Kritik

The Killing of a Sacred Deer (2017) – Review

The Killing of a Sacred Deer ist die packende, pure Ungemütlichkeit, inspiriert von der griechischen Tragödie Iphigenie in Aulis von Euripides. In Szene gesetzt vom griechischen Regisseur Yorgos Lanthimos, der uns schon mit wundervoll schrägen Filmen wie Dogtooth oder The Lobster beschenkt hat.

Originaltitel:
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Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:

The Killing of a Sacred Deer
Irland/Großbritannien
121 Minuten
Yorgos Lanthimos
Yorgos Lanthimos, Efthymis Filippoug
Colin Farrell, Barry Keoghan, Nicole Kidman u.a.

Inhalt

Der Herzchirurg Dr. Stephen Murphy führt ein ideales Leben: beruflich erfolgreich, seiner Frau eng verbunden, die beiden Kindern wohlerzogen, das Haus tadellos gepflegt. Doch der Tod eines Patienten auf seinem Operationstisch lastet schwer auf ihm. Wie ein Damoklesschwert hängt diese Schuld über ihm und seiner perfekten Welt und entfesselt eine Geschichte rund um Rache, Sühne und die Frage nach Gerechtigkeit…

Hintergründe & Kritik

Nach dem schon recht grotesken The Lobster wendet sich Yorgos Lanthimos in The Killing Of A Sacred Deer einer noch düstereren Thematik zu. Inspiriert vom griechischen Mythos um Iphigenie, deren Vater Agamemnon in seiner Überzeugung, ein besserer Jäger zu sein, den Lieblingshirsch der Jagdgöttin Artemis tötete. Woraufhin sie die Winde stilllegte, die die griechische Flotte in den Trojanischen Krieg bringen sollten. Um Artemis zu besänftigen, musste Agamemnon sich bereit erklären, zur Sühne seine Tochter zu opfern.

Ähnlich wie Agamemnon hadert auch Stephen damit, einen passenden Ausgleich für das auf dem Operationstisch verlorene Leben zu finden. Er nimmt sich Martin, dem Sohn des verstorbenen Patienten, an und baut zu diesem eine unterwürfig anmutende Beziehung auf. Martin bewegt sich frei in Stephens Leben und lässt keine Zweifel daran, was in seinen Augen die einzig annehmbare Sühne für den Tod des Vaters wäre.

Lanthimos schafft es durch den Einsatz gestelzter Dialoge, deren emotionslose Intonation von einem atonalen Score begleitet wird, eine nicht greifbare Bedrohung zu erzeugen. Selten habe ich mich in einem Film dermaßen unwohl gefühlt und das ohne jegliche Verschnaufpause. Die einzelnen Aspekte des Films sind sowohl in ihrer Gesamtheit als auch jeder für sich immer ein bisschen befremdlich. Die Dialoge sind bestenfalls schmerzhaft sachlich, die Umgangsformen fernab jeder sozialen Konvention. Die ZuschauerInnen mögen zunächst nur die Augenbraue heben, wenn bei einer Gala zu Beginn des Films Stephen auf die Frage, wie es seinen Kindern geht, antwortet, dass seine Tochter vor kurzem zu menstruieren begonnen hat. Doch Reaktionen wie diese sind an der Tagesordnung. Vollkommen ungefiltert und doch auf ihre Art klinisch steril. Etwa als Martin fasziniert davon ist, wer mehr Achselbehaarung hat und Stephen um einen Vergleich bittet. Die darauf folgenden Sekunden schüren die Erwartung, dass Stephen eine Grenze zu all den absurd anmutenden Situationen setzt – bis er anfängt sich mitten im Untersuchungsraum auszuziehen, um dieser Bitte nachzukommen. Lanthimos schafft es durch das stetige Spielen mit Interaktionen den Spannungsbogen extrem hoch zu halten. Denn gerade, weil The Kiling of a Sacred Deer in jeder Begegnung so nah an bekannten und nachvollziehbaren Handlungen bleibt, trägt der Bruch dieser Konventionen dazu bei, die Nerven anzuspannen und wird nie aufgelöst.

All das sehen wir aus einer Perspektive, die es nie schafft und nicht einmal versucht ihren Figuren auf Augenhöhe zu begegnen. Im Gegenteil werden durch die Kamerapositionierung die Linien der Szenerie noch zusätzlich verzerrt. Thimios Bakatakis (The Lodge) tut alles, um das geübte Auge zu irritieren. Auf Establishing Shots verzichtet er weitestgehend. Vielmehr wird aus Close-Ups heraus gezoomt und so die räumliche und zeitliche Orientierung einer Szene gebrochen. Verstärkt wird diese Desorientierung dadurch, dass Dialoge vielfach aus Hüfthöhe gefilmt werden, wodurch die Umgebung auf ein winziges Stück Decke oder Himmel reduziert wird. So schafft er eine vermeintliche Nähe, die sich allerdings im luftleeren Raum bewegt.

Wo man auch hinsieht und hinhört, es sind Bilder, Worte und Töne, die zwar bekannt, doch gleichzeitig unfassbar befremdlich wirken. Diese Irritation fesselt die Aufmerksamkeit und schreit mit zunehmendem Voranschreiten der Story geradezu nach Auf- und somit einer Art von Erlösung. Genau hier findet sich der beobachtende Geist direkt im Film wieder. Den Ausweg aus dem Leiden serviert Martin quasi auf dem Silbertablett und mit jeder Minute Film frisst sich die Verzweiflung über das wachsende Dilemma tiefer in die Köpfe des Publikums.

Fazit

The Killing of a Sacred Deer wirkt auf eine kaum greifbare, weil umfassende Art und Weise. Die präzisen Brüche der Sehgewohnheiten bereichern die Story um eine emotionale, fast körperlich spürbare Ebene. Und ich bin sicher, dass ich auch nach zigfachem Sehen immer wieder etwas finden werde, dass mir zuvor nicht aufgefallen ist und sich gleichzeitig wie ein Puzzleteil sehr harmonisch in das Gesamtbild einfügt, als müsste es genau dort sein. Wer The Killing of a Sacred Deer noch nicht gesehen hat, dem würde ich schwer empfehlen, dieses Kunstwerk unbedingt nachzuholen.

 

Bewertung

Grauen Rating: 4 von 5
Spannung Rating: 3 von 5
Härte  Rating: 2 von 5
Unterhaltung  Rating: 2 von 5
Anspruch  Rating: 4 von 5
Gesamtwertung Rating: 4 von 5

 

Horrorfilme… sind die Spannung und das Spiel mit menschlichen Abgründen, ein Spiegel der Gesellschaft, Zeugnis namentlicher Grauslichkeiten und Erkundung grauslicher Namenslosigkeiten. Mal tief und schwer und dann gern auch mal ein bisschen Zombie-Musical oder Blutbad dazwischen. Denn Horror und Lachflash schließen sich nicht zwingend aus.

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