Adoration
Kritik

Adoration (2019) – Review

Adoration ist das neueste Werk von Fabrice du Welz (Calvaire, Vinyan) rund um jugendliche Liebe. Wir haben uns beim diesjährigen /slash Filmfestival dem psychotischen Liebeswahn hingegeben.

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:

Adoration
Belgien/Frankreich
98 Minuten
Fabrice du Welz
Fabrice du Welz, Romain Protat, Vincent Tavier
Thomas Gioria, Fantine Harduin u.a.

Hintergrund & Inhalt

Adoration ist der sechste Spielfilm des Belgiers Fabrice du Welz, der schon mit seinem Debüt, der Horrorgroteske Calvaire, ordentlich Wellen schlug. Als nächstes folgten unter anderem der Dschungel-Horror Vinyan und die Killerpaar-Romanze Alléluia. Letzterer erzählt die wahre Geschichte von Martha Beck und Raymond Fernandez, die unter dem Namen „Lonely Hearts Killers“ traurige Berühmtheit erreichten, als sie Ende der 40er Jahre in den USA bis zu 20 Menschen töteten. Während andere Verfilmungen wie der starbesetzte Lonely Hearts von 2006 sich mehr auf die Polizeiarbeit konzentrierten, interessierte sich du Welz vor allem für die Dynamiken in der Beziehung des Paares. Dieser Fokus findet sich auch bei Adoration wieder.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht die aufkeimende Liebe der beiden Protagonisten: des zwölfjährigen Paul, der mit seiner Mutter zusammen auf dem Gelände einer Privatpsychiatrie lebt, und der etwa fünfzehnjährigen, an paranoider Schizophrenie leidenden Gloria, die eines Tages dort eingewiesen wird. Schon am Tag ihrer Ankunft versucht Gloria den BetreuerInnen zu entkommen und stürzt dabei über Paul. Paul, der außer seiner Mutter kaum Kontakte hat, verliebt sich sofort bis über beide Ohren. Obwohl es ihm verboten ist, mit PatientInnen zu sprechen, kommen sich die zwei Jugendlichen schnell näher – was schlussendlich in einer waghalsigen Flucht aus der Klinik mündet…

Kritik

Fabrice du Welz wollte mit Adoration die jugendliche Liebe einfangen, eine Liebe, die uns komplett überwältigt, die absolut ist und unser gesamtes Denken und Fühlen vereinnahmt – um diese subjektive Realität ist der gesamte Film aufgebaut.
Meine eigene Jugend liegt zwar milde gesagt schon einige Jährchen zurück, allerdings kann ich mich noch recht gut an die damalige Zeit und auch an so einige Dummheiten erinnern, die ich damals angestellt und meinen Eltern den einen oder anderen halben Herzinfarkt beschert habe. Zum Beispiel als ich nach einer schmerzhaften Trennung ein paar Sachen packte und im anbrechenden Winter an einem bewaldeten Berghang mein Lager aufschlug – mit keinem Gedanken an Konsequenzen und keinem Ziel außer der Flucht vor der Realität.
Ganz ähnlich ergeht es auch Paul und Gloria in Adoration. Ihre Flucht aus der Privatklinik ist zu keinem Moment rational und ihre Taten auf dieser Ebene auch nicht nachvollziehbar – etwas, worauf man sich einlassen können muss.

Adoration nimmt uns mit auf einen wilden, amourösen und fiebrigen Ritt, der zwar in der Realität verankert ist, aber zunehmend surreale Züge annimmt. Dass Fabrice du Welz sich dafür entschieden hat, auf 16mm zu drehen, kommt dem Film formal sehr entgegen, da es ihm durch das etwas unsauberere Bild zusätzlich einen hochsommerlich-flirrenden Touch verleiht. Kameramann Manuel Dacosse (Leichen unter brennender Sonne) ist zudem immer sehr nah an den DarstellerInnen. Gerade durch die überaus dynamische Kamera und den Verzicht auf allzu viele Schnitte wird man als Zuschauer stark in das Geschehen eingebunden.

