen. Ihr dürft also gespannt sein.

Der dritte Teil erscheint am 16. Februar.

Interview geführt von Heike und Florian
Transkribiert und übersetzt von Heike

Titelbild: Alison Peirse beim /slash Filmfestival © Mercan Sümbültepe

Horrorfilme… sind die Spannung und das Spiel mit menschlichen Abgründen, ein Spiegel der Gesellschaft, Zeugnis namentlicher Grauslichkeiten und Erkundung grauslicher Namenslosigkeiten. Mal tief und schwer und dann gern auch mal ein bisschen Zombie-Musical oder Blutbad dazwischen. Denn Horror und Lachflash schließen sich nicht zwingend aus.

...und was meinst du?