Charlie Says
Kritik

Charlie Says (2018) – Review

Nachdem sich die Tate-LaBianca-Morde heuer zum 50. Mal jähren, ist Charles Manson wieder schwer in Mode. Doch zwischen stumpfer Alternative-Reality-Exploitation (The Haunting of Sharon Tate) und popkultureller Randnotiz (Once Upon a Time in Hollywood) sticht besonders Mary Harrons Crime-Drama Charlie Says positiv hervor. Wir hatten das Vergnügen den Film beim /slash Filmfestival zu sehen.

Originaltitel:
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Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:
VÖ:

Charlie Says
USA
110 Minuten
Mary Harron
Guinevere Turner
Hannah Murray, Matt Smith u.a.
Ab 24.10.2019 im Handel

Manson Girls

Für Charlie Says legen Drehbuchautorin Guinevere Turner und Regisseurin Mary Harron, die schon für American Psycho zusammenarbeiteten, den Fokus nicht auf Charles Manson selbst, sondern auf drei Frauen der Manson Family, die alle an der Mordserie beteiligt waren: Leslie Van Houten, Patricia Krenwinkel und Susan Atkins. Im Mittelpunkt steht Leslie: deren Aufnahme in die Family, die Gehirnwäsche, die Morde und schlussendlich ihre Zeit im Gefängnis. Erzählt wird die Geschichte rückblickend aus dem Gefängnis durch die Augen von Menschenrechtsaktivistin Karlene Faith, die sich hinter Gittern den drei Frauen annahm. Charlie Says basiert zum Teil auch auf Faiths Buch “The Long Prison Journey of Leslie Van Houten”.

Charlie Says

Drei Jahre nach den grausamen Tate-LaBianca-Morden im August 1969 finden wir uns im California Institution for Women wieder. Van Houten, Krenwinkel und Atkins wurden für ihre Taten zum Tode verurteilt. Da die Todesstrafe in Kalifornien 1972 ausgesetzt wurde, wurden die Strafen zu lebenslanger Isolationshaft umgewandelt. Zusammen mit Karlene Faith lernen wir die drei in ihrer Haft, abgeschirmt von allen anderen Insassinnen kennen und schon als Karlene nachfragt „Du bist Susan, stimmts?“ und diese mit „Mein Name ist Sadie. Susan ist tot. Charlie taufte mich Sadie“ antwortet, ist klar, dass Charles Manson selbst nach drei Jahren Gefangenschaft immer noch Macht über diese Frauen hat. Damit stellt sich auch die Grundfrage, die Charlie Says ergründen will: wie konnten diese jungen Frauen zu Mörderinnen werden und wie ist es möglich, dass Charles Manson trotz jahrelanger Haft und allem was passiert ist, noch immer ihr Denken bestimmt – wie konnte es dazu kommen? Daher kommt auch der Titel des Films, denn dieser bringt schon auf den Punkt, worum es in dem Film geht. Sobald die Frauen nach ihrer Meinung gefragt werden, antworten sie mit „Charlie says…“. Er ist in ihrem Kopf und seine Stimme hat jegliches selbstständige Denken verdrängt.

Charlie Says

Von der Hippiekommune zur toxischen Familie

Daher führt uns der Film nach diesen einführenden Szenen dorthin zurück, wo für Leslie alles begann. Von den trist-grauen Bildern des Gefängnisses wandern wir zur Spahn Ranch, in der sich Charles Manson und die Manson Family einquartiert hatten. Eingeleitet werden die warmen Bilder der Ranch von einem Regenbogen und sanfter Folk-Musik. Es ist ein absolut einladendes und wohliges Bild, das uns von der Ranch und der Gemeinschaft geboten wird. Hier lernen wir dann auch den äußerst charismatischen Charles Manson kennen, den wohl kaum einer besser hätte verkörpern können als „Dr. Who“-Charmeur Matt Smith. Harron gelingt es erstaunlich gut Manson und seine Hippiekommune als sehr attraktiven Ort der Freiheit, Grenzenlosigkeit und freien Liebe zu zeichnen, der im Kontrast zur strikten und konservativen Welt der Elterngeneration steht. Dies gewinnt immer mehr Gewicht bei der Suche nach der Motivation der drei Frauen.