Adoration

Dies kann natürlich nur dann funktionieren, wenn die Charaktere entsprechend anziehend geschrieben und auch besetzt werden. Als Identifikationsfigur für das Publikum dient hier eindeutig der liebevolle und warmherzige Paul, den wir etwa dabei beobachten, wie er einen verletzten Jungvogel rettet und ihn langsam aufpäppelt. Diese fast schon kitschig anmutenden Szenen, die in erster Linie Pauls kindliche Unschuld und Reinheit übermitteln, werden jedoch schnell von seinen Lebensumständen konterkariert. Auf dem Gelände der Psychiatrie darf er mit seiner Mutter, die dort als Reinigungskraft angestellt ist, überhaupt nur wohnen, indem er sich einigen äußerst strikten Regeln fügt. Dazu kommt die problematische Beziehung zu seiner äußerst besitzergreifenden alleinerziehenden Mutter, deren Verhalten nahezu pathologische Züge annimmt, wenn sie zum Beispiel um die sexuelle Gunst ihres Sohnes zu buhlen scheint.
Paul hilft somit nicht nur Gloria zu entkommen, sondern er flieht auch aus seinem eigenen Gefängnis mit unsichtbaren Mauern aus Konventionen und krankhaften Abhängigkeiten. Mit Gloria wartet nicht nur die erste große Liebe auf ihn, es ist vor allem auch ein Akt der Emanzipation.
Im Gegensatz zu Pauls sehr geerdeter Charakterzeichnung bleibt Gloria in erster Linie ein Mysterium, das nie ganz verstanden werden kann – weder von Paul noch vom Zuschauer. Es sind vor allem ihre immer wiederkehrenden psychotischen Schübe, die sie für das Publikum unnahbar machen und Pauls Liebe auf eine große Probe stellen – insbesondere da vor Glorias paranoider Schizophrenie auch Menschenleben nicht sicher sind.

Adoration

Dass diese Charaktere einen schlussendlich auch wirklich berühren, liegt in erster Linie an den herausragenden Leistungen der zwei Jungschauspieler, die den Film quasi alleine tragen müssen. Thomas Gioria gelingt es herausragend seiner Rolle die nötige Zerbrechlichkeit, aber auch Willensstärke mitzugeben und Fantine Harduin, die schon an der Seite von Isabelle Huppert in Michael Hanekes Happy End glänzen durfte, wirkt als Gloria ebenso anmutig wie undurchsichtig,  verleiht ihr aber zugleich eine gewisse Verletzlichkeit, die den Charakter im Hier und Jetzt hält und ihn nicht völlig entgleiten lässt.

Du Welz wundervoll einfühlsames Psychogramm einer wahnsinnigen Liebe ist jedoch nicht nur unfassbar beeindruckend, sondern im gleichen Maße auch anstrengend. Glorias psychotisches Verhalten ist oft nur schwer zu ertragen und nicht nur einmal musste ich tief durchatmen, um Szenen überstehen zu können. Doch gerade in diesen schwierigen Augenblicken offenbart sich Pauls reine Liebe. Ganz gleich, was Gloria sich, ihm oder ihrer Umwelt antut, ganz egal welche Spur der Verwüstung ihre Erkrankung hinterlässt – Paul steht unerbittlich an ihrer Seite. Von einem Fremden, der ihnen Unterschlupf gewährt, wird er gefragt, ob er schon wisse, dass Gloria krank sei, woraufhin er nur antwortet: „Sie ist schwierig.“ Paul ist schlussendlich eben auch nicht nur blind vor Liebe, sondern ist sich nach der gemeinsamen Reise durchs Paradies sowie die Hölle seiner Verantwortung für Gloria durchaus bewusst. Wo die Reise für beide enden wird, lässt Adoration freilich offen – denn ob eine ungezügelte, fanatische und psychotische Liebe wie die von Paul und Gloria Bestand haben kann, müssen schlussendlich alle für sich selbst entscheiden.

Adoration

Fazit

Mit Adoration ist Fabrice du Welz ein außergewöhnlicher Liebesfilm gelungen. Mit einer dynamischen Kamera und zwei glänzenden Jungschauspielern im Gepäck nimmt uns der Belgier mit auf eine Reise in den Wahnsinn – eine traumhafte, entrückte, sinnliche und zuweilen strapaziöse Reise, aber auf jeden Fall eine zum Verlieben.

 

Bewertung

Grauen Rating: 1 von 5
Spannung Rating: 3 von 5
Härte  Rating: 1 von 5
Unterhaltung  Rating: 2 von 5
Anspruch  Rating: 3 von 5
Gesamtwertung Rating: 4 von 5

Bildquelle: Adoration © Panique/Savage Film/The Jokers Films

Horrorfilme sind für mich ein Tor zu den unheimlichen, verstaubten Dachböden und finsteren, schmutzigen Kellern der menschlichen Seele. Hier trifft man alles von der Gesellschaft abgeschobene, unerwünschte, geächtete, begrabene: Tod, Schmerz, Angst, Verlust, Gewalt, Fetische, Obsession. Es ist eine Entdeckungsreise auf die "Schutthalde der Zivilisation". Auf diese Reise würde ich euch gerne mitnehmen.

...und was meinst du?