Kritik

Wattmarck (2016) – Review

Im österreichischen Kurzfilm Wattmarck verbindet der junge Filmemacher Lorenz Tröbinger lovecraftsches Unbehagen mit elektronischer Musik à la Kraftwerk. Der Zuschauer begibt sich auf eine surreale Reise in die hintersten Winkel seines Gehörs wie Verstandes…

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:

Wattmarck
Österreich
20 Minuten
Lorenz Tröbinger
Lorenz Tröbinger
Michou Friesz, Lukas Strasser, Bobby Sommer, Bernd Eischeid u.a.

Inhalt

In den 80er und frühen 90er Jahren galt das deutsche Elektronikquartett Wattmarck als absolute Ausnahmegruppe neuartiger Synthiemusik. Eigentlich nur als Demonstrationsabteilung der Wattmarck Tongeräte A.G. gegründet, um die Produkte des deutschen Instrumentherstellers werbewirksam vorzuführen, erlangte die Formation internationale Aufmerksamkeit. Aufgrund der herrischen Natur ihrer autoritären Dirigentin Karin (Michou Friesz, Tatort) zerbricht sie jedoch; als sie die Gruppe Jahre später für ein letztes Konzert noch einmal versammeln will, sind die übrigen Mitglieder zurecht skeptisch. Aber sie können der Versuchung nicht widerstehen: Karin, die seit jeher an psychoaktiven Tonfrequenzen forschte, hat einen neuen Synthesizer gebaut. Und dessen Tontechnik basiert auf nichts Geringerem als den Aufzeichnungen des berüchtigten Musikers Erich Zann…

Hintergrund & Kritik

Wattmarck ist ein multimediales Online-Erlebnis von Schöpfer Lorenz Tröbinger, das einen 20-minütigen Kurzfilm mit verschiedenen Internetangeboten – darunter Tonaufnahmen, Videos und Textfragmente – verknüpft. Inspiriert wurde Wattmarck durch die Geschichte „Die Musik des Erich Zann“ von Horrorikone H.P. Lovecraft, deren titelgebender, wahnsinniger Geigenspieler auch im Film den Anstoß zu akustischen Grenzerfahrungen gibt. Tröbinger drehte mit geringstem Budget in Wien und Linz, besetzt wurden film- und fernsehtechnisch weitgehend unbeschriebene Blätter. Vor diesem Hintergrund wirkt Wattmarck überaus hochwertig. Die Schauspielenden machen ihre Sache wirklich gut, von der Ausleuchtung könnte sich so manche weitaus höher budgetierte Produktion eine ordentliche Scheibe abschneiden und auch die Ausstattung funktioniert. Highlight des Films ist sicher der gelungene Soundtrack – ebenjene dröhnenden Synthieklänge der Gruppe Wattmarck – der den Zuschauenden in seinen Bann schlägt und dem stets eine unheilvolle Vorahnung anzuhaften scheint.

Unheilvolle Ahnungen sind eines der Kernelemente von Wattmarck. Das Grauen ist überaus subtil, in vielen Momenten kaum greifbar. Und doch tropft es dem Film aus jeder Pore. Bereits wenn die Gruppenmitglieder im Interviewstil Stellung zur geplanten Reunion beziehen, schwingen Unruhe und Beklemmung mit. Dieses schleichende Anbahnen eines sich langsam entfaltenden namenlosen Schreckens kennt man auch von Lovecraft, dessen mannigfaltige Schilderungen Kosmischen Grauens zu einem guten Anteil von solchen Passagen leben. Während sich diese Anspannung in vielen anderen Lovecraft-Adaptionen wie etwa in Dark Waters oder The Dunwich Horror mit einem großen Knall entlädt, bleibt die Natur dessen, was sich da Unheimliches tut, jedoch bis zum Ende in den Köpfen der Musiker verborgen. Und das könnte für Manche der größte Kritikpunkt an Tröbingers Kurzfilm sein, sind wir doch lovecraftsche Grenzerfahrungen vor allem in Form monströser Tentakelformationen gewohnt.

Nichtsdestotrotz bietet Wattmarck dem Zuschauenden, der bereit ist sich auf Abstraktes einzulassen, unheimlich viel. Die über ein halbes Jahrhundert umspannende, rätselhafte Geschichte rund um Erich Zann und den Psychiater Hans Prinzhorn, der Karin wie besessen nachzuspüren scheint, glänzt durch eine ansprechende Inszenierung in Bild und Ton ebenso wie das eindrucksvolle Spiel Michou Friesz‘. Es ist ein Thema, dass Horrorfilm und -literatur seit jeher beschäftigt: Das Auslooten und Überschreiten von Grenzen, wobei Faszination und Grauen oft nahe beieinander stehen. Ob Hellraiser oder From Beyond, die bittersüße Transgression der Einschränkungen physischer, kognitiver und/oder moralischer Hürden begleitet das Genre. Mit Wattmarck leistet Lorenz Töbringer einen eindrucksvollen Beitrag, und vielleicht trügt der Schein, wenn wir glauben seine Figuren seien am Ende noch verhältnismäßig gut davongekommen. Vielleicht ist das, was die Zuhörenden der Prinzhorn-Töne ereilte, weitaus schlimmer als von irgendeinem geifernden Wesen verspeist zu werden – wer weiß schon, was sie gehört und erlebt haben?

„Ich glaube, die größte Barmherzigkeit dieser Welt ist die Unfähigkeit des menschlichen Verstandes, alles sinnvoll zueinander in Beziehung zu setzen.“ (Lovecraft: Der Ruf des Cthulhu)

Die Suche nach Erkenntnis, die auch Karin vorantreibt, kann der Zuschauer online auf http://www.wattmarck.com/ selbst nachvollziehen. Im Design eines 90er-Jahre-Computers stehen hier Fragmente verschiedener Kommunikationen zur Verfügung – E-Mails, Videos, sogar der Mitschnitt einer Vorlesung, welche die verbohrte Karin an der Miscatonic University in Lovecrafts Arkham hielt. Stück für Stück kann so jeder selbst das verruchte Puzzle, welches die Forschungen Prinzhorns und anderer darstellen, weiter ergänzen.

Bildquelle: Wattmarck © Lorenz Tröbinger

Horrorfilme… sind die audiovisuelle Adaption des gesellschaftlich Abgestoßenen, Verdrängten und/oder Unerwünschten, das in der einen oder anderen Gestalt immer wieder einen Weg zurückfindet.

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