Erst langsam lässt Harron die Fassade bröckeln und zeigt hinter dem charismatischen Manson seine frauenfeindliche, rassistische, egozentrische und despotische Fratze. Harron läuft damit auch zu keiner Zeit Gefahr Manson unnötig zu idealisieren. Denn auch wenn Manson in Charlie Says durchaus äußerst sympathisch rüber kommt, so wird er von Turner nicht als kriminelles Mastermind skizziert, sondern als Versager, der eine einzige Gabe hatte: Manipulation. Es ist ja auch heute noch faszinierend, welch ein Starkult um den dahergelaufenen Hanswurst betrieben wird, bei dem manche sich Manson-Andenken wie Nazi-Devotionalien an die Wand hängen. Charlie Says gelingt hier die Gratwanderung zwischen Idealisierung/Dämonisierung und einer dramaturgisch nötigen und nachvollziehbaren Anziehungskraft. Harron demaskiert im Laufe des Films nicht nur Manson als kümmerliches Würstchen, das eine toxische Mischung aus unbearbeiteten Traumata, gekränktem Ego und hanebüchenen Weltverschwörungstheorien an seiner „Family“ und danach an zufälligen Opfern auslässt, sondern auch die gesamte Manson Family als eine einzige Missbrauchsbeziehung.

Charlie Says

Charlie Says zeigt in der Manson Family ähnliche Dynamiken auf, wie sie auch in solchen Beziehungen vorkommen. Charles Manson als Patriarch entzieht den Mitgliedern seiner Family immer wieder seine Zuneigung, damit sie umso mehr tun, diese wieder zu erlangen. Von Anfang an geht es darum, das eigene Ich hinter sich zu lassen und in der Gemeinschaft aufzugehen. In der Manson Family gibt es kein vergangenes Ich, Verbindungen in die Vergangenheit oder zu Personen außerhalb der Gemeinschaft werden gekappt. Manson erniedrigt die Mitglieder auch immer wieder – kleinere Sticheleien bis zu körperlicher Gewalt sind an der Tagesordnung. Er gibt den Mitgliedern immer das Gefühl ohne die Gemeinschaft komplett wertlos zu sein. Es ist ein langsam fortschreitender Prozess, der in die Abhängigkeit führt und der den eigenen Willen und Selbstwert langsam erodieren lässt.
Dabei ist es nicht nur Manson selbst, der die Frauen manipulativ an die Family band, sondern vor allem auch die Family selbst. Durch das Leben in der Kommune wurden sehr starke Beziehungen geknüpft, die eine dort hielt. Für Leslie war dies vor allem auch die Freundschaft zu Patricia. Gerade durch den Fokus des Films auf die Frauen gelingt es dem Film sehr gut die starke Gemeinschaft unter diesen auf der Ranch hervorzuheben und hier besonders auch die Loyalität gegenüber einander.

Charlie Says

Es ist vor allem den starken Leistungen von Hannah Murray (Game of Thrones) als Leslie und Sosie Bacon (Tote Mädchen lügen nicht) als Patricia zu verdanken, dass dies im Endeffekt so gut funktioniert. Trotz der schrecklichen Taten fühle ich mit den Protagonistinnen mit und wünsche mir, dass sie doch endlich zu Vernunft kommen mögen, dass Leslie die Beine in die Hand nimmt und schaut, dass sie endlich weit, weit weg kommt, bevor es zu spät ist. Doch wie wir alle wissen, ist es schon längst zu spät, die Geschichte schon lange geschrieben. Dennoch hallt der Gedanke am Ende noch nach: wie konnte es dazu kommen? Alles nur ein Ergebnis einer Folge von kleinen, äußerst verhängnisvollen Entscheidungen?

Fazit

Turner und Harron gelingt mit Charlie Says ein faszinierendes Biopic über die Manson Girls, welches geschickt Mechanismen einer toxischen Beziehung offenlegt und uns dennoch mit vielen Fragen zurück lässt, die zu weiteren Diskussionen einladen.

 

Bewertung

Grauen Rating: 0 von 5
Spannung Rating: 1 von 5
Härte  Rating: 1 von 5
Unterhaltung  Rating: 4 von 5
Anspruch  Rating: 3 von 5
Gesamtwertung Rating: 4 von 5

Ab 24.10.2019 im Handel:

Charlie Says Charlie Says

Bildquelle: Charlie Says © Koch Films

Horrorfilme sind für mich ein Tor zu den unheimlichen, verstaubten Dachböden und finsteren, schmutzigen Kellern der menschlichen Seele. Hier trifft man alles von der Gesellschaft abgeschobene, unerwünschte, geächtete, begrabene: Tod, Schmerz, Angst, Verlust, Gewalt, Fetische, Obsession. Es ist eine Entdeckungsreise auf die "Schutthalde der Zivilisation". Auf diese Reise würde ich euch gerne mitnehmen.

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